Gastkommentar von Necla Kelek: Sprache ist der Schlüssel
Carsten Linnemann hat Recht, findet unsere Gastautorin: Das Bestehen auf Deutschkenntnissen als Voraussetzung für die Einschulung ist keine Zumutung - im Gegenteil.
Von Necla Kelek
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
Im August beginnt in den meisten Betrieben die Ausbildung. Nach Meldungen der deutschen Wirtschaft blieben 2018 fast 58 000 Lehrstellen unbesetzt. In diesem Jahr sieht es nicht anders aus. Gleichzeitig begann - nach Auskunft des Bundesinstituts für Berufsausbildung BBIB - in den letzten Jahren nur jeder fünfte Jugendliche mit türkisch-arabischen Migrationshintergrund eine Ausbildung. Und 70 Prozent der Flüchtlinge brechen nach Informationen der Handwerkskammer Bayern die Ausbildung wieder ab. Bei allen Auszubildenden ist es jeder Vierte, bei Azubis mit Migrationshintergrund jeder Dritte.
Der Hauptgrund liegt nach Angaben der Ausbildungsbetriebe in mangelnden Deutschkenntnissen, die nicht nur bei Flüchtlingen, sondern auch in Deutschland geborenen Migrantenkindern festgestellt wurden. Funktioneller Analphabetismus, fehlende Grundkenntnisse in den Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen verhindern immer öfter einen Ausbildungserfolg. Deshalb ist es unverständlich, wenn sich einige Politiker von den Linken bis zu CDU und auch Universitätspädagogen gegen den CDU-Politiker Carsten Linnemann positionieren, weil er einen Sprachtest und Sprachförderung in der Vorschule für Kinder anregt, die im Elternhaus nicht ausreichend Deutsch gelernt haben. Chancengleichheit und Ausbildungsfähigkeit haben ihren Ausgangspunkt in der Grundschule und wer so tut, als würde "Kiezdeutsch" für eine Ausbildung qualifizieren, ist einfach nur zynisch.
Die Leidtragenden dieser Versäumnisse sind wieder einmal vor allem die Mädchen und jungen Frauen, meist mit muslimischem Migrationshintergrund. Denn bei ihnen kommt noch ein weiteres Handicap hinzu. Viele religiös orientierte Muslime halten für ihre Töchter das Aufgebot zur Heirat erstrebenswerter als Abitur, Ausbildung oder Berufstätigkeit. Und wenn es denn tatsächlich doch eine Ausbildung sein sollte, fällt eine Reihe von Berufen aus religiösen Gründen oder aus Gründen der "Familienehre" weg. Die Gründe sind Alkohol, Schweinefleisch und fremde Männer, mit denen die Frauen nicht in Berührung kommen dürfen. Denn dort, wo Alkohol und Schweinefleisch verkauft, verarbeitet und konsumiert wird, hat eine "ehrbare" muslimische Frau nichts zu suchen. Also weder im Supermarkt, an der Fleischtheke oder in der Gastronomie ist sie sicher. Selbst als Herrenfriseurin kann sie als Frau nicht arbeiten und als Krankenschwester oder Altenhelferin müsste sie mit Männern umgehen. Als Bäckerin müsste sie früh aus dem Haus. Auch im Bereich Sport, Musik, Theater, Schauspiel ist sie nach diesen Vorstellungen fehl am Platz, weil sie sich nachts und unter Fremden bewegen und zeigen müsste.
UNSERE GASTAUTORIN
Necla Kelek ist eine preisgekrönte Publizistin, Soziologin und Menschenrechtlerin.
So bleibt denn den muslimischen Mädchen dieser Familien die Perspektive der Erzieherberufe, wenn sie gut in der Schule waren und ihre Eltern so gnädig sind, als kaufmännische Angestellte, Lehrerin oder sehr begehrt als Anwältin. Das heißt Bereiche, wo sie ihren Islam verteidigen und lehren können. Alles Vorurteile und Diskriminierung, sagen einige Migrationsforscher und Islamversteher. Doch 60 Prozent der türkischstämmigen Frauen in Deutschland haben unter anderem aus diesen Gründen gar keine Ausbildung angefangen oder abgeschlossen. Sie werden traditionell nach dem Schulabgang verheiratet, arbeiten als sogenannte "mithelfende Familienangehörige" ohne eigene Sozialversicherung als Hilfskraft im Gemüseladen ihrer Verwandtschaft oder sind mit den unsichtbaren Dienstleistungen als Reinigungskraft tätig. Für diese Frauen gilt in der Praxis der Gleichheitsgrundsatz der Verfassung nur eingeschränkt.
Der Weg aus diesem Ausbildungs- und Emanzipationsdilemma beginnt tatsächlich, wie Carsten Linnemann fordert, mit dem kleinen Schritt des Spracherwerbs im Kindergarten, mit der Chancengleichheit in der Grundschule. Dort müssen den Kindern auch Werte wie Freiheit und Selbständigkeit vermittelt werden, dort müssten sie lernen, sie selbst zu sein, damit sie später als freie Bürgerin Verantwortung übernehmen können und einen Beruf ihrer Wahl ergreifen.