Die Pressefreiheit kämpft ums Überleben

Der Artikels 5 des Grundgesetzes schützt die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland.

Informationskrieg, Fake-News, digitaler Hass: Warum der unabhängige Journalismus wichtiger denn je ist. Ein Leitartikel von Friedrich Roeingh.

Anzeige

Wiesbaden/Mainz. Beginnen wir mit dem kritischsten und vielleicht auch bekanntesten Zitat zum Thema: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.” Das Zitat stammt ausgerechnet von Paul Sethe, einem der Gründungsherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung”. Sethe ging es 1965 mit seinem provokanten Einwurf darum, dass in den 60-er Jahren kein Publizist mehr ohne reichen Kapitalgeber eine Zeitung gründen konnte - die erste Welle der Pressekonzentration hatte gerade eingesetzt. Und es ging Sethe wohl auch darum, die von einer Stiftung getragene FAZ gegen die Vielzahl konkurrierender (Regional)Zeitungen abzuheben, die von Verlegern herausgegeben wurden.

Sethes Spruch wurde dann ausgerechnet von den 68ern und deren Nachfolgern gekapert, um die bürgerliche Presse zu diskreditieren. Heute gibt es kaum ein Land in der Welt, das trotz der dramatischen Erlöskrise der Zeitungen noch eine solche Medienvielfalt aufweist wie Deutschland. Eine Vielfalt, die auch nach Ansicht Unbeteiligter einen entscheidenden Beitrag zur Stabilität unserer Demokratie leistet. Dagegen gehören die Verlegertypen, die dazu neigen, ihren Redaktionen in die Berichterstattung hineinzuregieren, weitgehend der Vergangenheit an - außer offenbar bei Axel Springer.

Autokraten beschneiden als Erstes die Freiheit der Medien

Nicht zufällig beschneiden Autokraten bevorzugt die Unabhängigkeit der Medien, wenn sie durchregieren und ihre Macht gegen jedwede politische Konkurrenz zementieren wollen. Dafür hätte man längst den Begriff des publizistischen Putschs etablieren sollen. Das gilt nicht nur für Putins Russland und Erdogans Türkei. Wer wissen will, was durch diese Entwicklung auch in Europa auf dem Spiel steht, muss nur nach Orbans Ungarn und Kaczynskis Polen schauen - für die wiederum die Berlusconisierung der italienischen TV-Landschaft ein Vorbild war.  

Anzeige
Zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai: die Karikatur "Schmutzige Bomben" von Heiko Sakurai.
Zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai: die Karikatur "Schmutzige Bomben" von Heiko Sakurai. (© Heiko Sakurai)

Während nicht nur in Russland eine tot geglaubte faschistische Propaganda durchschlägt, während auch anderswo freiheitliche Medien verboten und unbeugsame Journalisten und Blogger inhaftiert werden, drohen der unabhängigen Berichterstattung, der faktengestützten Recherche und der offenen Debatte in Deutschland und Europa Gefahren.

Ausgerechnet im digitalen Zeitalter, in dem sich die Verbreitung journalistischer Inhalte von teuren Produktionsmitteln gelöst hat. In Zeiten von Social Media ist mit einem Mal die Utopie Bertolt Brechts wahr geworden, dass jeder Empfänger auch Sender sein kann. Und trotzdem ist die Pressefreiheit und mit ihr die qualifizierte Debatte und der demokratische Diskurs so gefährdet wie nie zuvor. 

Anzeige

Die Bestätigung der eigenen Meinung als pawlowscher Belohnungsreflex

Die Digitalisierung à la Google und Facebook hat zu völlig anderen Effekten geführt, als in der Euphorie-Phase vorausgesagt wurde. Zwar kann bei Facebook, Twitter, Instagram, TikTok und YouTube tatsächlich jeder Empfänger auch zum Sender werden. Im Ergebnis aber verfestigen sich Meinungen und politische Lager eher, als dass sie zu fruchtbaren Auseinandersetzungen führten. Informationsaufnahme nach der Logik der Algorithmen funktioniert schließlich so:  Die Menschen nehmen zunehmend nur noch die Themen wahr und die Meinungen auf, denen sie sich ohnehin zugehörig fühlen: die Bestätigung politischer Positionen als pawlowscher Belohnungsreflex. Das Ergebnis ist die Filterblase - aus der man kaum mehr herauskommt, wenn man sich nicht den konsequenten Konsum klassischer Medien verordnet. Zugleich ist im Netz kaum etwas so erfolgreich wie das Bashen seriöser Informationsanbieter unter dem Kampfbegriff der Systemmedien. Sowieso scheint im neuen Nachrichtengeschäft nichts erfolgreicher zu sein als die Verschwörungstheorie.

