Die Schneise entlang des einstigen Eisernen Vorhangs zwischen Ost und West ist rund 1400 Kilometer lang. Wo einst der Todesstreifen verlief, warten heute Naturerlebnisse.
. „Alles was blieb, waren das Trafohäuschen und ein paar Grabsteine auf dem Friedhof!“ Der ehemalige Bürgermeister Gerhard Berghold kämpft mit den Tränen, wenn er über das Schicksal von Billmuthausen spricht. Er schaufelt die Luft mit seinen Händen beim Erzählen, als könnten große Gesten ihm Linderung verschaffen.
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1340 wurden Billmuthausen und sein Rittergut erstmals urkundlich erwähnt. Mit der Teilung Deutschlands lag das Dorf in der fünf Kilometer breiten Sperrzone unmittelbar an der Grenze zum Westen. Nur mit einer Sondergenehmigung durfte man sich hier überhaupt aufhalten. „Das Leben im Grenzgebiet war brutal“, sagt Berghold, „nur die Regimetreuen durften bleiben. Die Risse gingen durch die Familien. Eheleute wussten voneinander nicht, ob der Partner bei der Stasi war“.
Schon bald nach dem Krieg wurde das Herrenhaus des Ritterguts abgerissen, sagt der ehemalige LPG-Mitarbeiter. „1955 und 1961 erfolgte dann jeweils eine, Aktion Ungeziefer‘, bei der man alle nicht absolut systemtreuen Bewohner zwangsumsiedelte. 1965 ließ man die Kirche abreißen, während der Pfarrer gerade Ferien machte. 1978 wurde schließlich das ganze Dorf dem Erdboden gleichgemacht“. Billmuthausen war ausgelöscht – ebenso wie die Nachbardörfer Erlebach und Leitenhausen.
Kein Netz fürs Handy, kein Geschäft, kein Bankautomat
An das Schicksal von Billmuthausen erinnert heute eine kleine Gedenkstätte in einer Art Schutzhütte am Friedhof, wo zuweilen Gottesdienste abgehalten werden. „Aber zu solchen Veranstaltungen kommen fast nur Bewohner aus Bayern her, kaum jemand dagegen aus Thüringen“, so der heutige Bürgermeister Christopher Other. Nur wenige Kilometer von der Gedenkstätte entfernt liegen Bad Colberg mit seinem Thermalbad und Ummerstadt, eine Fachwerkidylle, in der der Lutherfilm gedreht wurde. Im einzigen Gasthaus wird Bodenständiges serviert, Thüringer Klöße mit Ochsenfleisch oder Gulasch etwa. Aber es gibt kein Netz fürs Handy, kein Geschäft, keinen Bankautomaten und übernachten kann man nur in privaten Fremdenzimmern. Doch neuerdings hat ein Bürgercafé eröffnet, wo man morgens auch frisch gebackene Brötchen erhält.
„Natürlich wünschen wir uns hier mehr Tourismus“, sagt der ehemalige Lehrer Peter Haase. In endloser Fleißarbeit hat er die Wanderwege in der Umgebung von Ummerstadt mit Wegweisern versehen. Die wichtigste Route verläuft auf dem „Grünen Band“, der verbliebenen Narbe der deutschen Teilung. Zwischen den Lochbetonplatten des ehemaligen Kolonnenwegs der DDR-Grenzer sprießen heute seltene Pflanzen. Praktisch der gesamte ehemalige Grenzstreifen ist inzwischen ein Paradies für Wanderer und Radler.
Das „Grüne Band“, die Schneise entlang des einstigen Eisernen Vorhangs zwischen Ost und West, ist in Deutschland rund 1400 Kilometer lang. Thüringen hat dabei mit 763 Kilometern den größten Anteil. Wo sich einst der Todesstreifen dehnte, finden heute mehr als 1200 Arten, die auf der Roten Liste stehen, ihren Lebensraum. Das Unesco-Biosphärenreservat Rhön bietet eindrucksvolle Naturerlebnisse, etwa im Schwarzen Moor direkt am Dreiländereck, wo Bayern, Hessen und Thüringen aufeinander stoßen. Ein weiter Blick ins „Land der offenen Fernen“, wie die Rhön genannt wird, gewährt der Aussichtsturm „Noahs Segel“ bei Kaltenwestheim.
