Bundespräsident Steinmeier vor Ort: Dürfen Hoffnung der Hochwasseropfer nicht enttäuschen. Der Wasserstand in den überfluteten Regionen sinkt, die massiven Folgen werden sichtbar.
AHRWEILER/ERFTSTADT. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu anhaltender Hilfe für die Opfer der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands aufgerufen. "Die Unterstützungsbereitschaft, sie muss anhalten, im Großen wie im Kleinen", sagte er am Samstag bei einem Besuch im nordrhein-westfälischen Katastrophengebiet an der Erft. Vielen Menschen in den Hochwassergebieten sei "nichts geblieben, außer ihrer Hoffnung. Und diese Hoffnung dürfen wir nicht enttäuschen", sagte Steinmeier in Erftstadt. Der Bundespräsident hatte sich zusammen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) über die Lage in Erftstadt informiert, wo in den vergangenen Tagen Regenfluten verheerende Schäden angerichtet haben.
"Ihr Schicksal zerreißt uns das Herz"
Steinmeier: "Wir sehen Gemeinden, die von Verwüstung, von Zerstörung gezeichnet sind." Den größten Verlust hätten aber die zu tragen, die Familienangehörige, Freunde, Bekannte verloren haben. "Ihr Schicksal zerreißt uns das Herz", sagte Steinmeier.
Die Menschen in den Hochwassergebieten vertrauten darauf, dass die jetzt gezeigte Solidarität auch weiter bestehe, wenn die Tragödie nicht mehr die Titelseiten der Tageszeitungen bestimme. "Jeder kann seinen Teil dazu beitragen, dass ein wenig von der Not der Menschen hier in den betroffenen Regionen gelindert wird", sagte Steinmeier und verwies auf Spendenkonten.
Der Bundespräsident dankte den Helfern bei der Flutkatastrophe. Viele hätten "bis zur Erschöpfung und jenseits davon gearbeitet". Wer in ihre Gesichter schaue, der könne erahnen, "welches Leid die Menschen hier in dieser Region ertragen".
Suchen, retten, aufräumen - Nach der Flut werden die Folgen deutlich
Während sich die Wassermassen aus vielen Flutgebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz langsam zurückziehen, wird in den Trümmern der Katastrophengebiete weiterhin nach Todesopfern gesucht. Bis zum Samstagmittag stieg diese Zahl auf mehr als 130. Allein im Großraum Ahrweiler kamen nach Angaben der Polizei über 90 Menschen ums Leben. Es sei zu befürchten, dass noch weitere hinzukämen, teilte die Polizei Koblenz mit. Hunderte Menschen wurden laut Polizei verletzt - auch diese Zahl könne noch steigen.
Für die ebenfalls besonders schwer betroffene Region um das nordrhein-westfälische Erftstadt befürchtet Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) ebenfalls Schlimmeres: "Wir gehen von mehreren Toten aus, wissen es aber nicht", hatte er am Freitag in Düsseldorf gesagt. Trotz mehrerer eingestürzter Häuser gab es bis zum Samstagmittag aber keine bestätigten Todesopfer in dem extrem unter Wasser stehenden Stadtteil Blessem.
Es ist mit weiteren Todesopfern zu rechnen
Skeptisch äußerte sich dort jedoch ein Kreissprecher: Da die Arbeiten der Rettungskräfte noch in vollem Gange seien, könne man nicht ausschließen, noch Todesopfer zu finden, sagte er am Samstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Die Lage sei weiterhin angespannt. In Blessem südwestlich von Köln war es zu gewaltigen Erdrutschen gekommen, es bildeten sich Krater im Erdreich, drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein.
Mehr als zwei Tage nach dem Unglück werden in den Regionen immer noch Menschen vermisst. Tausende Rettungskräfte sind unter anderem in der Eifel im Einsatz. Auch dort hatten die Wassermassen in der Nacht zum Donnerstag ganze Orte verwüstet. In Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben des NRW-Innenministeriums landesweit mindestens 43 Todesopfer und viele Verletzte. Für Rheinland-Pfalz hatte Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) am Freitag von 362 Verletzten gesprochen.
Steinmeier und Laschet vor Ort
Am Samstagmittag besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Rettungskräfte in Erftstadt und sprach unter anderem in der Feuerwehrleitzentrale mit Helfern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Sonntag in der schwer verwüsteten Region in Rheinland-Pfalz erwartet. Dies bestätigte die Staatskanzlei in Mainz am Samstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Details würden noch geklärt. Zunächst hatte die "Bild am Sonntag" darüber berichtet.
