Paukenschlag bei Prozessauftakt um Polizistenmorde bei Kusel

aus Der Polizistenmord bei Kusel

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Der Hauptangeklagte Andreas S. hat beim Auftakt zum Polizistenmordprozess in Kaiserslautern jegliche Schuld von sich gewiesen. Foto: Sascha Kopp

Beim Auftakt des Polizistenmordprozesses hat der Hauptangeklagte überraschend jegliche Schuld von sich gewiesen. Seine Sicht der Dinge ist eine andere.

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KAISERSLAUTERN. Überraschender Auftakt beim Polizistenmordprozess in Kaiserslautern. Der Hauptangeklagte Andreas S. hat am Dienstag bei seiner Einlassung jegliche Schuld von sich gewiesen – und über seine Verteidiger verlesen lassen, dass der Mitangeklagte Florian V. das Feuer auf die beiden Beamten eröffnet hatte. Damit widerspricht Andreas S. der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die davon ausgeht, dass Andreas S. der einzige Schütze war.

Sein Mandant habe zwar danach auch geschossen - aber "nur, um zu erreichen, dass nicht weiter auf ihn geschossen wird", sagte der Verteidiger des Mannes und schilderte eine Art Notwehrlage. Der 39-Jährige habe bei der unübersichtlichen nächtlichen Situation Mündungsfeuer gesehen und in diese Richtung gefeuert. Nach dem Vorfall bei Kusel habe er sich im Saarland den Behörden stellen wollen, er habe aber zuvor mit seiner Frau sprechen wollen - so sei ihm ein Spezialeinsatzkommando (SEK) zuvorgekommen und habe ihn festgenommen.

Der Verteidiger des 33 Jahre alten Komplizen wies die Darstellung als unzutreffend und "vorhersehbar" zurück. Es sei so gewesen, wie sein Mandant bei der Vernehmung geschildert habe. Nach etwa einer Stunde vertagte das Gericht den Prozess auf Montag (27. Juni, 9 Uhr).

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Andreas S. ist angeklagt, im Januar dieses Jahres bei einer Routinekontrolle im rheinland-pfälzischen Kusel zwei Polizisten erschossen zu haben.

Vor dem Landgericht sind vorerst 14 Termine bis 9. September vorgesehen.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte in der Tatnacht mit einem 33 Jahre alten Mann zur Jagdwilderei in der Westpfalz unterwegs war. Die beiden Polizisten, die in einem Zivilfahrzeug Streife fuhren, machte der geparkte Kastenwagen am Rand einer Kreisstraße stutzig, und sie stiegen zur Kontrolle aus. Überraschend, so die Anklagebehörde, habe der 39-Jährige dann einen Schuss aus der Flinte „aus kurzer Entfernung auf den Kopf“ der Polizeianwärterin abgegeben. Die Frau stürzte schwer verletzt und bewusstlos auf die Straße. Danach soll der Angeklagte zunächst mit der Flinte, dann mit einem Jagdgewehr auf den Polizeikommissar geschossen haben. Der 29-Jährige schoss zurück, ohne den Angreifer zu treffen. Er setzte einen Notruf ab mit den Worten „Die schießen“.

Keine Anhaltspunkte für eingeschränkte Schuldfähigkeit

Schließlich habe der Angeklagte den Polizisten mit mehreren Schüssen schwer verletzt und am Ende tödlich am Kopf getroffen. Als der 39-jährige Deutsche gemerkt habe, dass die junge Polizistin noch lebt, habe er mit der Flinte einen weiteren Schuss auf den Kopf der jungen Frau abgegeben, hieß es. Die beiden Verdächtigen flohen demnach und wurden am nächsten Tag im nahen Saarland festgenommen.

