Die Ampel-Koalition bessert das Infektionsschutzgesetz nach. Auch die Union stimmt zu - obwohl sie mehr will. Bundesgesundheitsminister Lauterbach macht eine klare Ansage.
BERLIN. Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie wird es in Deutschland eine Impfpflicht geben - allerdings begrenzt auf Gesundheitspersonal. Dies sowie weitere Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie haben Bundestag und Bundesrat am Freitag beschlossen. Der von der neuen Koalition aus SPD, Grünen und FDP vorgelegten Änderung des Infektionsschutzgesetzes stimmten im Parlament auch die CDU/CSU und in der Länderkammer die unionsgeführten Länder zu.
Beschäftigte in Einrichtungen mit schutzbedürftigen Menschen wie Pflegeheimen und Kliniken müssen nun bis Mitte März 2022 nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind. Neben Ärzten können künftig auch Apotheker, Zahn- und Tierärzte impfen. Möglichkeiten für die Länder zu regional härteren Regelungen werden ergänzt und verlängert.
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Für das Gesetz stimmten 571 Abgeordnete. Es gab 80 Nein-Stimmen und 38 Enthaltungen. Der Bundesrat nahm es später einstimmig an.
In seiner ersten Bundestagsrede als Gesundheitsminister sagte Karl Lauterbach, die Ampel-Koalition habe sich Vieles vorgenommen. "Aber das oberste Ziel ist für uns der Schutz der Bevölkerung in dieser Gesundheitskrise. Wir werden daher alles tun, um diese Krise so schnell wie möglich zu beenden." Dafür werde die Regierung eng mit den "konstruktiv gewählten Teilen der Opposition" zusammenarbeiten. "Diese Pandemie ist eine Aufgabe für uns alle. Das ist keine Gelegenheit für Parteipolitik."
Lauterbach sagte mit Blick auf die neuen Maßnahmen: "Wir geben das Instrument, was notwendig ist, lokal, aber auch bundesweit, die Delta-Welle zu brechen und die Omikron-Welle so gut, wie wir können, zu verhindern." Der Gesundheitsminister betonte: "Bei der Inzidenz, die wir derzeit haben, ist die einzige Alternative zur Schließung von Restaurants und kulturellen Einrichtungen oft die, dass Ungeimpfte dort nicht hineinkommen." Bis Weihnachten müsse die Delta-Welle so weit wie möglich zurückgedrängt werden. Familientreffen müssten nicht nur stattfinden können, "sondern sicher stattfinden können".
Kritik von CDU/CSU
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen forderte die Länder auf, die Maßnahmen auch konsequent umzusetzen. "Der Staat darf sich nicht lächerlich machen. Es muss durchgesetzt werden, was beschlossen wird, ansonsten wird Politik und der Staat als Ganzes unglaubwürdig."
Sprecher der CDU/CSU kritisierten, dass es keine Rückkehr zur epidemischen Lage von nationaler Tragweite gebe. Auch jetzt erhielten die Länder nicht alle nötigen Befugnisse, sagte der CDU-Abgeordnete Volker Ullrich. "Wir brauchen jetzt die volle Handlungsfähigkeit des Staates." Sein Parteikollege Erwin Rüddel warnte: "Ständige Änderungen und Reparaturarbeiten inmitten einer ohnehin dramatischen Lage bewirken nur wachsende Verunsicherung in der Bevölkerung und eine abnehmende Bereitschaft, sich an die Regeln zu halten."
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Für die Linke kritisierte Susanne Ferschl, dass zu wenig für die unter starkem Druck stehenden Pflegekräfte getan werde. "Die neue Bundesregierung bringt innerhalb von vier Tagen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht auf den Weg, kann sich aber nicht auf eine Prämie für Pflegekräfte verständigen." Für diese gebe es noch nicht einmal ein minimales Dankeschön. "Das ist peinlich."
