Wie es politisch in Rheinland-Pfalz weitergehen könnte

Uwe Jun forscht an der Uni Trier über Parteien.

Wie geht es weiter nach Lewentz‘ Rücktritt und Eblings Wechsel ins Innenministerium? Politikwissenschaftler Uwe Jun erklärt die politische Lage in Rheinland-Pfalz und in der SPD.

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MAINZ. Roger Lewentz‘ Rücktritt als rheinland-pfälzischer Innenminister kam am Ende wenig überraschend, Michael Eblings Wechsel vom Mainzer Rathaus in die Landesregierung dagegen schon. Über die politische Lage im Land, die Situation der SPD, die Chancen der CDU sowie den Umgang mit den Menschen im Ahrtal spricht Politikwissenschaftler Professor Uwe Jun.

Herr Jun, nachdem Innenminister Lewentz zurückgetreten ist, wächst bei der Aufarbeitung der Ahrflut der Druck auf Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Was muss sie sich vorwerfen lassen?

Der Hauptvorwurf der Opposition ist, dass sie die Geschicke in der Flutnacht nicht selbst in die Hand genommen hat, sondern das hat andere machen lassen.

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Eine Katastrophe ist im Anmarsch, und die wichtigsten Personen der Landesregierung – Dreyer, Lewentz, Umweltministerin Anne Spiegel – sprechen nicht zu dritt miteinander. Wie kann das sein?

Die Kommunikationsflüsse der Landesregierung sind nicht optimal gelaufen. Das sieht man anhand der SMS, die ausgetauscht und veröffentlicht worden sind. In der Tat hätte es zu einer intensiveren Kommunikation insbesondere zwischen dem Innenminister und der damaligen stellvertretenden Ministerpräsidentin und Umweltministerin kommen müssen. Die Opposition sagt: Dreyer hätte es anordnen sollen, dass die beiden Ministerien miteinander kommunizieren. Das ist aus meiner Sicht unüblich, weil der Innenminister und die Umweltministerin selbst tätig werden sollten, denn bei ihnen lagen die Kompetenzen in der Flutnacht.

Beide, Spiegel und Lewentz, sind inzwischen zurückgetreten. Wie gefährlich wird es noch für Frau Dreyer?

Das ist sicherlich keine einfache Zeit für sie. Die Erfolge der SPD in der jüngeren Vergangenheit ergaben sich wesentlich aufgrund der hohen Popularität und Glaubwürdigkeit der Ministerpräsidentin. Es ist ein legitimes Anliegen der Oppositionsparteien, diese in Frage zu stellen. Und das versuchen sie gerade. Man muss abwarten, inwieweit es ihnen gelingt. Derzeit sehe ich aber noch keine Nachweise eines politischen Fehlverhaltens der Ministerpräsidentin.

Warum nicht?

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Wenn man sagt, Frau Dreyer hätte selbst handeln müssen, dann hieße das ja: Dreyer hätte andere Erkenntnisse haben müssen als alle anderen. Diese hatte sie – soweit bekannt – nicht. Auch ihre Kolleginnen und Kollegen in Nordrhein-Westfalen hatten vor der Katastrophe nicht die Erkenntnisse, dass das Ausmaß der Flut so groß würde, wie wir es jetzt wissen.

Wird sie sich halten?

Davon ist beim derzeitigen Stand der Erkenntnisse auszugehen.

Der neue Innenminister Michael Ebling hat bei seinem ersten Besuch im Ahrtal den Aufbau von Vertrauen als seine erste Aufgabe genannt. Kann das dieser Landesregierung noch gelingen? Bislang hat sich niemand für Fehler entschuldigt.

Bei den Bewohnern im Ahrtal ist Glaubwürdigkeit verloren gegangen. Das hat mehrere Gründe: weil man in der Katastrophennacht nicht adäquat gehandelt hat, weil aus Sicht der Betroffenen die Hilfen nicht zügig genug gezahlt worden sind und weil die Landesregierung nicht ausreichend begründet, warum das so lange dauert. Ebling hat den Vorteil, dass er darin gar nicht involviert gewesen war. Es ist dem Innenminister möglich, neues Vertrauen aufzubauen, wenn es ihm gelingt, die Missstände zu beheben.

Wie?

Er muss deutlich machen, was man im Katastrophenschutz besser machen kann, wie man schnellere Hilfe gewähren kann. Und wenn es nicht gelingt, warum nicht.

Roger Lewentz ist noch SPD-Landeschef. Welche Bedeutung hat dieses Amt jetzt – und künftig?

