Glosse: In der Sprachnachrichten-Hölle

Der Angeklagte löschte wegen einer angeblichen Störung sein Whatsapp-Konto.  Foto: dpa

Unser Autor möchte sich nicht länger auf Whatsapp anhören müssen, was andere zu faul sind, zu tippen. Warum der direkte Kontakt fast immer besser ist.

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MAINZ. Es gibt im modernen Kommunikationszeitalter zahllose Erscheinungen und Gewohnheiten, mit denen „Nutzer“ die Nerven und Lebenszeit ihrer Mitmenschen stehlen: Durchdrehende Facebook-Kommentatoren, sinnlose Mails in sinnlose Mailverteiler, „Der Wendler“ auf Telegram. Zu den wohl am meisten unterschätzten, aber umso mehr Nerven und Lebenszeit stehlenden Angewohnheiten gehört das Aufnehmen (und dann auch noch Versenden!) von WhatsApp-Sprachnachrichten.

Das Handy als Sabberschutz

Aufgenommen (und dann auch noch versendet!) werden sie in der Regel von Menschen, die zu faul sind zum Tippen. Ja, so vereinfacht lässt sich das sagen. Statt zu tippen, laufen solche Sprachnachrichtenabsetzer lieber - das Handy als eine Art Sabberschutz waagerecht vors Kinn gehalten - durch die Stadt und sagen ihrem Handy, was sie eigentlich ihrem Nicht-Gesprächspartner sagen möchten. Anstatt zu tippen. Denn letzteres würde ja voraussetzen, dass man mal kurz innehält und überlegt, was man eigentlich sagen möchte. Bevor man dann drauflos plappert, ein, zwei, x Minuten lang.

Wenn die Sprachnachricht einmal abgeschickt ist, hat der Empfänger zwei Möglichkeiten: Er löscht sie direkt, weil ihn das nervt. Oder er hört halt doch mal hin. Was freilich nicht so einfach ist, wenn man gerade im Meeting ist, im Großraumbüro sitzt oder im Supermarkt an der Kasse steht. Soll ja nicht jeder mitbekommen, was man da gerade zu hören bekommt - und mitten in der Konferenz vor den Kollegen das Handy ans Ohr zu führen und die Nachricht „still“ abzuhören, gehört sich ja auch nicht. Wie schön wäre es in solchen Momenten, wenn man wie gewohnt einfach mal kurz auf sein Handy schauen könnte, was einem gerade geschrieben wurde. Aber eine Sprachnachricht? Kann ja sein, dass sie sich mit reduziertem Aufwand aufnehmen lässt. Aber sie zwingt dem Empfänger geradezu auf, sie mit erhöhtem Aufwand abzuhören. Und das ist schlichtweg: unhöflich.

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Anrufen ist out

Geradezu völlig aus der Mode gekommen scheint inzwischen in bestimmten Kreisen ja, einfach mal „anzurufen“, kurz miteinander zu reden und die Dinge direkt zu klären. Nun ist schwer zu sagen, wer vor allem dazu neigt, Sprachnachrichten aufzunehmen (und zu versenden!). Nicht-repräsentativer Eindruck, mit Blick auf den Bekannten- und Kollegenkreis: Je jünger (bei Männern) und je weiblicher (generell), desto eher: waagerecht gehaltenes Handy als Sabberschutz, plappern statt tippen. Zudem ist es offensichtlich so: Greifen im Bekanntenkreis des eigentlichen Bekannten dessen Bekannte gerne zur Sprachnachricht, neigt auch der eigentliche Bekannte zu derselben.

Im Zweifel zwei Mal lesen

Haben Sie ihn verstanden, diesen vorhergehenden Satz? Ok, den muss man vielleicht ein paarmal LESEN, bevor man ihn verstanden hat. ABGEHÖRT wäre er vermutlich unverstanden durchgerauscht. Und man hätte ihn nochmal ABHÖREN müssen. Womit wir beim nächsten Problem sind: Viele Sprachnachrichten versteht man ja gar nicht beim ersten Mal, weder akustisch noch inhaltlich. Und deshalb muss man sie nochmal und nochmal ABHÖREN. Und so gerät man in einen Nerven und Lebenszeit stehlenden Teufelskreis. Es ist die reinste Kommunikationshölle.

Wie kommen wir nun da raus, aus diesem Teufelskreis? Ganz einfach: Einer muss damit anfangen und das Rad zurückdrehen, notfalls mit Gewalt. Sollten Sie also zum Beispiel feststellen, dass Ihre Frau/Freundin/Bekannte (oder: Ihr Mann/Freund/Bekannter) nichts anderes zu tun hat, als sich mit jemand anderem den ganzen Tag über Sprachnachrichten hin und her zu schicken, ohne zu einem Ergebnis zu kommen: Sagen Sie Stopp - so nicht! Gebieten Sie diesem Treiben Einhalt! Nehmen Sie die Dinge buchstäblich selbst in die Hand und rufen Sie, während Sie bei dem einen sind, den anderen auf dem Handy an, und stellen Sie ein direktes Gespräch her. Sie werden überrascht sein über die Reaktionen („Ah, ok, so ist es einfacher“). Und Sie werden feststellen, wie viel Mehr an Lebenszeit Ihnen selbst irgendwann wieder zur Verfügung stehen wird. Die können Sie dann ja auch wieder für Facebook nutzen.