Während der Debatte rief Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) wiederholt dazu auf, die Maske im Plenarsaal richtig über Mund und Nase zu tragen. Dies zielte auf die AfD-Fraktion, deren Abgeordnete Christina Baum die Aufforderung aber demonstrativ missachtete. Fraktionschef Tino Chrupalla kritisierte die Corona-Maßnahmen scharf: "Die Stabilität unserer Gesellschaft ist durch die Unverhältnismäßigkeit politischer Zwangsmaßnahmen deutlich strapaziert."
Kritik von Unionsseite gab es auch im Bundesrat. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte: "Wir machen nichts Anderes als Reparaturbetrieb." Das wäre bei einer Rückkehr zur alten Gesetzeslage überflüssig. Sollte sich die Omikron-Variante des Virus so schnell ausbreiten wie von Fachleuten befürchtet, werde dies nicht die letzte Änderung des Infektionsschutzgesetzes sein.
Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) zeichnete ein erschütterndes Bild der Corona-Lage in seinem Land. Die vierte Welle rolle "wie ein Tsunami" durch den Freistaat Sachsen.
Ein Überblick über die Maßnahmen:
Spezial-Impfpflicht: Beschäftigte in Einrichtungen wie Kliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen müssen bis Mitte März 2022 Nachweise über vollen Impfschutz oder eine Genesung vorlegen - oder eine Arzt-Bescheinigung, dass sie nicht geimpft werden können. Neue Beschäftigte brauchen das ab dann von vornherein. Mehr Impfungen: Über Ärzte hinaus dürfen befristet auch Apotheker, Tier- und Zahnärzte Menschen ab 12 Jahren impfen. Voraussetzungen sind eine Schulung und geeignete Räumlichkeiten oder die Einbindung in mobile Impfteams. Regionale Maßnahmen I: Bei sehr kritischer Lage können die Länder ohnehin schon härtere Vorgaben für Freizeit oder Sport anordnen, aber keine Ausgangsbeschränkungen oder pauschalen Schließungen von Geschäften und Schulen. Nun wird präzisiert, dass Versammlungen und Veranstaltungen untersagt werden können, die keine geschützten Demonstrationen sind - besonders im Sport mit größerem Publikum. Schließungen etwa in der Gastronomie sind möglich, aber nicht von Fitnesscentern und Schwimmhallen. Regionale Maßnahmen II: Einzelne Länder hatten kurz vor Ende der "epidemische Lage von nationaler Tragweite" am 25. November noch auf dieser alten Rechtsgrundlage härtere Maßnahmen beschlossen. Diese können nun bis zum 19. März verlängert werden. Testpflichten: Für Beschäftigte und Besucher in Arztpraxen, Kliniken und Pflegeheimen wurden schon Testpflichten festgelegt. Nun wird präzisiert, dass Patienten und "Begleitpersonen, die die Einrichtung oder das Unternehmen nur für einen unerheblichen Zeitraum betreten" nicht als Besucher gelten. Das gilt zum Beispiel für Eltern beim Kinderarzt oder Helfer bei Menschen mit Behinderung. Kliniken: Kliniken erhalten wieder Ausgleichszahlungen - etwa für frei gehaltene Betten oder Belastungen durch Patientenverlegung. Kurzarbeitergeld: Es wird ermöglicht, das schon bis Ende März verlängerte Kurzarbeitergeld aufzustocken. Ab dem vierten Bezugsmonat werden 70 Prozent der Nettoentgeltdifferenz gezahlt - wenn ein Kind im Haushalt lebt, 77 Prozent. Ab dem siebten Bezugsmonat sind 80 und mit Kind 87 Prozent geplant. Dies gilt für Beschäftigte, die bis Ende März 2021 während der Pandemie einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld hatten. Masern-Impfpflicht: Teil des Gesetzes ist auch eine Änderung bei der Masern-Impfpflicht, die seit März 2020 für Neuaufnahmen in Kitas und Schulen gilt. Die Frist zur Vorlage von Impfnachweisen für Kinder, die davor schon in den Einrichtungen waren, wird nun bis Ende Juli 2022 verlängert.
Von Ulrich Steinkohl und Sascha Meyer