Für die SPD muss es darum gehen, stärkste Kraft im Land zu bleiben. Das ist nicht einfach. Bei Kommunal- und Bundestagswahlen tut sie sich nach wie vor schwer. Es ist Lewentz aber gelungen, die Partei schlagkräftig und effizient zu führen. Die Partei wirkt einig und sie steht hinter der Regierungspolitik. Gleichzeitig hat Lewentz nach seinem Rücktritt keine große Machtposition mehr. Und er ist keiner, der in die Zukunft weist. Es ist für eine Partei wie die SPD immer von Vorteil gewesen, wenn sie eine Person an ihrer Spitze hatte, die stärker in die Zukunft wies. Oder jemanden, der in der Landesregierung eine starke Position hat.

Mit jemandem, der in die Zukunft weist, meinen Sie jemand Jüngeren?

Es muss nicht jemand Jüngeres sein. Es muss jemand sein, der die Zukunft der Partei verkörpert. Zum Beispiel könnte es der neue Innenminister sein, der unbelastet in das Amt geht und die SPD gut kennt.

Es gibt mehrere Kandidaten bei der SPD, die Dreyer nachfolgen könnten. Neben Ebling werden Alexander Schweitzer und Sabine Bätzing-Lichtenthäler immer wieder genannt. Fällt Ihnen noch jemand ein?

Das sind die drei, die hauptsächlich genannt werden, weil sie in der Landespolitik führende Rollen einnehmen. Ebling wäre auch genannt worden, wenn er nicht Innenminister geworden wäre, sondern weil er zweimal die Mainzer Oberbürgermeisterwahl gewonnen hat. Denkbar sind auch Personen von außen.

Wollen Sie Namen nennen?

Es werden ja gelegentlich noch andere Namen genannt, die wie Dreyer aus Trier kommen. Etwa Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Außenseiterchancen hätte Verena Hubertz, die Trierer Bundestagsabgeordnete und stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitz- ende im Bund. Das wäre jedoch ein extrem starker Verjüngungsprozess.

Wen sehen Sie vorn?

Nach der Kabinettsbildung ist Herr Schweitzer hoch gehandelt worden. Die Zukunftsaufgaben, die sich die SPD gestellt hat, die Transformation des Landes, liegt in seinem Ministerium. Herr Ebling bringt auch etwas mit, was gut ankommt: Er hat Exekutiverfahrung und kann gut auf Leute zugehen wie Kurt Beck und Malu Dreyer.

In der Landeshauptstadt ist mit dem Abgang Eblings die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die SPD den OB-Posten verliert. War’s das wert?

Das müssten am Ende Herr Ebling und die SPD entscheiden. Ich denke, dass es für die SPD zentral ist, stärkste Kraft bei Landtagswahlen zu bleiben. Und dass man schauen muss, dass das erste Aufgebot der Partei auf der Landesebene vorhanden ist. Das Risiko, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin einer anderen Partei in Mainz OB wird, ist man eingegangen.

Die CDU hat in der Vergangenheit nicht dauerhaft und entscheidend von Schwächen der SPD profitieren können. Räumen Sie der Partei nun höhere Chancen ein?

Für die CDU wäre es natürlich eine Riesenchance, wenn die SPD stark angeschlagen ist. Frühere Pannen wie den Flughafen Hahn und den Nürburgring konnte die CDU nicht entscheidend für sich nutzen. Zudem ist bei ihr vieles noch nicht eindeutig geklärt.

Wie meinen Sie das?

Es ist noch unklar, wie die CDU inhaltlich und personell in die kommende Landtagswahl gehen wird. Wird ihr Landesvorsitzender Christian Baldauf trotz der Wahlniederlage 2021 erneut Spitzenkandidat? Welchen inhaltlichen Kurs möchte die Partei einschlagen?

Die nächsten Landtagswahlen sind erst 2026. Können die Fehler bei der Ahrflut bis dahin vergessen sein, angesichts einer solchen Katastrophe?

Ich glaube, nein. Das wird nicht vergessen sein, weil die Katastrophe anders gelagert ist als Nürburgring und Hahn. Bei diesen ging es neben den Glaubwürdigkeitsverlusten für die Landesregierung mehr um finanzielle Aspekte. Die wirken nicht so gravierend wie die Katastrophe, die im Ahrtal viele Menschenleben gekostet hat. Damit muss die Landesregierung leben. Die Frage wird 2026 sein: Ist es der Landesregierung, vor allem der Person an der Spitze der SPD, gelungen, Glaubwürdigkeit und Vertrauen herzustellen?