Nach Tat am Frankfurter Hauptbahnhof: Motiv liegt völlig im Dunkeln
Nach der Mordtat im Frankfurter Hauptbahnhof soll Habte A. von einem Psychiater untersucht werden – denn auf das Motiv des 40-Jährigen gibt es bislang noch keinerlei Hinweise.
Von Rainer H. Schlender
Leitung Reporter Rhein-Main/Südhessen
Immer größer wird das Meer aus Blumen, Kuscheltieren und Beileidsbekundungen am Gleis 7 im Frankfurter Hauptbahnhof.
(Foto: dpa)
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FRANKFURT - Noch immer gibt es nicht den kleinsten Hinweis auf das Motiv, das den 40 Jahre alten Habte A. zu seiner Mordtat im Frankfurter Hauptbahnhof getrieben haben könnte. Auch vor dem Haftrichter hatte der in der Schweiz lebende Mann aus Eritrea dazu keine Angaben gemacht, wie Nadja Niesen von der Frankfurter Staatsanwaltschaft bestätigte.
Habte A. hatte am Montagvormittag eine 40 Jahre alte Frau und ihren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden ICE gestoßen. Während die Mutter sich in allerletzter Sekunde retten konnte, wurde der Junge von dem Zug überrollt. Eine 78 Jahre alte Frau, die der Eritreer ebenfalls auf die Gleise stoßen wollte, stürzte und kam mit dem Schrecken und einer Schulterverletzung davon.
Überfall an Gleis 7 hat im ganzen Land für Erschütterung gesorgt
Nach Angaben der Schweizer Polizei war der Täter, der im Kanton Zürich mit seiner Frau und drei kleinen Kindern lebte, seit Anfang des Jahres in psychiatrischer Behandlung. Die Frage der Schuldfähigkeit wird deshalb auch bei den Ermittlungen in Deutschland eine besondere Rolle spielen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord und versuchten Mord in zwei Fällen vor. So bald wie möglich solle der Mann von einem Psychiater begutachtet werden, sagte Oberstaatsanwältin Niesen am Mittwoch.
Habte A. war den bisherigen Ermittlungen zufolge bei der Tat weder betrunken, noch hatte er Drogen genommen. Sprecher der Schweizer Polizei erklärten zudem, es gebe keinerlei Hinweise auf ein ideologisches Motiv des Mannes, der christlich-orthodoxen Glaubens ist und bereits seit 2006 in der Schweiz lebt.
Der brutale Überfall an Gleis 7 hat im ganzen Land für Erschütterung gesorgt. Viele Menschen empfinden es als besonders traumatisch, dass ein kleines Kind zum Opfer der Wahnsinnstat wurde. „Dass jemand völlig unbekannte Menschen aus Mordlust oder wegen einer psychischen Erkrankung vor den Zug stößt, scheint eine neue und unbeherrschbare Gefahr zu sein“, sagte dazu Borwin Brandelow, Professor für Psychiatrie in Göttingen in einem Interview, und fügte hinzu: „Deshalb können wir nur schwer damit umgehen.“
Mutter und Sohn waren auf dem Weg in den Urlaub
Der Münchner Psychiatrie-Professor Franz Joseph Freisleder weist ebenfalls darauf hin, dass es besonders schwer sei, „das Unbegreifliche erklären zu wollen“. Allerdings betont er auch, dass die meisten Verbrechen nicht von psychisch Kranken begangen werden. Auch wer starke psychische Auffälligkeiten zeige, könne meistens trotzdem entscheiden, ob er einen anderen Menschen angreifen wolle oder nicht.
Freisleder betont in diesem Zusammenhang, dass entgegen der öffentlichen Wahrnehmung solche Taten sehr selten sind. Und auch der Psychologe Brandelow spricht von einem „singulären Ereignis“. Allerdings ruft er in Erinnerung: „Am Bahnsteig war es immer schon gefährlich.“
Keine Einzelfälle sind ähnlich schreckliche Erlebnisse für Lokführer. Nach Angaben der Bahn nehmen sich jedes Jahr etwa 700 Menschen auf der Schiene das Leben. Lokführer, die das miterleben müssen, können auf Wunsch den Arbeitsplatz wechseln.
Mutter und Sohn waren auf dem Weg in den Urlaub nach Österreich, als sie an Gleis 7 auf den Zug warteten. Nach Informationen einer Frankfurter Zeitung war die Schwester des getöteten Jungen zur selben Zeit im Auto der besten Freundin ihrer Mutter unterwegs; die Zwölfjährige hatte keine Lust auf Zug fahren. Alle sind im Hochtaunuskreis zu Hause. Am Urlaubsort wollten sie sich wieder treffen. Doch war der Urlaub zu Ende, bevor er begann. An einer Autobahnraststätte wurde ihnen von Polizisten und Seelsorgern die Schreckensnachricht überbracht. Jetzt kümmern sich die Großeltern um das Mädchen.