Boris Rhein: „Hessen widerstandsfähiger gegen Krisen machen“

Ministerpräsident Boris Rhein hat seine Regierungszeit unter das Motto „Sicherheit in unsicheren Zeiten“ gestellt – und hat dabei Klimaschutz und Sozialpolitik ebenso im Fokus wie den CDU-„Klassiker“ Innere Sicherheit.           Fotos: Sascha Kopp

Boris Rhein ist seit 31. Mai hessischer Ministerpräsident. Im Interview spricht der CDU-Mann über seine Pläne, die Grünen, Peter Feldmann, das Chaos an Flughäfen und die documenta.

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Wiesbaden. Am 31. Mai wurde Boris Rhein (CDU) als hessischer Ministerpräsident gewählt. Im Interview spricht der 50-Jährige über seine Ziele, die politischen Herausforderungen in Hessen sowie persönliche Niederlagen.

Herr Rhein, vergangenes Wochenende wurden Sie mit knapp 98 Prozent zum hessischen CDU-Vorsitzenden gewählt. Ihr Vorgänger Volker Bouffier hat 2020 lediglich rund 92 Prozent bekommen. Wie zufrieden sind Sie also mit diesem Ergebnis?

Ich bin mit dem Ergebnis hochzufrieden und sehr dankbar für diesen enormen Vertrauensvorschuss, den die Partei mir damit gibt. Damit ist aber auch ein klarer Auftrag verbunden: die Partei in den Landtagswahlkampf 2023 zu führen. Aus meiner Sicht ist für eine erfolgreiche Wahl immer entscheidend, dass eine Partei geschlossen ist. Und diese Geschlossenheit haben wir gezeigt.

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War diese Geschlossenheit nicht auch dringend notwendig nach den öffentlichen Diskussionen um die Ministerpräsidentennachfolge?

Wir haben in der hessischen CDU vor allem nach der Bundestagswahl Diskussionen geführt, wie wir uns für die Landtagswahl aufstellen wollen. Volker Bouffier hat dann nach einem breit ausgestalteten Prozess, an dem er alle in der Partei beteiligt hat, einen Vorschlag gemacht. Um einen solchen Übergang beneiden uns andere Parteien. Manch ein Mitbewerber ist ja noch ziemlich unsortiert. Da ist unklar, wer antritt und wie das Team aussieht. Wir sind schon ein großes Stück weiter.

Stichwort andere Parteien: Machen Sie sich eigentlich noch Gedanken darüber, woher die fünf Stimmen „über den Durst“ bei Ihrer Wahl zum Ministerpräsidenten am 31. Mai kamen?

Nein. Ich glaube, das ist müßig. Ich bin sehr dankbar für dieses übergroße Zeichen der Unterstützung. Am Ende weiß niemand, wo die Stimmen herkamen, und das ist auch richtig so bei einer geheimen Wahl.

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In Ihrer Regierungserklärung hatten Sie mit einem Fokus auf Klimapolitik und Sozialpolitik, dazu dem „Klassiker“ Innere Sicherheit für die Konservativen für jeden etwas im Angebot. Muss eine Volkspartei programmatisch so breit aufgestellt sein, dass es schon beliebig wirkt?

Wir sind nicht beliebig. Die CDU ist die letzte verbliebene Volkspartei der Mitte. Und das bedeutet, dass wir selbstverständlich für viele Menschen, nicht nur für einige Interessengruppen, ein Angebot machen und klare Positionen formulieren. Der Ansatz der CDU ist umfassend – das Kennzeichen einer Volkspartei. Aus meiner Sicht ist das auch das beste Konzept gegen Zersplitterung, Polarisierung und Radikalisierung.

Haftentlassungen aus Personalmangel, wie gerade vom Frankfurter Oberlandesgericht, signalisiert das nicht eher das Gegenteil von Sicherheit?

Solche Situationen sind unter allen Umständen zu verhindern. Wir legen in Hessen jetzt einen Pakt für den Rechtsstaat auf: Der sieht unter anderem vor, dass wir ein großes Stellenprogramm für die hessische Justiz auflegen. Und wir werden darüber hinaus ein Nachwuchsprogramm starten, damit der Justizdienst weiterhin attraktiv bleibt, beziehungsweise attraktiver wird. Wir werden im Doppelhaushalt in einer höheren zweistelligen Zahl jeweils in beiden Haushaltsjahren neue Stellen in der Justiz schaffen. Das betrifft die Staatsanwaltschaften, die Gerichte, aber natürlich auch den sogenannten nachgeordneten Bereich.

