Ist Xavier Naidoo geläutert? Eine Einordnung

Mit seinem Video hat der umstrittene Sänger Xavier Naidoo die Öffentlichkeit überrascht – viele sind jedoch skeptisch, was von seiner Distanzierung von Verschwörungstheorien zu halten ist.         Foto: dpa

In einem Video distanziert sich Xavier Naidoo von Verschwörungstheorien – doch wie glaubhaft ist das? Vieles macht skeptisch, aber es gibt auch Argumente für seine Aufrichtigkeit.

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MAINZ/MANNHEIM. Kann es wirklich sein, dass die Öffentlichkeit gerade Zeuge einer Läuterung wird? Hat bei Xavier Naidoo tatsächlich ein Umdenken stattgefunden? Bei eben jenem Naidoo, der seit Jahren jede abstruse Verschwörungstheorie teilte und verbreitete, der die Nähe der rechtsextremen Reichsbürgerszene nicht scheute, den man einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge zurecht als Antisemit bezeichnen darf? Es sind Fragen, die sich derzeit wohl viele stellen – und nicht wenige sind skeptisch.

Aber der Reihe nach. Sicher ist in jedem Fall: Der umstrittene Sänger, der ursprünglich als Frontmann der Gruppe „Söhne Mannheims“ bekannt wurde, in der Rhein-Neckar-Stadt zuletzt aber gar nicht mehr gerne gesehen war (gegen ein geplantes Konzert in der SAP-Arena formierte sich Protest, ähnlich wie auch gegen einen inzwischen abgesagten Auftritt in Mainz) hat mit einem am Dienstagabend auf Youtube und Instagram hochgeladenen Video alle überrascht. „Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet und habe sie nicht genug hinterfragt“, sagt der 50-Jährige darin und gibt sich geläutert. Er räumt ein, in den vergangenen Jahren „viele Fehler“ gemacht zu haben, und sagt weiter: „Mir wurde bewusst, dass ich meine Familie, meine Freunde, meine Fans, Menschen, die mich verteidigt haben, aber auch viele andere Menschen mit verstörenden Äußerungen irritiert und provoziert habe, für die ich mich entschuldigen möchte.“

Als Grund für seine Kehrtwende nennt Naidoo den Ukraine-Krieg, der ihn „bestürzt und aufgerüttelt“ habe. Seine Frau ist Ukrainerin, und auch er selbst sei oft dort gewesen. Aus „diesem wunderschönen Land“ habe er jetzt „Familie und Freunde herausholen“ müssen, „weil dort Angst und Schrecken herrschen.“

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Noch im März russische Propaganda geteilt

Pikant dabei: Noch Anfang März hatte Naidoo im bei Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen beliebten Messengerdienst Telegram russische Propaganda verbreitet. Das zeigt ein Bericht der „Süddeutschen Zeitung“, in dem es um die zunehmende Instrumentalisierung des Ukraine-Kriegs durch Verschwörungsanhänger und rechte Gruppen sowie die Dominanz russischer Fake News in Telegram-Chatgruppen geht. Den Recherchen der „SZ“ zufolge teilte Naidoo auf Telegram beispielsweise einen Beitrag einer anderen Nutzerin, der den russischen IAngriffskrieg zum Schlag gegen einen angeblichen „Deep State“ in der Ukraine umdeutet. In einem anderen Post verbreitete Naidoo die von „Russia Today“ gestreute Falschnachricht, dass „in US-finanzierten Laboren in der Ukraine [...] mit Coronaviren experimentiert“ worden sei.

