Das Frühjahr wird zur Gratwanderung. Die an die Inzidenz gekoppelten Öffnungen bergen viele Unwägbarkeiten. Eine Bestandsaufnahme für Rheinland-Pfalz.
MAINZ. Malu Dreyer stellt Rheinland-Pfalz auf eine „Gratwanderung“ durch das Frühjahr ein – kein Spaziergang mit Siebenmeilenstiefeln, eher ein Trippelschritte-Marsch. „Behutsam, akribisch, mit Augenmaß“ – so beschreibt die SPD-Ministerpräsidentin den Weg aus dem Corona-Lockdown. Und an jedem Etappenziel geht es ums Testen und Impfen.
Die Sache mit der Inzidenz: In Rheinland-Pfalz schwankt der Inzidenzwert der Corona-Fälle mal über, mal unter 50, er kreist also genau um den am Mittwoch von Bund und Ländern definierten Grenzwert. Richtig locker machen dürfen sich Städte und Kreise, die stabil eine gewisse Zeit unter 50 liegen. In den Kreisen über 100 (derzeit Germersheim und Altenkirchen) geht erst einmal gar nichts. „Es ist richtig, dass wir die Möglichkeit nutzen, regional zu differenzieren“, wirbt Dreyer für Öffnungen mit mehreren Geschwindigkeiten. Für sie ist das ein Luxusproblem: „Wir sollten uns freuen, weil wir neben Schleswig-Holstein das einzige Land sind, wo man überhaupt über so etwas diskutieren kann.“
Mehr soziale Kontakte
Was geht ab 8. März? Bis zu fünf Personen aus zwei Hausständen (ohne Kinder unter 14) dürfen sich wieder privat treffen. Die Vorschulkinder dürfen in die Kitas zurück, die 5. und 6. Schulklassen in den Wechselunterricht. Buchhändler, Blumenläden und Gartenmärkte dürfen wieder öffnen. Körpernahe Dienstleistungen (Nagel-, Kosmetik- und Tattoo-Studios) können loslegen, wenn Maske getragen wird oder ein negativer Test vorliegt. Komplizierter wird es bei Einzelhandel, Museen, Galerien, botanischen Gärten: Ihre Öffnung ist „denkbar“, so Dreyer, wo die Inzidenz stabil unter 50 liegt, aber nur mit Hygienekonzepten und Eingangskontrollen, zum Beispiel ein Kunde pro 40 Quadratmeter. In Regionen mit Inzidenz 50 bis 100 gibt es nur Terminshopping mit Kontaktdokumentation. „Wir werden uns mit dem Einzelhandel und den Kammern zusammensetzen und überlegen, welche Maßnahmen möglich sind“, erklärte Dreyer. Klar ist aber: Wird die jeweilige Infektionsmarke drei Tage lang gerissen, werden die Lockdown-Schrauben wieder angezogen.
Was geht ab 15. März? Gute Nachricht für die Eltern der Kleinsten von Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD): „Wenn die Erzieherinnen und Erzieher weitestgehend den Schutz durch die erste Impfung haben, können alle Kinder wieder in ihre Kita kommen.“ Der umstrittene Appell, das Angebot wenig zu nutzen und möglichst zu Hause zu betreuen, entfällt dann. Zudem kehren die Schüler ab Jahrgangsstufe 7 in den Wechselunterricht zurück.
Was geht ab 22. März? Zumindest die Außengastronomie soll wieder öffnen (siehe Kasten), dazu Theater, Konzert-, Opernbühnen und Kinos.
Die Test-Lage: Ab 8. März darf sich jeder Rheinland-Pfälzer einmal pro Woche auch ohne Symptome kostenlos testen lassen, der Bund zahlt. 1500 Freiwillige stehen als Schnelltesthelfer bereit. Das Land hat vier Millionen Kits bestellt und zwei Millionen weitere „im Beschaffungsverfahren“. Am Donnerstag gingen die ersten 450.000 Tests an die Kommunen. Lehrer dürfen sich so oft testen lassen wie gewünscht, mindestens einmal pro Woche soll das passieren. Auch Schüler sollen einmal pro Woche zum Selbsttest. Die Zahlen klingen beeindruckend, aber bei vier Millionen Einwohnern sind diese Tests schnell verbraucht.
Die Impf-Lage: Wenn ab April viel Impfstoff kommt, will Rheinland-Pfalz die niedergelassenen Ärzte einbeziehen. Nächste Woche stehen 50.000 Erstimpfungen an. Ende März soll rund jeder zehnte Bürger im Land geimpft sein.
Notbremsen eingebaut
Und sonst? Mehr denn je agiert Dreyer mit Sowohl-als-auch-Sätzen: „Wir haben gute Perspektiven, aber auch eine hohe Verantwortung.“ Oder: „Es gibt eine klare Öffnungsperspektive, aber wir haben in allen Stufen Notbremsen eingebaut.“ Die Regierungschefin ist ihrem vor Wochen skizzierten Stufenmodell – Öffnungen wo möglich, scharfe Hotspot-Strategie, Begleitung durch Tests und Impfen – mit den Beschlüssen vom Mittwoch ein Stück näher gekommen.
Größtes Problem bei diesem Konstrukt bleiben die Verzögerung bei den Schnelltest-Lieferungen durch den Bund (Dreyer: „Eine große Enttäuschung“) und die schwankenden Inzidenzwerte. „Wir können im Moment nicht sagen, die Lage wäre stabil, deshalb müssen wir gut abwägen, ob wir wieder schließen, wenn die Inzidenz für drei Tage über 50 springt.“ Am Mittwoch lag die Inzidenz landesweit bei 48,5, die Bandbreite reichte von 9,8 (Kreis Bernkastel-Wittlich) bis 144,2 (Kreis Germersheim). Wenn jetzt massenhaft getestet wird, könnte das Luxusproblem mit der Unter-50-Inzidenz bald wieder hohen Zahlen weichen.
Von Ulrich Gerecke