Software und KI im Kampf gegen Kindesmissbrauch

Software und künstliche Intelligenz sollen die Ermittlungen der rheinland-pfälzischen Polizei im Kampf gegen Kindesmissbrauch unterstützen. Foto: dpa

Die Verbreitung von Kinderpornografie steigt und mit ihr die Menge an sichergestellten Daten. Neue Technik soll Ermittlern in Rheinland-Pfalz helfen, die Täter zu überführen.

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MAINZ. Die Zahlen sind alarmierend, die Taten abscheulich. Der sexuelle Missbrauch von Kindern und die Verbreitung von Kinderpornografie nimmt auch in Rheinland-Pfalz deutlich zu. Dieser Entwicklung will die Polizei mit neuer Hard- und Software sowie dem Einsatz von künstlicher Intelligenz begegnen. Auf Bundesebene hat sich die Große Koalition auf eine Strafverschärfung geeinigt. Innenminister Roger Lewentz (SPD) wertet das als Baustein einer Gesamtstrategie im Kampf gegen Kindesmissbrauch und die Verbreitung kinderpornografischen Materials.

Mit ruhiger Stimme schildert LKA-Präsident Johannes Kunz vor Medienvertretern das, was die Mitarbeiter der Fachkommissariate in ihrem beruflichen Alltag vielhundertfach zu sehen bekommen – und verkraften müssen. So berichtet Kunz von einem 44-jährigen Familienvater aus der Rheinpfalz, der pornografische Abbildungen seiner vierjähriger Tochter ins Netz gestellt hatte. Bei ihm stellten die Beamten über zwei Millionen kinderpornografische Bild- und rund 25.000 Video-Dateien sicher. Im Internet existieren laut Kunz einschlägige Foren und Tauschbörsen. „Gegen entsprechendes Entgelt wird hier kinderpornografisches Material erstellt und vertrieben“, weiß Kunz. Dabei gebe es keine Grenzen. Sex mit Kindern im Windelalter oder schwere körperliche Misshandlungen gehören zu diesem Tableau des Schreckens, das für die Opfer oft lebenslang anhaltende physische und psychische Schäden bewirkt.

Leistungsfähige Computer zur Auswertung

Bereits Anfang des Jahres wurde die Polizei mit zusätzlicher, leistungsfähigen Computern ausgestattet. Nun sollen neue Software-Programme den Ermittlern helfen, die Unmengen an kinderpornografischen Fotos und Videos im Netz auszuwerten. Zusammen mit dem Polizeipräsidium Rheinpfalz testet das Landeskriminalamt in den nächsten acht Wochen in einem Pilotverfahren das vom LKA Niedersachsen zur Verfügung gestellte Programm „Niki“. Mithilfe von künstlicher Intelligenz unterscheidet „Niki“ pornografische von nicht-pornografischen Darstellungen. Die neue Software soll Prozesse beschleunigen, denn die Datenmenge wird nicht kleiner.

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Dass die Zahl wächst, liegt auch an der technischen Leistungsfähigkeit der aktuellen Smartphonegeneration und dem allzu sorglosen Umgang von Kindern und Jugendlichen damit. Ohne Unrechtsbewusstsein posteten Jugendliche „aus Spaß“ Nacktaufnahmen. 792 Fälle des Vertriebs kinderpornografischer Darstellungen wurden 2019 angezeigt, 2016 waren es noch 319. Von der nicht-staatlichen US-Organisation NCMEC erhielt das LKA im Vorjahr Hinweise auf 269 Fälle von kinderpornografischem Material im Netz. „Jetzt sind wir bereits bei 277 Meldungen“, sagt Kunz mit Blick auf das laufende Jahr. 647 Missbrauchsfälle gab es 2019 in Rheinland-Pfalz, 33 mehr als im Vorjahr. Doch es gibt ein großes Dunkelfeld. Experten gehen davon aus, dass auf eine angezeigte Tat 30 verborgene Taten kommen. Das liegt laut Kunz daran, dass Opfer sich aus Angst und Scham nicht offenbaren. Oftmals stammen die Täter aus der eigenen Familie oder dem persönlichen Umfeld.

Hohe Belastung für Ermittler

Ab Dienstag tagt die Innenministerkonferenz (IMK) drei Tage lang in Erfurt. Dabei wird auch die Bekämpfung des Kindesmissbrauchs Thema sein. „Schreckliche Ereignisse wie in Münster, Bergisch Gladbach oder Freiburg sind an Widerwärtigkeit nicht zu überbieten“, lenkt Roger Lewentz den Blick auf die bundesweite Dimension der Problematik. In Rheinland-Pfalz habe man bisher keine vergleichbaren Fälle. Allerdings stelle die Ermittler dieses sensible und emotionale Thema auch hier vor große Herausforderungen. Die tägliche Konfrontation mit perfiden, menschenverachtenden und unsägliches Leid verursachenden Straftaten hinterlasse auch bei den erfahrendsten Kriminalbeamten Spuren. Unterstützung erfahren sie durch interne und externe Supervisionen.

Dass der Tatbestand nun im Strafgesetzbuch als Verbrechen gewertet und die Mindeststrafe erhöht werde, sind für Lewentz ein „wichtiges und eindeutiges sicherheitspolitisches Signal“. Zwar halte die Erhöhung des Strafmaßes einen Triebtäter nicht von seiner Tat ab, aber ein höherer Strafrahmen biete Polizei und Staatsanwaltschaft mehr Ermittlungsmöglichkeiten. „Den Ermittlern steht bei einem Verbrechenstatbestand das gesamte strafprozessuale Instrumentarium zur Verfügung“, verdeutlicht der Innenminister.

In Erfurt will sich Lewentz auch für ein einheitliches Vorgehen der Bundesländer bei den Eingriffsmöglichkeiten. „Es muss beim staatlichen Zugriff egal sein, ob ein kinderpornografisches Video per Smartphone, E-Mail oder über ein soziales Netzwerk oder das Darknet verbreitet wird“, sagt Lewentz. Bislang werde das von den Ländern unterschiedlich bewertet. Er wolle sich bei der IMK dafür einsetzen, dass es zu einer praktikablen Lösung für Polizei und Justiz kommt.

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Von Thomas Ehlke