Langsam zieht sich das Wasser aus vielen Regionen wieder zurück. In Köln erreichte das Rhein-Hochwasser in der Nacht zum Samstag seinen Höchststand mit 8,06 Metern, danach fiel laut Städtischen Entwässerungsbetrieben der Wasserstand wieder. Auch nach der Frühwarnprognose des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz hat sich die Hochwassergefahr zuletzt verringert. In vielen Ortschaften ist das Strom- und Telefonnetz weiter ausgefallen. Angehörige, Freunde oder Bekannte, die jemanden vermissen, können sich unter der Rufnummer 0800-6565651 bei der Polizei melden.
Straßen nicht befahrbar oder gesperrt
Im Ahrtal sind etliche Straßen weiterhin gesperrt oder nicht mehr befahrbar. Durch das Abfließen der Wassermassen werden dort und an der Mosel die von den Fluten angerichteten Schäden sichtbar. Auch die Infrastruktur hat schweren Schaden genommen: In dem besonders stark betroffenen Landkreis Ahrweiler sind Brücken zerstört, der Zugverkehr ist in Rheinland-Pfalz wegen der Überflutungen weiterhin massiv beeinträchtigt.
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Rettungskräfte sind weiter auf der Suche nach Toten, Verletzten und Vermissten. Allein in Nordrhein-Westfalen sind nach Angaben des Landesinnenministeriums rund 22.000 Einsatzkräfte von Feuerwehr und Hilfsorganisationen wie dem Technischen Hilfswerk (THW) oder der Deutschen Lebens Rettungsgesellschaft (DLRG) an den Rettungsarbeiten beteiligt. Hinzu kämen 700 Beamte der Landespolizei und Kräfte der Bundespolizei sowie Einsatzkräfte aus Hessen, Niedersachsen und Hamburg.
Im nordrhein-westfälischen Wassenberg an der Grenze zu den Niederlanden wurde nach dem Bruch eines Damms des Flusses Rur der Stadtteil Ophoven evakuiert, rund 700 Menschen wurden in Sicherheit gebracht. Die Straßen des Stadtteils standen unter Wasser. Die Lage war am frühen Morgen laut Mitteilung der Stadt weiter angespannt. Der zuständigen Kreispolizei Heinsberg und der Bezirksregierung Köln waren am Morgen aber keine besonderen Vorkommnisse aus der Nacht bekannt. "Insgesamt stagnieren die dortigen Wasserpegel derzeit", teilte die Stadt Wassenberg mit.
Dreyer: "Das Leid nimmt auch gar kein Ende"
NRW-Ministerpräsident und Unions-Kanzlerkandidat Laschet beklagte am Freitag eine "Flut-Katastrophe von historischem Ausmaß". Seine Amtskollegin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), nannte die Lage "weiterhin extrem angespannt in unserem Bundesland". Sie fügte in Trier hinzu: "Das Leid nimmt auch gar kein Ende."
Hochwasser: So können Sie jetzt helfen
Im dortigen Stadtteil Ehrang waren die Aufräumarbeiten am Samstag in vollem Gang. "Da stapeln sich die Berge von Sperrmüll", sagte ein Stadtsprecher. Erste Anwohner gingen zurück in die Häuser. "Wer da geschlafen hat, hatte kein Wasser und keinen Strom." Betroffen sind der Stadt zufolge 670 Häuser, bei denen im Keller und Erdgeschoss fast alles zerstört wurde.
Dreyer beklagte schwere Versäumnisse beim Klimaschutz in Deutschland. "In den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland vieles nicht umgesetzt, was notwendig gewesen wäre", sagte die Mainzer Regierungschefin der vom Hochwasser besonders stark betroffenen Regionen den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Der Klimawandel sei angesichts der jüngsten Dürren und Unwetter nichts Abstraktes mehr. "Wir erleben ihn hautnah und schmerzhaft." Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reiste nach dem Abbruch ihres Urlaubs in die Krisengebiete. Wie eine Sprecherin am Freitagabend mitteilte, wollte sich die Parteichefin vor Ort über die Lage der Menschen informieren. Dabei verzichte sie bewusst auf Pressebegleitung oder öffentliche Auftritte. Den Angaben zufolge traf Baerbock am Freitag in Mainz ein. Auf Twitter schrieb sie dazu: "Die Gespräche gehen unter die Haut. Nach wie vor sind nicht alle Orte erreicht, Menschen weiter abgeschnitten. Zugleich gibt es eine unglaubliche Solidarität zu helfen, Betroffene zu Hause aufzunehmen und zu unterstützen." Für Samstag sind weitere Termine Baerbocks in Nordrhein-Westfalen angesetzt.
Von dpa