Der Mainzer Staatsrechtler Friedhelm Hufen blickt mit Sorge auf die jüngsten Klima-Proteste. Terrorismusvergleiche seien aber grob übertrieben, sagt er im Interview.
Mainz. Ziviler Ungehorsam gehört zur Geschichte der Bundesrepublik. Doch wie weit darf er gehen, ohne seine Legitimität zu verlieren? Der Mainzer Staatsrechtsprofessor Friedhelm Hufen sieht bei den jüngsten Aktionen der Protestgruppe „Letzte Generation” diese Grenze bereits überschritten. Aber auch auf der Gegenseite drohe eine Eskalation, warnt er im Interview. Forderungen, die meist jungen Menschen in Vorbeugehaft zu nehmen, sieht Hufen kritisch.
Herr Professor Hufen, der Ton gegenüber den Klima-Aktivisten, die sich auf Straßen festkleben, Flughäfen blockieren und Kunstschätze mit Lebensmitteln bewerfen, wird rauer. Rufe nach Haftstrafen und Vorbeugehaft werden laut, angeblich droht uns sogar eine „Klima-RAF“. Kippt da etwas in unserer Gesellschaft?
So weit würde ich nicht gehen. Es handelt sich bei den Aktionen um eine erhebliche Provokation, und die ist ja auch beabsichtigt. Dann darf man sich nicht wundern, wenn die Reaktionen in der offenen Gesellschaft entsprechend sind. Terrorismus- und RAF-Vergleiche halte ich aber für grob übertrieben. Wir hatten früher schon – bei der Raketenstationierung, bei der Atomenergie – Situationen, in denen es heiß herging. Damals hat auch niemand gesagt, die Gesellschaft kippt.
Dennoch ist eine neue Aggressivität zu spüren.
Bei den Aktivisten herrscht eine gewisse Endzeitstimmung, das wird schon in der Namensgebung „extinction rebellion“ (Aufstand gegen das Aussterben) oder „Letzte Generation“ sichtbar. Auch meinen die jungen Leute, dass es nur eine einzige richtige Entscheidung gibt. Damit ist ein sehr fordernder Anspruch auf Veränderung gegenüber der Gesellschaft verbunden, der leicht fanatisch und damit gefährlich werden kann.
Ziviler Ungehorsam gehört zur Protestkultur der Bundesrepublik. Wie viel davon muss eine demokratische Gesellschaft ertragen?
Der Begriff des zivilen Ungehorsams ist nicht unproblematisch. Die Beispiele, bei denen davon die Rede ist, richteten sich immer gegen einzelne Maßnahmen, etwa eine Raketenstationierung. Jetzt gehen die Demonstranten sehr viel weiter: Sie wollen den Gesetzgeber zu ganz bestimmten Maßnahmen zwingen und setzen dazu Mittel ein, die strafrechtlich verboten sind und eigentlich verfolgt werden müssen. Ziviler Ungehorsam geht immer nur innerhalb der geltenden Gesetze und niemals gegen die Grundrechte anderer und gegen die Strafgesetze. Sonst bricht der Grundkonsens der Gesellschaft auseinander.
Wenn ich mich in Mutlangen auf eine Straße gesetzt habe, um einen Raketentransport zu verhindern, war das auch ein Gesetzesbruch.
In Maßen. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrmals dazu Stellung genommen. Man muss ein hohes Gemeinwohlziel haben und muss vor allem auch die Verhältnismäßigkeit einhalten. Einfache Blockaden werden in der Rechtsprechung noch hingenommen. Anketten und Ankleben schon nicht mehr. Wenn man das Leben und die Gesundheit anderer oder auch die Grundrechte anderer gefährdet, dann hört es irgendwann auf. Dann gelten Strafparagrafen wie Nötigung, Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr oder Sachbeschädigung.
Was sagen Sie zu dem Argument der „Letzten Generation“, ohne Straßenblockaden und Klebeaktionen in Museen finde man kein Gehör?
