Verfassungsschutz warnt: Immer mehr Extremisten in Hessen

Verachtung für die Demokratie: Die 2021 neu gegründete rechte „Neue Stärke Partei“ demonstrierte im Juli in Mainz.  Foto: Sascha Kopp

Die größte Gefahr für die Demokratie geht laut Verfassungsschutz in Hessen von rechts aus. Welche Gründe das hat und warum jetzt auch der Landesverband der AfD beobachtet wird.

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WIESBADEN. In Hessen gibt es immer mehr Extremisten. Der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021 weist ein Potenzial von 13.680 Personen aus, das sind 1,5 Prozent mehr als noch im Vorjahr, erklärten Innenminister Peter Beuth (CDU) und Robert Schäfer, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), bei der Vorstellung am Montag in Wiesbaden. Noch nie in seiner 48-jährigen Laufbahn habe er eine so große Bedrohung für die Demokratie erlebt, sagte Schäfer, der das LfV seit gut sieben Jahren leitet.

Es existiere neben den klassischen Bedrohungen durch Rechts- und Linksextremisten sowie Islamisten ein „toxisches Gemisch aus Staatsfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, Verschwörungsnarrativen, Hass und Gewalt“, das ideologisch nicht eindeutig zuzuordnen sei. Gerade während der Corona-Pandemie habe dies verfangen, vor allem bei immer mehr jungen Menschen per „Bildschirm-Radikalisierung“. Der russische Überfall auf die Ukraine habe die Sicherheitslage weiter massiv verschärft, Schäfer sprach von der Gefahr durch Spionage und Desinformationskampagnen. Es sei nicht auszuschließen, dass Extremisten die aktuelle Situation – Inflation, Gasengpässe und Preissteigerungen – nutzten, um den Staat und seine Institutionen zu delegitimieren. „Verfassungsfeinde und zunehmend auch staatliche Akteure aus dem Ausland versuchen ganz bewusst, unsere Gesellschaft zu spalten und unseren Staat zu destabilisieren“, warnte Beuth. Für Extremisten und Verschwörungsgläubige herrsche „Hochkonjunktur“.

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Die größte Bedrohung gehe weiterhin vom Rechtsextremismus aus, betonte der Minister. Hier umfasse das Personenpotential 1710 Menschen (Vorjahr: 1.660), es kam zu 946 Straftaten (1.216), davon 42 Gewalttaten (42). In Hessen habe man den Rechtsextremisten „den Kampf angesagt“, betonte Beuth und führte die „Besondere Aufbauorganisation Hessen-Rechts“ beim Landeskriminalamt als Beispiel ins Feld. Seit deren Gründung 2019 habe man 300 Durchsuchungen und 4.450 Sicherstellungen in der rechten Szene durchgeführt, zusätzlich setze man auf Prävention und treibe die Entwaffnung von Extremisten voran. Hier warte Hessen weiter auf die angekündigte Initiative von Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) zur Regelversagung bei Waffenerlaubnissen für Extremisten.

Veränderungen in der rechtsextremistischen Struktur

Im Rechtsextremismus seien strukturelle Veränderungen zu beobachten: So gehe die Entwicklung weg von Neonazi-Kameradschaften zu freien Zusammenschlüssen, die Neue Rechte, etwa die „Identitäre Bewegung“, versuche eine Modernisierung und Intellektualisierung der Szene. Zugleich träten neue Parteien wie die „Neue Stärke Partei“ auf den Plan, die im Juli und August Aufmärsche in Mainz veranstaltete. Verfassungsschutzpräsident Schäfer kündigte unterdessen an, dass die Beobachtung des hessischen AfD-Landesverbandes „in diesen Tagen“ beginne. Damit schließe Hessen sich dem Vorgehen des Bundesamts für Verfassungsschutz an, das die Partei als Beobachtungsobjekt einstufte.

Auch im Linksextremismus wachse das Personenpotenzial: von 2600 auf 2770 Menschen. Linke Straftaten seien auf 131 (Vorjahr: 110) gestiegen, linke Gewalttaten auf 42 (34). Autonome und Anarchisten gingen zunehmend auf Konfrontation mit vermeintlichen politischen Gegnern, „outeten“ diese und schreckten weder vor Sachbeschädigung noch Sabotage an Infrastruktur zurück, erklärte Schäfer. Auch beim Islamismus gebe es keinen Grund zur Entwarnung, obwohl er bei jungen Menschen an „Strahlkraft“ verliere: So verbreiteten dschihadistische Salafisten weiter ihre Propaganda im Internet. „Unsere Warnungen dürfen keine Routine werden, wir müssen hellwach sein“, mahnte der Verfassungsschutzpräsident angesichts der bedrohlichen Lage.

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