Pro Familia bietet ein Hilfetelefon für Frauen mit gewalttätigen Männer an. Die Darmstädter Beratungsstelle bereitet aufgrund der Corona-Krise Online-Gruppengespräche vor.
DARMSTADT. Frauenhäuser, Beratungsstellen, Kinderschutzbund und Opferorganisationen machen sich derzeit große Sorgen um die mögliche Zunahme von – auch sexualisierter – Gewalt gegen Frauen und Kinder durch die coronabedingten Kontaktsperren und Ausgangsregeln. Wenn Familien auf engstem Raum aufeinanderhocken, Betreuung, Homeschooling, Homeoffice und die Beziehung wuppen müssen, verschärft das den Stress und erhöht die Gefahr eines Ausbruchs von Gewalt. Zahlen aus China und Italien, wo die Bevölkerung zum Teil monatelang ihre Wohnungen nicht verlassen durfte, belegen diese Befürchtungen.
Sorgen machen sich auch die, die mit den Tätern arbeiten. Pro Familia hat ein Beratungs- und ein Gruppengesprächsangebot für gewaltbereite Männer. Deren zweiwöchentliche Treffen sind derzeit ebenso wenig möglich wie Besuche auf Spielplätzen oder Sport im Verein. Deswegen bereitet die Beratungsstelle Online-Gruppengespräche über ein Videokonferenzsystem vor und weitet ihre telefonische Sprechstunde aus. Zweimal in der Woche für zwei Stunden gibt es sie als festes Angebot.
Der Puffer fällt weg
„Das Kontaktverbot führt zu einer ungewohnten sozialen Situation“, erläutert Frank Scheckeler von Pro Familia. „Für Männer, die gefährdet sind, kann es sein, dass sie ins Negative kippen.“ Der Puffer, den die Außenwelt für Konflikte bietet – der Situation einfach zu entfliehen –, falle zurzeit weg. Die wenigsten lebten in Großfamilien, die es möglich machen, konfliktträchtige Beziehungen zu Einzelnen zu meiden und trotzdem weiter soziale Kontakte zu pflegen, einfach weil es genügend andere gibt.
Auch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, sei insbesondere in kleinen Wohnungen, in denen mehrere Menschen aufeinandersitzen, nicht gegeben. Und: „Jede zweite Ehe wird geschieden“, sagt Frank Scheckeler. Man könne also davon ausgehen, dass viele Partnerschaften schon in normalen Zeiten sehr belastet sind, „und jetzt kommt auf die bestehende Belastung noch was drauf“.
In Stresssituationen wird die Perspektive verengt, das Stressempfinden steigt, das Bedrohungsgefühl ebenfalls, Angst führt dazu, dass man nur noch sich selbst wahrnimmt: „Oft wissen Männer nicht, wie sie damit umgehen sollen, und explodieren“, sagt Pro-Familia-Mitarbeiter Scheckeler.
Einschätzung und Entschärfung
In der Beratung geht es darum, den Männern zu zeigen, die Anhaltspunkte eines entstehenden Konflikts wahrzunehmen, zu lernen, wie sie die Situation richtig einschätzen und auch entschärfen können. „Männern fällt es nicht so leicht, mit anderen darüber zu sprechen“, weiß Frank Scheckeler. Frauen besprechen sich mit ihren Freundinnen. Männer behalten es für sich.
Der Ansatz ist nicht defizitorientiert, sondern baut auf den Ressourcen auf, die vorhanden sind. Entwicklung positiver Beziehungsgestaltung und Stärkung ihrer Fähigkeiten zur gewaltfreien Auseinandersetzung, nennt es der der Therapeut. „Wir wollen den Männern Mut machen und auch gucken, wo klappt es schon ganz gut“, sagt Frank Scheckeler. Schließlich sei eine Krise auch immer eine Chance.