Kardinäle kritisieren die Corona-Maßnahmen und greifen auf Verschwörungstheorien zurück. Den Appell unterzeichnet hat auch der aus Mainz stammende Kardinal Gerhard Ludwig Müller.
ROM / MAINZ. Rom/Limburg. In den Zeiten der Corona-Pandemie entfalten auch Verschwörungstheorien zunehmend ansteckende Wirkung. Eines der bekanntesten Motive darin: Der Kampf gegen das Virus werde dazu genutzt, eine geheime Weltregierung zu installieren und Kontrolle über die Menschen zu erlangen. Infiziert von solchen Verschwörungstheorien sind aber nicht nur weltliche Vertreter, sondern offenbar auch geistliche – wie der aus Mainz-Finthen stammende Kardinal Gerhard Ludwig Müller, bis 2017 noch Chef der mächtigen Glaubenskongregation im Vatikan.
Der als erzkonservativ und scharfer Kritiker von Papst Franziskus geltende Müller gehört zu den Unterzeichnern eines im Internet veröffentlichten Appells von rund 110 Bischöfen, Priestern, Journalisten, Schriftstellern, Medizinern, Wissenschaftlern, Lehrern und Juristen. In dem Text mit dem Titel „Ein Aufruf für die Kirche und für die Welt – an Katholiken und alle Menschen guten Willens“ wird eine Art Weltverschwörung unter dem Deckmantel des Anti-Corona-Kampfes angenommen; die Unterzeichner äußern auch generelle Zweifel an der tatsächlichen Ansteckungsgefahr des Virus. Es gebe, so heißt es darin, Kräfte, „die daran interessiert sind, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen. Auf diese Weise wollen sie dauerhaft Formen inakzeptabler Freiheitsbegrenzung und der damit verbundenen Kontrolle über Personen und der Verfolgung all ihrer Bewegungen durchsetzen. Diese illiberalen Steuerungsversuche sind der beunruhigende Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht.“ Der Kampf gegen Covid-19 dürfe „nicht als Vorwand zur Unterstützung unklarer Absichten supranationaler Einheiten dienen, die sehr starke politische und wirtschaftliche Interessen verfolgen“.
Scharfe Kritik an Gottesdienstverboten
Scharf kritisiert werden auch die Gottesdienstverbote, die als unzulässige Einmischung in die Autonomie der Kirche angesehen werden. Schließlich heißt es: „Wir sind alle zu einer Bewertung der gegenwärtigen Tatsachen im Einklang mit der Lehre des Evangeliums aufgerufen. Diese beinhaltet eine Kampfentscheidung: entweder mit Christus oder gegen Christus.“ Der Autor des Appells, der ehemalige Vatikandiplomat Erzbischof Carlo Maria Viganò, gehört innerhalb der katholischen Kirche zu den schärfsten Kritikern von Papst Franziskus. Unterschrieben hat auch der emeritierte Bischof von Hongkong, Kardinal Joseph Zen Ze-kiun. Einziger deutscher Unterzeichner neben Müller ist Frank Unterhalt vom erzkonservativen Paderborner Priesterkreis Communio veritatis.
Der Limburger Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, wollte das Schreiben auf Anfrage dieser Zeitung nicht näher kommentieren. Vom generellen Inhalt distanzierte er sich dennoch sehr deutlich: „Die Deutsche Bischofskonferenz kommentiert grundsätzlich keine Aufrufe einzelner Bischöfe außerhalb Deutschlands. Allerdings füge ich hinzu, dass sich die Bewertung der Corona-Pandemie durch die Deutsche Bischofskonferenz grundlegend von dem Aufruf unterscheidet“, sagte er.
Andere hochrangige Kirchenvertreter äußerten sich deutlicher: So sprach der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer in einem Facebook-Beitrag von „kruden Verschwörungstheorien ohne Fakten und Belege, verbunden mit einer rechtspopulistischen Kampf-Rhetorik, die beängstigend klingt“. Er sei „einfach nur fassungslos, was da im Namen von Kirche und Christentum verbreitet wird“. Mit Jesus Christus, auf den sich die Unterzeichner berufen, hätten „derart wirre Thesen, die Ängste schüren, Schwarz-Weiß-Denken verfolgen, üble Feindbilder zeichnen und das Miteinander in unseren Gesellschaften vergiften“, nichts zu tun. Kardinal Müller und die übrigen Unterzeichner entblößten sich selbst, schreibt Pfeffer.