Gastkommentar von Necla Kelek: Verbrechen im Namen der Ehre
Die Opfer von Ehrenmord und Zwangsverheiratung werden meistens schnell vergessen. Dabei wäre es so wichtig, konsequent die Täter zu verfolgen, findet Gastautorin Necla Kelek.
Von Necla Kelek
Necla Kelek.
(Foto: Kelek)
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Es gibt Politiker, die sehen gern nur nach vorn. Die Opfer von Mordanschlägen wie in Columbo, Christchurch oder am Breitscheidplatz in Berlin werden von ihnen betrauert, um uns im gleichen Augenblick darauf hinzuweisen, dass „Hass unsererseits … nicht die Lösung sein“ kann. So twitterte Außenminister Heiko Maas nach den Anschlägen in Sri Lanka.
Die Opfer werden meist schnell vergessen, weil mit ihnen keine Zukunft zu machen ist. Wie mit den 51 Frauen, die 2017 in Deutschland Verbrechen „im Namen der Ehre“ zum Opfer fielen, oder im selben Jahr die 570 jungen Frauen, die in Berlin zwangsverheiratet werden sollten. Wer von ihnen als „Ferienbraut“ in der Türkei oder Marokko verheiratet wurde und verschwand, wissen wir nicht.
Wie viele junge Mädchen in diesem Sommer Opfer von „Ferienbeschneidungen“, das heißt Genitalverstümmelungen während des Heimaturlaubs zum Beispiel in Ägypten, Äthiopien oder dem Sudan werden, erfahren wir nicht, denn darüber gibt es auch keine Statistik. Und wo es keine Zahlen gibt, gibt es auch keine Opfer. Und wo keine Opfer aktenkundig sind, da gibt es kein Problem. Jedenfalls für die Bundesregierung, die 2016 das Passgesetz änderte, um Eltern oder Verwandte davon abzuhalten, mit Kindern in den Ferien zur Beschneidung in die alte Heimat zu fliegen. Sie meinte, allein mit der Androhung des Entzugs des Passes wäre für rund 15 000 bedrohte Mädchen die Gefahr der Genitalverstümmelung gebannt. Doch nicht ein Pass wurde entzogen. Es gibt keine Kontrolle, keine Vorsorge, keine Verfolgung.
UNSERE GASTAUTORIN
Necla Kelek ist eine preisgekrönte Publizistin, Menschenrechtlerin und profilierte Kritikerin des politischen Islam. Sie konstatiert: Wenn Mädchen und Frauen Opfer werden, können wir oft nur mit Wut, Trauer und Empörung zurückbleiben.
Wir können nur mit Wut, Trauer, Empörung zurückbleiben – über die Täter und eine Politik, die das duldet und gegebenenfalls betrauert.
In diesen Wochen läuft ein Spielfilm in den Kinos, der nicht um Mitleid buhlt, sondern eine Frau vom Status des Opfers befreit. Er heißt „Nur eine Frau“ und erzählt die wahre Lebensgeschichte der am 7. Februar 2005 von ihrem jüngsten Bruder in Berlin ermordeten Hatun Ayhan Sürücü. Sie wurde mit drei Kopfschüssen hingerichtet, weil ihre Familie es nicht ertragen konnte, dass sie leben wollte „wie eine Deutsche“. Mit der großartigen Idee, Aynur selbst sprechen zu lassen, wird der Film zu einem Memorial für alle jungen Frauen, die gewaltfrei und selbstbestimmt leben wollen. Sie spricht aus dem Off über ihr Leben und reflektiert über ihre Familie. Der Mord an der Schwester erscheint so als der hilflose Versuch, das Konzept einer Vorstellung von Familie zu retten, das davon ausgeht, dass Frauen das zu tun haben, was die Männer wollen. Frauen und Kinder haben in diesen „unheiligen Familien“ keine Rechte, außer sich zu ergeben.
Der Film macht in starken Bildern das räumliche wie geistige Eingesperrtsein fast körperlich erfahrbar und ist absolut authentisch in der Darstellung. Selbst der Mörder und seine Brüder werden mit ihren Zweifeln und Nöten nicht als Killer, sondern als verlorene Söhne eines Systems dargestellt, in dem und für das sie leben, aber an dem sie zwangsläufig zerbrechen. Aus dem kleinen verspielten Jungen wird der verachtende Mörder. Er, seine Brüder, der Vater, die Mutter, die Schwester scheitern an ihrer Vision von Ehre. Sie verlieren ihr Gesicht. Dabei hatte Aynur alles richtig gemacht. Sie strengte sich an, um in der deutschen Gesellschaft anzukommen, sie lernte, übernahm als Alleinerziehende Verantwortung für sich und für ihren Sohn. Sie wurde von Freunden, bei der Arbeit und der Behörde unterstützt. Nur die Polizei nahm ihre Angst vor den Nachstellungen der Brüder nicht ernst.
Der Mörder wurde überführt, weil Melek, ein tapferes junges Mädchen, als Zeugin der Anklage Courage zeigte und sich nicht vom Täter und den Anwälten einschüchtern ließ. Ohne sie wäre der Mord nicht aufgeklärt worden. Ihr gebührt unser Dank. Aynur ist tot, aber sie hat gesiegt, weil sie in unseren Herzen lebt. Sie starb für uns und unsere Freiheit. Sie ist kein Opfer, sondern „Nur eine Frau“, der der Film ein Denkmal setzt.
Sie sollten sich den Film ansehen. Vor den Ferien.