Ihnen bleibt bis Ende der Legislaturperiode nicht viel Zeit: Welche Baustellen sind Ihrer Meinung nach die drängendsten?

Eines der drängendsten ist natürlich, dass wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Das heißt, wie müssen viel mehr machen für den Klimaschutz. Zudem müssen wir unser Land widerstandsfähiger aufstellen gegen Einflüsse von außen – das sehen Sie beispielsweise bei der Ukrainekrise oder nach den Erfahrungen aus der Ahrtal-Flut. Unser Katastrophenschutz ist schon sehr gut, aber er muss noch besser werden. Ein weiteres wichtiges Thema ist die klassische Sozialpolitik. Das betrifft die Gesundheitspolitik und die Förderung von Krankenhäusern. Und wir müssen uns jetzt vorbereiten auf einen möglichen Corona-Herbst und -Winter.

Schwarz-grün wurde nach Hessen auch in Baden-Württemberg sowie neuerdings in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Realität. Was macht Ihrer Meinung nach den Reiz dieser früher undenkbaren Kombination aus?

Wir haben es mit zwei Parteien zu tun, die schon sehr verschieden sind. Das ist aber an sich nichts Schlechtes, sondern führt auch dazu, dass jeder der Partner immer wieder in einer Situation ist, sich anzustrengen, sich zu erneuern. Es gibt außerdem bei beiden Parteien sehr starke Zuverlässigkeitskulturen. Das führt dazu, dass man sich aufeinander verlassen und vertrauensvoll miteinander arbeiten kann. Am Ende sind solche Koalitionen sehr beständig und erfolgreich. Ich glaube, die Leute mögen nichts weniger als Koalitionen, die sich fortlaufend untereinander streiten – wie wir es gerade auf Bundesebene erleben.

Je näher die Landtagswahl im Herbst 2023 rückt, desto angespannter dürfte das Verhältnis zum Koalitionspartner werden. Wie wollen Sie in den Grünen-Hochburgen – den Großstädten - Stimmen für die CDU gewinnen?

Das Rezept wird sein, die richtigen Themen zu haben. Ich habe das Gefühl, dass in den Großstädten der Eindruck besteht, die CDU sei nur für die harten Themen – Wirtschaftspolitik und Sicherheitspolitik – zuständig. Ich glaube, die Menschen nehmen zu wenig wahr, dass das Anliegen der CDU ist, Ökonomie und Ökologie sozialverträglich miteinander zu vereinen. Das müssen wir deutlicher machen mit einem Team, das die Lebenswirklichkeit auch in Großstädten widerspiegelt. Und das war genau der Grund, den Landesvorstand so zusammenzubauen: Männer und Frauen, Junge und Erfahrene aus allen Landesteilen. Ich glaube, wenn sichtbarer wird, dass die CDU eine moderne, motivierte und engagierte Truppe hat, kann uns das durchaus helfen, den Anschluss in den Großstädten wiederzufinden.

Die CDU Hessen soll mit einem neuen Team nach Ihren Worten weiblicher, jünger, bunter werden – bei der Jungen Union hieß es gemäß dem Ballermann-Schlager „Layla“ offenbar „jünger, schöner, geiler“. Können Sie verstehen, wenn Frauen davon angewidert sind?

Das kann ich sehr gut verstehen, und es hat bei uns zu erheblichen Diskussionen und ernsten Gesprächen geführt. Ich bin ziemlich sicher, dass die Junge Union daraus gelernt hat. Was da passiert ist, war falsch. Ich würde eine solche Musik nicht auf einem Parteitag gespielt haben wollen.

Mit der Personalie des neuen Justizministers ist Ihnen ein Coup gelungen, das gesteht sogar die Opposition. Sahen Sie an anderen Stellen, etwa Innen und Kultus, keinen Handlungsbedarf?

