Medizin-Nobelpreis: Biontech hat es noch nicht geschafft
Den Biontech-Machern und Ehepartnern Özlem Türeci und Ugur Sahin sowie der Biochemikerin Katalin Karikó werden jedoch noch Chancen auf den Chemie-Nobelpreis eingeräumt.
Von Ralf Heidenreich
Leiter Redaktion Wirtschaft
Curevac-Gründer Ingmar Hoerr (oben links) und Katalin Karikó (unten rechts) gelten als Kandidaten für den Nobelpreis. Auch den Biontech-Gründern Özlem Türeci und Ugur Sahin werden Chancen eingeräumt.
(Fotos: Sascha Kopp, Stefan F. Sämmer, Biontech und dpa)
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MAINZ/STOCKHOLM - Katalin Karikó, Özlem Türeci und Ugur Sahin haben es nicht geschafft: Der Medizin-Nobelpreis, der den Aufstieg in den Wissenschaftsolymp und ein Preisgeld von rund einer Million Euro bedeutet, geht an David Julius (USA) und den im Libanon geborenen Forscher Ardem Patapoutian für ihre Entdeckung von Rezeptoren für Temperatur und Berührung im Körper. Das hat das Nobelpreis-Komitee gerade bekannt gegeben.
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„Die Entdeckung der TRPV1-, TRPM8- und Piezokanäle durch die diesjährigen Nobelpreisträger haben es uns ermöglicht zu verstehen, wie Wärme, Kälte und mechanische Kräfte die Nervenimpulse auslösen können, die es uns ermöglichen, die Welt um uns herum wahrzunehmen und uns an sie anzupassen“, heißt es in der Begründung. Aktuell laufende Forschungsarbeiten, die auf diese Entdeckungen zurückgingen, konzentrierten sich auf die Klärung einer Vielzahl physiologischer Prozesse. „Dieses Wissen wird genutzt, um Behandlungen für eine Reihe von Krankheiten, einschließlich chronischer Schmerzen, zu entwickeln“.
Gegenwind für Sahin und Türeci
Im Vorfeld der Vergabe des Medizin-Nobelpreises gab es heftigen Gegenwind für das Biontech-Paar Özlem Türeci und Ugur Sahin – in Form eines öffentlichkeitswirksamen Briefes eines internationalen Netzwerkes von Hilfsorganisationen an das Nobelpreis-Komitee. Die Unterzeichner würden die wissenschaftliche Leistung des Mainzer Entwicklers und Herstellers des ersten nach den geltenden Regeln zugelassenen Corona-Impfstoffes als „außergewöhnlich“ anerkennen. Sie kritisierten jedoch, dass sich das Unternehmen weigere, „das erfolgreiche Impfstoffrezept mit Herstellern in den Entwicklungsländern zu teilen“, heißt es in dem AFP-Bericht.
Der Nobelpreis sei für diejenigen gedacht, die „der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben“, schreiben Aktivisten. „Stattdessen nutzt Biontech sein Monopol dazu, sehr hohe Preise zu verlangen und über 90 Prozent seiner Impfstoffe nur an reiche Länder zu verkaufen.“ Die Biontech-Macher Sahin und Türeci „unter den derzeitigen Umständen“ mit dem Medizin-Nobelpreis auszuzeichnen, wäre „unverantwortlich“.
Darauf angesprochen, warum die Nobelpreis-Versammlung nicht den Preis für die bahnbrechende Entwicklung eines Corona-Impfstoffes auf Basis von mRNA, also wie jener von Biontech, vergeben habe, antwortete ein Sprecher des Komitees: In der Tat handele es sich wohl auch hier um einen Durchbruch in der Medizin, „aber so arbeiten wir nicht. Wir warten auf die Nominierungen und prüfen sie intensiv. Mehr Details kann ich nicht nennen“, so der Sprecher.
Das Schreiben der Hilfsorganisationen geht AFP zufolge auf das Netzwerk The People's Vaccine zurück, das sich bei Corona-Impfstoffen für die Aufhebung der Vorschriften zum geistigen Eigentum und damit praktisch für die Freigabe der Patente einsetzt. Beteiligt seien Nichtregierungs¬organisationen wie Oxfam und Avaaz sowie die UN-Organisation UNAIDS, hieß es. Unterzeichnet hätten den Brief Menschen, die Corona überlebt hätten, sowie Angehörige von Verstorbenen und medizinisches Personal aus Entwicklungsländern.
Ardem Patapoutian (links) und David Julius (rechts) haben den Nobelpreis für Medizn im Jahr 2021 bekommen.
(Fotos: The Scripps Research Institute / Noah Berger)
Beide hätten mit ihren Forschungen „eines der Geheimnisse der Natur entschlüsselt“, so die Begründung weiter. David Julius habe Capsaicin, eine scharfe Verbindung aus Chilischoten, genutzt, „die ein brennendes Gefühl hervorruft, um einen Sensor in den Nervenenden der Haut zu identifizieren, der auf Hitze reagiert“. Ardem Patapoutian wiederum verwendete „druckempfindliche Zellen, um eine neue Klasse von Sensoren zu entdecken, die auf mechanische Reize in der Haut und in inneren Organen reagieren“.
Noch Chancen am Mittwoch?
Die Biontech-Gründer, Macher und Ehepartner Sahin und Türeci sowie die ungarische Biochemikerin Karikó, die heute bei Biontech als Senior Vice President ein eigenes Forschungsteam leitet, werden Experten zufolge aber noch Chancen auf den Chemie-Nobelpreis eingeräumt. Denn die Basis für die Corona-Impfstoffe von Biontech und Moderna bildet ein biochemisches Verfahren mit Messenger-RNA (mRNA). Die beiden Nobelpreise werden von unterschiedlich zusammengesetzten Gremien vergeben. Karikó legte mit ihren Forschungen an mRNA einen Grundstein, damit die Corona-Impfstoffe von Biontech und Moderna überhaupt wirken können.
Am Vormittag der Verleihung des Medizin-Nobelpreises waren zahlreiche Medienvertreter zum Biontech-Sitz nach Mainz gekommen.
(Foto: Sascha Kopp)
Mit Auszeichnungen förmlich überschüttet
Welche Chancen auf den Nobelpreis bestanden, war bis zuletzt unklar. Auch wenn Sahin, Türeci und Karikó in den Monaten zuvor mit Auszeichnungen förmlich überschüttet wurden. So erhielt Karikó zusammen mit dem US-Immunologen Drew Weissman, einem langjährigen Weggefährten bei der RNA-Forschung, den Rosenstiel Award, den Lasker Award, der auch als Nobelpreis der USA bezeichnet wird, sowie gemeinsam mit Sahin und Türeci den Paul Ehrlich-Preis. Die Auszeichnungen gehören zu den bedeutendsten Ehrungen in der medizinischen Forschung. Viele Preisträger bekamen später einen Nobelpreis.
Sahin, Türeci und Karikó (gemeinsam mit Weissman) wurden zwar insbesondere in den Medien als Kandidaten für einen Nobelpreis gehandelt, in der maßgeblichen Prognose des US-Datenanalysekonzern Clarivate tauchten sie jedoch nicht auf. Jedes Jahr benennt das zum Konzern gehörende Institute for Scientific Information (ISI) Wissenschaftler als Nobelpreis-Favoriten, deren Arbeiten in hochrangigen wissenschaftlichen Publikationen besonders häufig veröffentlicht beziehungsweise zitiert wurden. Seit 2001 benannte das ISI mehr als 360 Favoriten (mehrere pro Kategorie), von denen 59 dann einen Nobelpreis erhielten.
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