Von einem Umdenken Naidoos war kurz nach dem Kriegsausbruch also zunächst wenig zu spüren. Und doch wirkt Naidoos Reue in dem Video aufrichtig. Er gibt an, in der letzten Zeit „viel mit Betroffenen und Freunden“ über den Ukraine-Krieg gesprochen zu haben, wobei er sich „auch kritischen Fragen zu Äußerungen von mir in der Vergangenheit stellen“ musste. Hierfür sei er im Nachhinein dankbar, „denn das war ein Grund für mich, mich kritisch zu hinterfragen“. Von „Theorien, Sichtweisen und teilweise auch Gruppierungen“ denen er sich in den letzten Jahren geöffnet habe will er sich nun „ohne Wenn und Aber“ distanzieren und lossagen. Von welchen genau, bleibt in dem dreiminütigen Video jedoch offen, keine einzige Gruppe, Bewegung oder auch Verschwörungstheorie benennt Naidoo konkret.

Viele Reaktionen auf Naidoos Video sind am Mittwoch daher auch zurückhaltend bis skeptisch. „Fraglich, ob man massig Antisemitismus, Homophobie und Verschwörungsmythen in einem dreiminütigen Instagram-Video wieder glattbügeln kann“, schreibt etwa der auf Antisemitismus-und Extremismus-Themen spezialisierte „Tagesspiegel“-Journalist Julius Geiler beim Kurznachrichtendienst Twitter, und der Politikwissenschaftler Josef Holnburger fordert an gleicher Stelle, es brauche für einen echten Bruch „mehr als ein vages Distanzieren von unbenannten Gruppen und Sichtweisen.“ Im sozialen Netzwerk Facebook fragt Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter von Berlins Jüdischer Gemeinde wiederum: „Kann man vergessen, kann man ihm verzeihen, dass er die antisemitische Fälschung ‚Protokolle der Weisen von Zion‘ ausdrücklich empfohlen hat? Ich kann es nicht.“

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Zweifel an den Motiven von Naidoos Kehrtwende

Etliche Beobachter äußern auch Zweifel an Naidoos Motiven und vermuten, es gehe ihm ums Geld – die Kehrtwende habe also damit zu tun, dass sich seine Musik und Konzerttickets zuletzt schlecht verkauft hätten. Eine Motivation, die auch Roland Imhoff, Professor für Rechts- und Sozialpsychologie an der Universität Mainz und unter anderem auf die Erforschung von Verschwörungsmentalität spezialisiert, nicht ausschließen will. Doch auch das sei an sich noch nichts Verwerfliches. „Wir machen alle viele Dinge aus finanziellen Gründen – und wenn etwas Sinnvolles dabei herauskommt (nämlich eine Stimme weniger, die menschenverachtende Weltbilder verbreitet), umso besser.“ Zwar möchte auch Imhoff nicht darauf wetten, dass es bei Naidoo in Zukunft „kein weiteres Liebäugeln mit manichäischen, dämonisierenden Weltbildern“ geben wird – dennoch sei prinzipiell erstmal jede Distanzierung von menschenfeindlichen Ideologien zu begrüßen.

Den von Naidoo für sein Umdenken angegebenen Kontext hält Imhoff zumindest nicht für unplausibel. „Es gibt keine wirklich belastbare empirische Forschung zu Ausstiegsprozessen, was einem aber immer wieder begegnet, sind biografische Einschnitte und Gefühle der Inkonsistenz zu eigenen Werten“. Es ist damit durchaus denkbar, dass der enge Kontakt zu Menschen, die vom Ukraine-Krieg direkt betroffen sind, bei Naidoo einen solchen Umdenkprozess ausgelöst hat. Zumal es, da es sich in diesem Fall um Freunde und Familienangehörige zu handeln scheint, „direkte persönliche Bezüge gibt, die es erschweren, auch nahestehende Personen als Teil der Verschwörung zu denunzieren“ – was ansonsten Imhoff zufolge ein häufiger Abwehrmechanismus von Verschwörungsgläubigen ist.

Insgesamt scheint es so erstmal keinen Grund zu geben, die Aufrichtigkeit von Naidoos Entschuldigungsvideo aus Prinzip anzuzweifeln. Die Frage ist nur, ob diesem ersten Schritt auch weitere, konkretere folgen werden – erst dann wird man von einer Läuterung sprechen können.

Hier finden Sie unseren Live-Blog zur Lage in der Ukraine.

Von Johanna Dupré