Die Quadratur des Windrades

Rheinland-Pfalz steht bei der Errichtung von Windrädern in Deutschland weit vorn. Foto: dpa

Es klingt nach der Quadratur des Windrades: Fast alle Parteien in Rheinland-Pfalz wollen den Energieträger stärken, um die Klimawende zu schaffen. Allerdings tun sie sich...

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MAINZ. Es klingt nach der Quadratur des Windrades: Fast alle Parteien in Rheinland-Pfalz wollen den Energieträger stärken, um die Klimawende zu schaffen. Allerdings tun sie sich genauso schwer, den gesetzlichen Rahmen für die unter Druck stehende Branche anzupassen. Besonders deutlich wird das bei der Frage des Mindestabstands zwischen Windrädern und Wohnbebauung, die die Landespolitik bis weit über den Wahltermin am 14. März 2021 hinaus beschäftigen könnte.

Die Leistung soll sich verdoppeln

Derzeit drehen sich rund 1750 Windräder im Land und produzieren 3700 Megawatt Strom im Jahr. Grünen-Spitzenkandidaten Anne Spiegel will die Leistung verdoppeln, unter anderem durch Ausweisung von Kahlschlagflächen in Wäldern. Zwar liegt Rheinland-Pfalz im Bundesländervergleich aktuell beim Neubau an der Spitze (siehe Kasten), aber zugleich läuft die Bundesförderung vieler Anlagen demnächst aus, sie werden unrentabel. Viele alte, kleinere Räder müssen durch größere, effizientere ersetzt werden.

Bei diesem „Repowering“ aber muss ein Mindestabstand von 1000 Metern zur Wohnbebauung eingehalten werden, bei Anlagen ab 200 Meter Höhe sind es sogar 1100 Meter. So steht es im Landesentwicklungsplan. Allerdings hat der Bund den Ländern die Möglichkeit gegeben, diese Grenze anzupassen. Torsten Szielasko, Geschäftsführer des Windradbauers Gaia mbH aus dem pfälzischen Lambsheim, hat deshalb 600 bis 800 Meter ins Spiel gebracht. Er verweist auf eine Statistik des Umweltministeriums, wonach gleich 372 alte Anlagen im Abstand von 800 bis 1000 Meter zur Wohnbebauung nicht mehr repowert werden können.

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Weil die gesundheitlichen Auswirkungen des von Windrädern ausgehenden Infraschalls noch nicht erforscht sind, tun sich alle Landtagsfraktionen schwer, den Mindestabstand einfach zu kürzen. Die 1000 Meter im Landesentwicklungsplan seien eine „kluge und klare Regelungen“, die die Energiewende mit Bürgerinteressen in Einklang bringe, sagt die SPD. Auch die CDU will am Kilometer festhalten: „Die Akzeptanz vor Ort ist zentral für das Gelingen des Generationenprojektes Energiewende.“ FDP-Experte Marco Weber sieht eine „undifferenzierte Verkleinerung der Abstände kritisch“. Mindestens genauso wichtig wie diese Frage sei der Ausbau der Stromtrassen von den Offshore-Parks ins Landesinnere.

Auswirkung auf Gesundheit ist umstritten

Selbst die Grünen tun sich mit der Kilometer-Frage schwer. „Wir wollen mehr Genehmigungen ermöglichen, indem wir Zielabweichungsverfahren durchführen“, sagt Fraktionssprecher Bernhard Braun. Heißt also: Die 1000 Meter bleiben, könnten im Einzelfall aber nach unten angepasst werden. Völlig anders sieht das die AfD: Ihr umweltpolitischer Sprecher Jürgen Klein will den Abstand auf 2000 Meter hochschrauben. Laut Branchensprecher Szielasko wäre dies das Ende der Windenergie in Rheinland-Pfalz, weil fast 90 Prozent der Potenzialflächen wegfielen.

In seiner Argumentation bezieht sich der AfD-Abgeordnete auf eine Studie der Mainzer Universitätsmedizin: Dort habe die Arbeitsgruppe Infraschall an der Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie die gesundheitsschädliche Wirkung des Infraschalls nachgewiesen.

Ganz so einfach ist die wissenschaftliche Bewertung indes nicht. „Unsere Experimente zeigen, dass Infraschall eine Wirkung auf das Myokardgewebe hat. Nicht mehr und nicht weniger“, sagte Professor Christian Vahl dem „Deutschen Ärzteblatt“. Ob sich dieser Befund auf das ganze Herz oder den menschlichen Organismus übertragen lässt, sei schwer zu sagen, ergänzt eine Kliniksprecherin. Dazu bedürfe es weiterer epidemiologischer Studien. Tier- und Langzeitversuche sollen Aufschluss geben, ob der Schalldruckpegel eines Windrades – er liegt mit 90 bis 100 Dezibel über dem von Fluglärm – Muskelkraft und Pumpleistung des Herzens beeinträchtigt. So lange es keine anderen Befunde gibt, rät die Uni-Sprecherin beim Bau neuer Schalldruckquellen zur Vorsicht: „Ich würde nur empfehlen, mich einem Infraschallpegel dieser Stärke im Interesse der Gesundheit keinesfalls chronisch auszusetzen.“ Szielasko dagegen zitiert eine Studie der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, die Infraschall als alltägliches Phänomen einordnet. Verglichen mit anderen Quellen sei der Pegel von Windrädern gering. „Gesundheitliche Wirkungen von Infraschall unterhalb der Wahrnehmungsgrenze sind wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Nachteilige Auswirkungen sind nicht zu erwarten.“ Es darf als weiter debattiert werden – in der Wissenschaft und in der Politik.

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Von Ulrich Gerecke