Der Weg auf dem Grünen Band führt von hier aus in rund einer Stunde zur „Arche Rhön“ mit kindgerechter Naturkundeausstellung, großem Spielplatz und Spielarche. Gerd Dietzel, zertifizierter Natur- und Landschaftsführer, ist hier oft mit Gästen unterwegs. Er zeigt ein Stück Grenzzaun aus Streckmetall, der sich rostig zwischen den Fichten versteckt. Später wurde er feuerverzinkt hergestellt. „Als der abgerissen war, konnte man daraus prima Komposttonnen für den Garten bauen“, sagt Dietzel.
Im nicht weit entfernten Dermbach agiert ein ganz anderer Grenzgänger. „Rhöner Botschaft“ nennt sich das Reich, in dem Björn Leist in seinem Gourmet-Restaurant „Björns Ox“ regionale Küche serviert. Schlafen kann man unterm gleichen Dach im „Saxenhof“ mit schöner Fachwerkfassade. Leist stammt aus Hilders im hessischen Teil der Rhön, wo der Bruder noch heute die Familienmetzgerei führt. Björn Leist aber zog es hinüber nach Thüringen, um seinen Traum als Gastgeber wahr zu machen.
Point Alpha, so von den hier stationierten US-Streitkräften benannt, ist eine der wichtigsten Wegmarken am Grünen Band. Hier, am sogenannten „Fulda Gap“, wo im Kriegsfall der Einfall der Truppen aus dem Warschauer Pakt vermutet wurde, belauerten sich in unmittelbarer Nachbarschaft Ost und West mit Abhörstationen und Beobachtungstürmen. Im „Haus an der Grenze“ macht eine Ausstellung die Teilung anschaulich. 20 Zeitzeugen aus der Region berichten in Hörstationen vom Leben im Sperrgebiet direkt am Eisernen Vorhang. Draußen führt ein Rundgang an den nach und nach immer stärker ausgebauten Grenzanlagen vorbei. Vom einfachen hölzernen Schlagbaum über die ersten Stacheldrahtzäune bis hin zum praktisch unüberwindbaren Bollwerk zieht sich der Weg. Schritt für Schritt erlebt man mit zunehmender Beklemmung den Irrsinn dieser Grenze. Heute grasen Rhönschafe mit ihren markanten schwarzen Köpfen direkt unter dem einstigen DDR-Beobachtungsturm.
Noch bedrückender ist das Erlebnis der Teilung im Grenzmuseum Schifflersgrund zwischen dem hessischen Eschwege und dem thüringischen Heilbad Heiligenstadt. Seit 1990 existiert die privat geführte älteste Gedenkstätte der innerdeutschen Grenze. Rebecca Bode empfängt ihre Besucher im grünen Shirt mit der Aufschrift „Natur ist grenzenlos“. Im Schifflersgrund ist mit 1,5 Kilometern das längste Teilstück des Eisernen Vorhangs in ganz Europa originalgetreu erhalten. „Wir müssen diesen Ort bewahren, damit sich die junge Leute überhaupt noch vorstellen können, was diese Teilung bedeutete“, sagt Rebecca Bode. Sie führt die Gäste zur Grenzanlage, berichtet von Splitterminen, Erdbunkern und dem Alltag der Wachmannschaften. Und sie erzählt vom Fluchtversuch des Heinz-Josef Große, der hier im März 1982 erschossen wurde, nachdem er den Zaun bereits überwunden hatte. Die Einschusslöcher im Streckmetallgitter sind noch gut zu erkennen. Der Anblick lässt sich kaum ertragen.
„Der sogenannte Todesstreifen hieß auch deshalb so, weil man das Erdreich bewusst mit giftigen Chemikalien und Dieselöl präparierte, um alles Pflanzenwachstum zu ersticken“, erklärt Rebecca Bode noch. Inzwischen hat sich die Natur am Grünen Band der Hoffnung erholt.
Von Claudia Diemar