Mehrere Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann. Es geht um Sex, K.O.-Tropfen und ein dubioses Casting-System. Was ist bekannt? Fragen & Antworten.
Berlin/Mainz.Mehrere Frauen haben schwere Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann erhoben – es geht um mögliche Übergriffe, Machtmissbrauch, K.O.-Tropfen und ein dubioses Casting-System, durch das womöglich weibliche Fans für sexuelle Begegnungen mit Lindemann gecastet werden. Was genau steht im Raum? Ein Überblick in Fragen & Antworten.
Wie kam der Skandal ins Rollen?
Unter der Hand zirkulierten Vorwürfe über dubiose Vorgänge hinter den Kulissen von Rammstein-Konzerten schon länger – die „Welt am Sonntag“ berichtet, dass sich bereits im Oktober 2022 erste Informanten bei der Zeitung gemeldet hätten. Ins Rollen kam der Skandal aber erst jetzt, Ende Mai, durch einen Post einer jungen Frau aus Nordirland, Shelby Lynn, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Ich bin das Mädchen, das bei Rammstein gespiked wurde“, schreibt sie darin. „Spiken“ bedeutet hier, unwissentlich unter Drogen gesetzt worden zu sein.
Welche Vorwürfe erhebt Shelby Lynn?
Shelby Lynn wirft Rammstein vor, während des Konzerts der Band im lettischen Vilnius in der Partyzone im Backstagebereich gegen ihren Willen unter Drogen gesetzt worden zu sein – womöglich, um sie sexuell gefügig zu machen. Lindemann habe ihr und anderen Frauen Tequila gereicht. Nach dem Trinken habe sie sich sehr unwohl und schwindelig gefühlt, was nur durch Alkohol nicht zu erklären sei, und nur lückenhafte Erinnerungen an den Rest des Abends. Nach dem Konzert habe Lindemann mit ihr Sex haben wollen und sei wütend geworden, als sie dies verweigerte. Eine Vergewaltigung wirft sie ihm nicht vor, sagt aber, dass sie nach dem Abend mehrere neue Hämatome an ihrem Körper entdeckt habe.
Dieser Tweet von Shelby Lynn brachte den Skandal ins Rollen:
Werden Shelby Lynns Vorwürfe durch die Aussagen weiterer Frauen bestätigt?
Ja, Medien wie der „Welt“, der „Süddeutschen Zeitung“ und dem NDR liegen die Aussagen mehrerer Frauen vor, die Lynns Geschichte auffallend ähneln, mehr als 30 Frauen haben sich auch direkt auf Lynns Post hin gemeldet. Viele von ihnen glauben, unter Drogen gesetzt worden zu sein. Von dezidierten Vergewaltigungen berichtet derzeit keine von ihnen, allerdings teils von als gewaltvoll erfahrenem Geschlechtsverkehr oder Verletzungen. Und fast alle erzählen, dass sie Teil eines ausgeklügelten „Casting-Systems“ waren, über das sie in die „Row Zero“ – die allererste Zuschauerreihe im Konzert – eingeladen wurden.
Welche Rolle spielt die „Casting-Direktorin“ Alena Makeeva?
Ein Name taucht im Zusammenhang mit der Affäre immer wieder auf: Alena Makeeva, eine russische Schauspielerin, die sich selbst als Rammsteins „Casting-Direktorin“ bezeichnet. Sie sei, so die Aussage eines Musikindustrie-Mitarbeiters gegenüber der „Welt“, „besessen“ von Lindemann, und verschaffe sich seine Aufmerksamkeit, in dem sie ihm junge Frauen zuführe. In Internetforen, berichtet Shelby Lynn, habe sich herumgesprochen, dass man über Makeeva Zugang zu Band-Partys kriegen könne. Makeeva soll sich demnach Fotos der Fans schicken lassen, ihnen Dress-Code-Regeln geben und sie in eine private Whats-App-Gruppe einladen, damit sie in die „Row Zero“ kommen. Dort würden die Frauen dann von Konzertmitarbeitern gefilmt. Menschen aus dem Umfeld der Band äußerten gegenüber der „Welt“ die Vermutung, dass Lindemann sich die Aufnahmen ansehe, um zu entscheiden, wer auf die Partys kommen darf.
Wie reagiert die Band?
„Die Vorwürfe haben uns alle sehr getroffen und wir nehmen sie außerordentlich ernst“, schrieben Rammstein am Samstag in einem Post auf Instagram. Sie verurteile „jede Form von Übergriffigkeit“, so die Band, die dazu aufrief, sich „nicht an öffentlichen Vorverurteilungen jeglicher Art denen gegenüber“ zu beteiligen, „die Anschuldigungen erhoben haben. Sie haben ein Recht auf ihre Sicht der Dinge.“ Rammstein-Fans haben sich in sozialen Netzwerken abschätzig über Shelby Lynn geäußert. Lynns Vorwürfe zum Vilnius-Konzert streiten Rammstein jedoch ab und schreiben: „Wir, die Band, haben aber auch ein Recht – nämlich ebenfalls nicht vorverurteilt zu werden.“
So reagieren Rammstein auf Instagram:
Was hat es mit der Reaktion des Verlags Kiepenheuer & Witsch auf sich?
Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat bekannt gegeben, die Zusammenarbeit mit Lindemann zu beenden. Er hatte dort zwei Gedichtbände veröffentlicht. In den Texten geht es teils auch um sexuelle Gewalt – am offensichtlichsten im Gedicht „Wenn du schläfst“ (2020), in dem K.O.-Tropfen eine Rolle spielen. „Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst“, heißt es darin etwa. Oder: „Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen“. Freilich sollte man das lyrische Ich zunächst nicht mit Lindemann gleichsetzen, der bekannt ist für seine Freude an der Provokation. Die Trennung zwischen lyrischem Ich und Autor sieht der Verlag nun, auch vor dem Hintergrund eines 2020 erschienen Porno-Gewalt-Videos, jedoch als kaum noch möglich an.
Der Post des Verlags Kiepenheuer & Witsch auf Twitter:
Was bedeutet der Skandal für die laufende Rammstein-Tour?
Rammstein sind aktuell auf Europa-Tour und treten im Juni vier Mal im Münchner Olympia-Stadion auf. Laut Stadt München und Olympiapark GmbH wurden sowohl die berüchtigte „Row Zero“ als auch die Backstage-Party für diese Konzerte nun gestrichen. Insgesamt werden 240.000 Fans erwartet.
Könnten die Vorwürfe rechtliche Konsequenzen für Lindemann haben?
Im Fall um Shelby Lynn hat die litauische Polizei nun Ermittlungen aufgenommen. Sollte sich der Verdacht auf das gezielte Verabreichen von Drogen in diesem oder einem anderen Fall bestätigen, gilt: Zumindest in Deutschland zählt das als gefährliche Körperverletzung, darauf steht nach Paragraf 224 des Strafgesetzbuchs eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Das gezielte Betäuben für Sex gilt als sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung.