Breidenbachs Woche: Schon wieder muss das Runde ins Eckige

Beim Fußball sollte das Runde bestenfalls im Eckigen landen. Symbolfoto: dpa

Ein bisschen was zum Freuen, am Ende eines anstrengenden Jahres. 2006 oder 2020 – Hauptsache, drin.

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. Liebe Leserinnen und Leser, das Jahr war so anstrengend, da gönnen wir Ihnen zum Schluss ein bisschen Freude. Andere schreiben ein „best of“ vom Jahr, wir machen heute mal „best of 14 Jahre“! Am 9. Dezember 2005 schrieben wir in dieser Zeitung: „Ein Anwalt erzählte mir von einer Ehe, die eigentlich sehr harmonisch war. Dann hat der Ehemann das getan, was Ehemänner nie, niemals, unter gar keinen Umständen tun sollten: Er schaute sich mit seiner bis dahin Liebsten ein Fußball-Länderspiel an, obwohl sie nicht so recht wusste, warum 22 Männer mit dem Ball . . . Sie wissen schon. In der 43. Spielminute sagte sie: ‚Aber wenn die Holländer doch besser sind . . .‘ Die Ehe, sagt der Anwalt, wurde dann relativ rasch geschieden. Wir lernen daraus: Es könnte dramatisch werden, wenn wir bei der WM 2006 gegen die Holländer kommen. Das nur zum Hintergrund. Wir von der Zeitungsredaktion haben da ein Problem. Unter uns ist eine Kollegin, die sehr geachtet ist. Aber: Sie hat einen niederländischen Pass. Und sie macht noch nicht mal einen Hehl daraus! Weil wir sie nicht verlieren wollen, haben wir versucht, die Sache gütlich zu regeln. Durch Androhung körperlicher Gewalt. Ich sprach zu ihr: ‚Gut, es ist verboten, jemandem spitze Bambus-Keile unter die Fingernägel zu treiben, aber manchmal passiert es trotzdem.‘ Sie sagt, ich sei Rassist. ‚Klar‘, antworte ich, ‚schließlich geht es um Fußball‘.“

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Wir finden noch heute, das war menschlich ziemlich das Anrührendste, was wir überhaupt je schrieben. Dennoch erreichte uns noch am selben Tag, 9. 12. 2005, der aufgebrachte Leserbrief einer in Mainz lebenden Niederländerin: „Mit Fußbal verstehe ich keinen spaß ich jubele und tanze um den tisch wenn holland ein Tor schießt mein mann hat mir auch schon mit alles mögliche gedroht aber es hilft nichts Liebe Mänliche redaktion bitte heb dieses verbot für die holländische kolegin auf um Nicht zu jubeln das ist unzumutbar.“ Exakt so steht es schwarz auf weiß auf dem Papier, das vor uns liegt – und das vier Jahre lang verschollen war. Jetzt, beim großen Schränkeaufräumen, tauchte es wieder auf. Niemals verschollen war Gott sei Dank unsere 2005 gemeinte Kollegin mit niederländischem Pass, die wir damals vom Holland-Bejubeln abhalten wollten. Sie arbeitet, zu Recht angesehener denn je, in der Redaktion. Wir machten sie erneut auf den Vorgang aufmerksam; das Schreiben ihrer niederländischen Landsfrau von 2005 gar nicht mehr vor Augen schreibt sie uns nun: Die Welle des tief empfundenen Mitleids, die aufgrund unserer Drohung über sie hinweg rollte, „entriss mir auch die Kenntnis dieses so wohl formulierten Leserbriefs einer Dame, die schon so lange in Deutschland lebt und doch noch nach Rudi Carrells Schwester klingt. Ein Schicksal, das mir erspart geblieben ist.“ Jetzt, so die Kollegin, blicke sie gespannt auf die EM im nächsten Jahr und verhehle nicht, „dass ich mich freue, wenn dann das Runde ins Eckige fällt. Natürlich ins Richtige.“

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Aha. Nun, zunächst sei festgehalten: Das Runde f ä l l t nicht ins Eckige, sondern m u s s in selbiges. Ferner befürchten wir, die Kollegin hält schon wieder zu ihren Niederländern. Wie vor 14 Jahren. Aber wir sind weiser geworden und nehmen das tolerant hin. Bei der WM 2006 traf Deutschland übrigens überhaupt nicht auf die Niederländer, die schon im Achtelfinale scheiterten. Deutschland (Klinsi!) kam wenigstens ins Halbfinale. 2020? Könnte wieder mal alles mit allem zusammenhängen.