Die immer stärkere Segmentierung des Themen- und Meinungsangebots wird noch getoppt durch die Eskalierung der Debatten. Die erste Regel der Aufmerksamkeitsökonomie lautet schließlich: Nichts wird so häufig geteilt wie Hass und Wutrede. So wird das Stammtischgerede, das schon immer vom gesunden Menschenverstand über das Vorurteil in die Enthemmung abdriften konnte, aus den geschlossenen Zirkeln fast automatisch in die unendliche Vervielfältigung und Radikalisierung getrieben.

Es kommt nicht aufs Papier an, es kommt aber auf die Zeitungen an. Deshalb ist die Förderung unabhängiger Medien im Zeitalter der digitalen Desinformation kein Tabu mehr.
Es kommt nicht aufs Papier an, es kommt aber auf die Zeitungen an. Deshalb ist die Förderung unabhängiger Medien im Zeitalter der digitalen Desinformation kein Tabu mehr. (© picture alliance/dpa)

Hinzu kommen der gezielte Informationskrieg, dessen Gefahren wir viel zu lange nicht wahrnehmen wollten. War zunächst nur die unkontrollierte Machtfülle der Tech-Monopolisten für die schleichende Entwicklung zur Desinformationsgesellschaft verantwortlich, wissen die Feinde der Demokratie und der freien Gesellschaft ihre Mechanismen längst für sich zu nutzen. Spätestens seit dem ersten Präsidentschaftswahlkampf Donald Trumps wird deutlich, dass „alternative Fakten“ bei der Breite des Publikums im Zweifel eine größere Wirkmacht entfalten als die Informationen und Recherchen von Qualitätsmedien. Die Trumpwahl hat zugleich gezeigt, wie leicht es fremden Mächten fällt, die offene Gesellschaft zu unterwandern und zu zersetzen. Nicht erst seit dem Ukrainekrieg sind auch wir bevorzugtes Ziel der Desinformationskampagnen von Trollfabriken in St. Petersburg.

In einer Reihe von EU-Ländern ist staatliche Presseförderung längst etabliert

Hinzu kommt noch der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz, der mit den faszinierenden Möglichkeiten des Textroboters von Chat GPT endlich die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient. Bei keinem Text können wir uns inzwischen sicher sein, ob hier ein Mensch mit uns spricht und bei keinem Bild, ob es sich nicht um eine Fälschung oder reines Fantasie-Produkt handelt.

Was für glorreiche Zeiten, als Paul Sethe die Pressefreiheit durch eine zu große Verlegermacht bedroht sah. Was aber ist zu tun, wenn immer erkennbarer wird, wie die digitalisierte Kommunikation nicht nur den liberalen Diskurs, sondern die Demokratie an sich unterwandert? Was ist zu tun, wenn nostalgische Verklärung der Vergangenheit oder Maschinenstürmerei gewiss nicht die Lösungen sind? Unabhängige Recherchemedien müssen dringend gestärkt werden. Indem der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht waidwund geschossen wird, sondern seine Aufgaben neu definiert. Und indem die Zeitungen - und im Besonderen die Lokalzeitungen - auf ihrem Weg zur Digitalisierung und beim unrentabel gewordenen Printvertrieb in ländlichen Regionen staatlich unterstützt werden. Dass und wie das geht, ohne die Unabhängigkeit der Redaktionen zu gefährden, machen eine Reihe von EU-Ländern seit vielen Jahren vor.

Vier Kernpunkte für eine europäische Informationsordnung

Und noch elementarer: Die Zersetzung des Informationsraums muss endlich wirksam reguliert werden. Wohl dem, der eine schönere Vokabel dafür findet. Aber die Ausbeutung des Körpers durch Versklavung und Kinderarbeit, die Zerstörung der Natur durch Landschaftsfraß, die Befeuerung der Erderwärmung können ebenso nur durch klare, scharfe und sanktionsfähige Regeln überwunden werden wie die Korrumpierung und Ausbeutung der Seelen, auf die die Zersetzung der Demokratie stets fußt.  

Das ist trotz aller Dringlichkeit eine europäische Aufgabe. Weil nur die EU stark genug ist, eine Informations- und Medienordnung zu etablieren, die sich neben dem chinesischen System der vollständigen staatlichen Kontrolle und dem US-System der kommerzialisierten Radikalisierung behaupten kann. Vier Punkte sind hierfür entscheidend: 1. Eine uneingeschränkte Kennzeichnungspflicht für Texte, Stimmen und Bilder, die von Maschinen erstellt wurden. 2. Eine Zerschlagung der monopolisierten Plattformen. 3. Eine Haftbarmachung der Plattformen für die Inhalte, die sie verbreiten. Nach genau den Kriterien, wie sie im Presserecht aus guten Gründen für alle Inhalte gelten, die eine Massenverbreitung suchen. Und 4. Wirksame Sanktionen, die sich nicht auf Preisschilder beschränken, sondern am Ende auch den Marktausschluss bedeuten können. Wer sagt, „das geht nicht”, möge bitte erklären, mit welchen anderen Instrumenten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der offenen und bitteschön humanitären Informationsgesellschaft erhalten werden sollen.