Das stimmt leider in gewissem Umfang. Wir haben eine derart reizüberflutete Gesellschaft, dass man ganz schön Krach schlagen muss, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das ist den Aktivisten ja auch gelungen, aber hat dann eben eine Grenze. Vor allem darf dieses Argument niemals dazu führen, dass man meint, sich über die Rechte anderer oder der für alle geltenden Gesetze einfach hinwegsetzen zu können.
Ziviler Ungehorsam geht immer nur innerhalb der geltenden Gesetze und niemals gegen die Grundrechte anderer und gegen die Strafgesetze. Sonst bricht der Grundkonsens der Gesellschaft auseinander.
Die Gefahr der Radikalisierung sehen Sie demnach.
Ich sehe die Gefahr einer gewissen Eskalation auf beiden Seiten. Auch gegenüber den Demonstranten wurde schon Gewalt ausgeübt. Da sollte jeder seine Grenzen erkennen. Im Übrigen nutzen die Aktionen der Klimaschützer ihrem Anliegen nicht. Sie schaden eher, wie die öffentlichen Reaktionen zeigen.
Was halten Sie von der Forderung, Klima-Aktivisten präventiv einzusperren? Wäre das noch verhältnismäßig?
Die sogenannte Vorbeugehaft ist nur verhältnismäßig, wenn es sich um die Verhütung ganz konkret angekündigter Straftaten handelt. Normalerweise halte ich von der Präventivhaft nichts. Es kommt aber auf den Einzelfall an.
Die Aktivisten der „Letzten Generation“ berufen sich auf eine Art Notwehrrecht, das sie zum radikalen Handeln zwinge.
Notwehr setzt immer einen konkreten, seinerseits rechtswidrigen Angriff voraus, bei dem eine Abhilfe von anderer Seite nicht möglich ist. Im verfassungsrechtlichen Kontext bedeutet Notwehr, dass es um einen sehr wichtigen Gemeinwohlbelang gehen muss, der von der Politik nicht wahrgenommen wird. Davon kann hier aber gar keine Rede sein. Die Gefahr ist nicht so konkret, dass man sich dagegen nur mit ansonsten rechtswidrigen Maßnahmen wehren könnte.
Notwehr setzt immer einen konkreten, seinerseits rechtswidrigen Angriff voraus, bei dem eine Abhilfe von anderer Seite nicht möglich ist. Davon kann hier aber gar keine Rede sein.
Es gibt Aktivisten, die auch demokratische Mehrheitsentscheidungen infrage stellen. Nach dem Motto: Wenn die Mehrheit ins Verderben rennen will, dann müssen wir das mit allen Mitteln verhindern.
Das ist dann wirklich gefährlich. Hier richten sich die Aktionen nicht nur gegen die Rechte anderer, sondern gegen die Grundsätze der repräsentativen Demokratie. Da ist dann in der Tat die erste Stufe zu einem extremistischen Denken genommen und der Verfassungsschutz ist gefordert.
Das Bundesverfassungsgericht hat vergangenes Jahr ein Klima-Urteil gesprochen, das viele als eine Art neues Grundrecht auf Klimaschutz interpretiert haben. Hat sich damit die Grenze, was in dieser Auseinandersetzung legitim ist und was nicht, verschoben?
Das Urteil wird vielfach missverstanden. Das Gericht hat gesagt: Der Gesetzgeber muss Maßnahmen ergreifen, damit wir den Freiheitsspielraum künftiger Generationen nicht heute durch unseren Ressourcenverbrauch verfrühstücken. Dabei hat er einen großen Ermessensspielraum. Es ist aber mitnichten von irgendeinem Grundrecht des Einzelnen auf konkrete Maßnahmen und schon gar nicht von Eingriffen in die Grundrechte Anderer die Rede.
Was wünschen Sie sich von der Politik, um die aufgeheizte Stimmung abzukühlen?
Sie muss klarstellen, wo die verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Grenzen des Protests liegen. Sie muss auf die Belange der jungen Generation eingehen und verdeutlichen, was sie tut für den Klimaschutz. Der ist nicht unwichtiger geworden durch den Ukraine-Krieg und die Energiekrise.