Es war keine Entscheidung gegen Eva Kühne-Hörmann, sondern für Roman Poseck. Ich wollte einen Praktiker aus der Justiz für die Justiz haben. Mit Peter Beuth haben wir einen Innenminister, der außerordentlich gut aufgestellt ist. Und beim Kultusminister hatte ich auch überhaupt keinen Handlungsbedarf. Ich finde, dass Alexander Lorz ein hervorragender Kultusminister ist. Wenn wir vor unserer Regierungsübernahme im Jahr 1999 den Übergang vom einen zum anderen Schuljahr hatten, gab es eigentlich immer Chaos. Heute bemerken Sie den Übergang gar nicht mehr. Insbesondere deswegen, weil wir mittlerweile eine Unterrichtsversorgung haben, wie wir sie noch nie hatten. Darüber hinaus setzt der Kultusminister genau die richtigen Schwerpunkte, beispielsweise auf die Bildungssprache Deutsch.

Mit welchen Gefühlen sehen Sie als ehemaliger Kunstminister die Vorgänge um antisemitische Kunst bei der documenta?

Der Schaden für die documenta ist enorm. Wir werden uns jetzt sehr intensiv unterhalten müssen, ob die Strukturen der documenta noch zeitgemäß sind. Das betrifft nicht zuletzt die Frage, wer die Träger der documenta sind. Ich habe mir immer schon gewünscht, dass der Bund ein zusätzlicher Gesellschafter wird, neben dem Land Hessen und der Stadt Kassel. Klar ist: Auch die Kunstfreiheit hat ihre Grenzen, und wir werden in diesem Land Antisemitismus niemals akzeptieren. Und die Bildsprache des abgebauten Kunstwerks von „Taring Padi“ war in höchstem Maße antisemitisch und hat auf einer deutschen Kunstausstellung nichts verloren. Ich akzeptiere auch keinen in Israelkritik verkleideten Antisemitismus.

Hand aufs Herz: Wenn Sie die Geschehnisse um den Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann verfolgen, dem Sie als Kandidat 2012 bei der Wahl unterlagen, geht Ihnen dann nicht manchmal ein schadenfrohes „Das habt ihr nun davon“ durch den Kopf?

Ich habe keine Schadenfreude, nur großes Mitleid mit meiner Heimatstadt. Sie ist als das größte Finanzzentrum Kontinentaleuropas, der größte Verkehrsknoten, den wir haben, eine so wirtschaftlich und finanzpolitisch bedeutsame – und eine so wunderschöne – Stadt, dass es einen umtreiben muss, in welchem politischen Zustand sie ist. Aber das war absehbar, als diese Koalition begründet wurde. Eine Koalition, die bislang nicht viel zustande gebracht hat. Und noch dazu ein Oberbürgermeister Peter Feldmann, der einen zur Verzweiflung bringen kann. Gut, dass er jetzt endlich seinen Rücktritt angekündigt hat. Frankfurt hat eine weitaus bessere politische Führung verdient.

Zum Thema Verkehrsknotenpunkt: Fliegen Sie dieses Jahr in den Urlaub und haben Sie Angst um Ihre Koffer?

Ich fliege nicht in den Urlaub. Aber das Chaos ist wirklich ärgerlich und eine Zumutung für die Bürger. Wir müssen sowohl von den Luftlinien als auch von Fraport erwarten, dass sie die Lage in den Griff bekommen. Ich sehe aber auch schon, dass sie erste Maßnahmen ergriffen haben – allerdings ist das nichts, worauf die Landespolitik unmittelbar Einfluss hat.

Wäre die temporäre Lockerung des Nachtflugverbotes eine Option für Sie?

Die Lockerung des Nachtflugverbotes ist immer dann eine Option, wenn Notlagen bestehen. Die sind klar definiert und dafür muss das Wirtschaftsministerium immer eine Ausnahmegenehmigung erteilen. Am Ende müssen die Fachleute im Wirtschaftsministerium beurteilen, wie sie damit umgehen. Ich glaube nicht, dass es richtig wäre, wenn ich dazu Ratschläge erteilen würde. Wir müssen uns jetzt alles anschauen, was zur Verbesserung der Situation beitragen kann. Das ist aber vor allem Aufgabe der Airlines und des Flughafenbetreibers.

Man sieht Sie oft locker, gelöst, lachend – was muss passieren, damit Sie mal schlechte Laune haben?

Was ich überhaupt nicht leiden kann, sind Unhöflichkeiten und Unverschämtheiten. Beides kann durchaus dazu führen, dass auch ich unhöflich und schlecht gelaunt werde.