Der Menschheit geht es so gut wie nie zuvor. Zugleich ging es der Erde nie schlechter. Hängt beides zusammen? Volker Mosbrugger kennt die Zusammenhänge.
FRANKFURT. Nie ging es der Menschheit so gut wie heute, und nie ging es der Erde schlechter. „Dem Anspruch der Bibel ,Macht Euch die Erde Untertan!‘ sind wir sehr gut gerecht geworden. Aber wir haben es nicht geschafft, ein nachhaltiges System zu entwickeln“, sagt Volker Mosbrugger, Generaldirektor der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt. Wie sich schon bald das Leben von Millionen von Menschen dramatisch verändern wird, berichtet der Wissenschaftler im Podcast „Schröder trifft“.
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Seine Diagnose für den Patienten Erde ist alarmierend. Täglich verschwinden 100 bis 150 Arten der Tier- und Pflanzenwelt. Allein im Großraum Frankfurt seien in den vergangenen 200 Jahren 300 von 1200 Pflanzenarten erloschen. Wildbienen seien so selten geworden, dass die Bestäubung vieler Bäume und Blumen bereits im großen Stil, teilweise industriell mit Hilfe von Honigbienen, also Haustieren, bewältigt werden müsse. Luftverschmutzung, Bodenerosion, Bodenausbeutung und vor allem die Erwärmung der Atmosphäre veränderten die Umwelt. „Der Erde ist es egal, aber aus unserer Menschenperspektive geht es ihr schlecht, analysiert Mosbrugger.
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Die Menschheit wird es zu spüren bekommen
Und die Menschen werden es ihm zufolge bald deutlicher zu spüren bekommen. Bis zum Ende des Jahrhunderts müssen 200 Millionen Menschen umgesiedelt werden, weil der Meeresspiegel steigt – das ist die optimistische Prognose, sagt der Professor für Evolutionsbiologie und Paläontologie, der sich besonders mit der Klimaveränderung und der Artenvielfalt beschäftigt. Schon heute werde auf Indonesien damit begonnen, die Millionenstadt Jakarta umzusiedeln. Besonders flache Küsten wie die von Bangladesch, aber auch viel näherliegende Regionen wie Florida oder die Niederlande seien gefährdet. Denn die pessimistische Vorhersage besagt, dass bei schneller steigendem Wasserspiegel 600 Millionen Menschen fliehen müssen.
Trotz dieser fast tragischen Aussichten hat der Forscher die Hoffnung nicht verloren. Die Reparatur der Kohlendioxidüberlastung sei eine Ingenieurfrage. Man wisse heute schon, wie viel Energie dafür aufgewendet werden müsse. Das Senckenberg-Museum will dazu beitragen, dass die Menschen erkennen, wie schlimm es um die Erde steht und welche Chancen noch bestehen. Von 6000 auf 14.000 Quadratmeter wird das Haus an der Senckenberg-Anlage erweitert, das viele nur als Herberge der Saurier und Mumien kennen. Mit den Schwerpunkten Mensch, Erde, Kosmos, Zukunft wird das Museum zu einem Labor für alle umgebaut.
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Umdenken dringend erforderlich
Mosbrugger, der Anfang nächsten Jahres in den Ruhestand wechselt, fordert von Politik und Wirtschaft ein Umdenken. Man müsse die drei Elemente People (Mensch), Planet (Umwelt) und Prosperity (Wirtschaft) in ein öko-soziales Wirtschaftssystem verwandeln.
Von Stefan Schröder