Dem 39-Jährigen wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem zwei Morde vor, „aus Habgier und um eine Straftat zu verdecken“. Dem 33-Jährigen wirft sie unter anderem versuchte Strafvereitelung vor - er habe beim Verwischen der Spuren geholfen. Zudem werden beide der gemeinschaftlichen nächtlichen Jagdwilderei beschuldigt. Psychiatrische Gutachten ergaben keine Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Schuldfähigkeit.

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Die Gedenkstelle an der K22 für die zwei ermordeten Polizisten. Foto: Sascha Kopp
Die Gedenkstelle an der K22 für die zwei ermordeten Polizisten. (© Sascha Kopp)

Ehefrau könnte Angeklagtem geholfen haben

In den Fokus der Ermittlungen geriet schon früh die Vergangenheit des 39-Jährigen. Er war den Behörden unter anderem wegen des Verdachts der Jagdwilderei aufgefallen. Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern teilte mit: Zum Tatzeitpunkt soll der Mann seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen durch Jagdwilderei und den Verkauf der Beute erzielt haben. Doch seit April 2020 durfte er Waffen weder besitzen noch kaufen oder leihen, hatten die Behörden mitgeteilt. Auch einen Jagdschein habe der Tatverdächtige nur bis Ende März 2020 besessen.

Den Ermittlungen zufolge könnte die Ehefrau dem Angeklagten geholfen haben. Sie habe die Flinte 2021 gekauft sowie das Gewehr in einem Waffengeschäft im Saarland erworben und die Waffen legal besessen.

Am Montag haben die Ermittlungsbehörden mit Durchsuchungen in 15 Bundesländern ein Signal gegen Hass und Hetze gesetzt, die sich nach der Tat im Internet Bahn gebrochen hatte. Polizisten klingelten am Montagmorgen an den Wohnungstüren von 75 Beschuldigten und beschlagnahmten 180 Datenträger wie Smartphones, Notebooks und andere digitale Geräte. „Wenn Worte wie Waffen gebraucht werden, ist konsequentes staatliches Handeln gefordert»“ sagte der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) im Landeskriminalamt in Mainz, das die bundesweite Fahndungsaktion koordinierte. Nach dem gewaltsamen Tod der zwei Polizisten hatte das LKA eine eigene Ermittlungsgruppe „Hate Speech“ eingerichtet. Zwar habe es nach dem Verbrechen vor allem eine Welle der Anteilnahme gegeben, sagte Lewentz. „Wir haben aber auch in sogenannten sozialen Medien in tiefe menschliche Abgründe blicken müssen.“ Es habe „widerwärtigste Kommentare“ gegeben, „in denen der Mord gefeiert und die Opfer verächtlich gemacht wurden“.

Mehrere Durchsuchungen wegen Hate Speech

Inzwischen wird nach Angaben des Ministers gegen 150 Beschuldigte in 172 Fällen strafrechtlich relevanter Äußerungen ermittelt. In mindestens der Hälfte dieser Fälle seien die Urheber identifiziert worden, sagte der Vizepräsident des Bundeskriminalamts, Jürgen Peter. Grundlage der Identifizierung seien meist Screenshots der Äußerungen. Danach seien Profile mit dem gleichen Namen in anderen Netzwerken überprüft worden.

Von den 75 Durchsuchungen am Montag waren allein 32 in Nordrhein-Westfalen. In Rheinland-Pfalz gab es elf Einsätze. Einziges Bundesland ohne Durchsuchung war Sachsen-Anhalt. Betroffen waren Verdächtige im Alter von 13 bis 67 Jahren, die zu 90 Prozent männlich sind. Der Altersschwerpunkt liege bei den 22- bis 40-Jährigen, sagte LKA-Vizepräsident Achim Füssel. Die meisten Hass-Äußerungen wurden bei Facebook registriert. Danach folgten Tiktok, Youtube, Twitter, Instagram und Telegram. Von dem Ermittlungsdruck erhoffen sich die Behörden, die auch sogenannten Likes unter Hass-Äußerungen nachgehen, eine präventive Wirkung.