Bei der Bundeswehr können auch Menschen, die noch nichts mit der Armee zu tun hatten, das Soldatendasein lernen. Das Interesse daran wächst.
HAMMELBURG. Die Hitze bringt die Luft über dem Betonboden auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg zum Flimmern. "Habt ihr alles verstanden?", ruft der Ausbildungsleiter. Ein lautes, einstimmiges "Jawohl!" schallt zwischen Schussgeräuschen zurück. Es ist Ausbildungstag Nummer drei für die angehenden Reservisten; sie werden auch als Jäger bezeichnet.
Die Sonne strahlt an diesem Tag von einem wolkenlosen Himmel hinab auf das große Übungsfeld der Bundeswehr. "Sonnencreme und Kaltgetränke dürfen bei so einer Hitze natürlich nicht fehlen", sagt Truppenübungsleiter Major Christian H. Die beiden Jäger Maximilian K. und Nielson V. stehen bereits in voller Montur vor dem Eingang des Schießsimulator-Raums. Schweiß tropft den Rekruten die Wangen herunter. Sie bewegen sich nicht, warten auf Anweisungen.
Viele bringen Spezialkenntnisse mit
Die Ausbildung ist Teil des Projekts "Ungediente für die Reserve" des Landeskommandos Hessen auf dem Truppenübungsplatz im bayrischen Hammelburg. Die Reserve unterstützt die Bundeswehr bei den verschiedensten Aufgaben. Dabei können die Reservisten Spezialkenntnisse aus dem zivilen Berufsleben mit einbringen, wie die Bundeswehr auf ihrer Internetseite schreibt. "Es bietet deutschen Staatsbürgern die Möglichkeit, noch einmal in die Bundeswehr aufgenommen zu werden, um dann in der Reserve unterzukommen", sagt Truppenübungsleiter H.
74 Rekrutinnen und Rekruten haben diesmal an der Ausbildung teilgenommen, davon 58 aus Hessen. Auch bei Frauen sei das Interesse gewachsen: 15 Rekrutinnen sind demnach diesmal Teil der Ausbildung. Menschen ohne Erfahrung in der Truppe werden hier innerhalb von drei Wochen statt drei Monaten in mehreren Modulen für die Reserve ausgebildet. Bundesweit leisten laut Bundeswehr derzeit etwa 29 000 Reservisten ihren Dienst in Übungen - bei einem Bedarf von rund 60 000.
"Gesellschaftlich ist es so, dass das Interesse deutlich gestiegen ist im Vergleich zur Vergangenheit", sagt H. "Wir haben aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft kommende Menschen, die gerne einen Beitrag leisten möchten - und das auch im Rahmen der Bundeswehr." Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine spiele eine tragende Rolle, weshalb das Interesse an der Reserve gestiegen sei, sagt der Major.
Mit dem Krieg in der Ukraine ist die deutsche Armee ohnehin wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Bundesregierung will die Bundeswehr mit dem Sonderprogramm von 100 Milliarden Euro stärken und damit Lücken bei der Ausrüstung schließen.
"Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass Krieg vor der Haustür keine Fiktion mehr ist. Und das unterstreicht die Notwendigkeit, auch bei uns einsatzbereit zu sein - dazu gehört auch die Reserve", sagt der Journalist Alex D. Er ist seit Kurzem Reserveoffiziersanwärter außerhalb des Wehrdienstes geworden. "Ich kann mir auch vorstellen, dass man in dem Fall - den keiner will - auch auf mich zurückkommt."
Major Christian H. hat ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Münchener Universität der Bundeswehr absolviert und ist seit 2008 mit der Bundeswehr verbunden. 2020 hat er noch ein Studium in Finanzen drangehängt. "Ich weiß noch nicht genau, wo ich in Zukunft hin will", sagt der 37-Jährige. "Ich mache das gerade als Reservedienstleistung." Seit Ende 2021 ist H. als Leiter für das "Projekt Ungedienter" in Hessen verantwortlich.
"Das Handwerkszeug eines Soldaten ist immer das Gewehr", erklärt Major H. die Ausbildung. Das steht auch heute hier im Mittelpunkt: Ladetätigkeiten, Zerlegen und Zusammensetzen einer Waffe oder auch die Simulation eines scharfen Schusses - zumindest fürs Erste.
Der Schusswaffensimulator wirkt wie ein übergroßer Bildschirm. Maximilian K. und Nielson V. liegen inzwischen auf ihren Positionen. Es wird der Umgang mit der Waffe trainiert und der Schuss simuliert. "Das ist einfacher zu machen als auf der Schussbahn - und birgt auch weniger Gefahren", sagt Projektverantwortlicher H.
Alter im Schnitt: 35 Jahre
Das Durchschnittsalter der Reservisten liegt der Bundeswehr zufolge bei etwa 35 Jahren. Der 23-jährige Nielson V. ist Lehramtsstudent in Geografie, Sport und Ethik. Über einen Kommilitonen habe er von dem Programm gehört: "Ich lebe in einem Staat, der mir sehr viel gibt und wo ich schon das Gefühl und die Verpflichtung habe, was zurückgeben zu wollen."
Maximilian K. ist Risikomanager einer Bank. In die Bundeswehr wollte der 36-Jährige schon immer. "Jeder Kamerad ist eine helfende Hand, und die Kameradschaft ist wirklich sehr gut", sagt er. "Der Umgang mit dem Sturmgewehr ist etwas sehr Wichtiges. Es ist unser Handwerkszeug, das müssen wir beherrschen und deswegen müssen wir auch Routine da reinbringen. Auch bei der Hitze."
Von Serhat Kocak