Vom österreichischen Lifestyle-Mekka aus gelangen Skifahrer grenzüberschreitend ins schweizerische Samnaun – und können dort sogar zollfrei einkaufen.
. Es ist früh am Tag, als Skilehrer und Guide Patrik Aloys mit seiner vierköpfigen Gruppe in Ischgl startet. Die „Goldene Schmugglerrunde“ steht an diesem Tag auf dem Programm. „In vier Stunden schaffen wir das“, sagt der 44-Jährige.
Bildergalerie
Ischgl ist bekannt als Lifestyle-Mekka der Alpen und mit knapp 12 000 Gästebetten sowie mehr als 230 Pistenkilometern, die das Paznauntal in Österreich mit Samnaun in der Schweiz verbinden, auch eines der größten europäischen Skigebiete. Seit Dezember 2016 führen drei „Schmugglerrunden“ durch das Skiareal. Und in der Hochsaison fahren mehrere 1000 Wintersportler täglich auf dem sogenannten Duty-Free-Run von Österreich über die Grenze nach Samnaun in die Schweiz, wo zollfrei einkauft werden kann. Auf 800 Einwohner kommen mehr als 50 Geschäfte, darunter viele Juweliere.
Der Runden-Name ist Programm, denn wie alle Grenzregionen war auch das Paznaun früher eine beliebte Schmuggelregion. So ganz genau weiß heute niemand mehr, wann die Sache mit dem Schmuggeln begann. Das Jahr 1768 wird aber immer wieder genannt. Denn damals wurde den Ischglern die Zollfreiheit genommen, die über 200 Jahre lang gegolten hatte. „Ischgl war ein armes Bergdorf und gerade in Notzeiten haben die Ischgler genommen, was sie selbst erzeugen konnten, und ins schweizerische Samnaun gebracht“, schildert Patrik Aloys. Die Ischgler schleppten vor allem Butter, Käse und Felle über die Berge, um sie bei den Nachbarn gegen Kaffee, Reis, Mehl, Tabak und Süßstoff zu tauschen.
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ging das so. „Geschmuggelt wurde das ganze Jahr über“, erinnert sich Emil Zangerl. Der 85-Jährige weiß, wovon er spricht. Wie viele andere Ischgler war auch er beim Schmuggeln aktiv. Geschmuggelt wurde vorwiegend bei schlechtem Wetter und schlechter Sicht: „Da war man für die Zöllner natürlich schlechter erkennbar“, sagt der rüstige Rentner. Er und viele seiner Kameraden waren bei ihren Schmuggeltouren ins Samnaun und zurück zu Fuß mehr als zehn Stunden unterwegs –mit Rucksäcken, die bis zu 50 Kilogramm wogen.
Verpflegung hatten sie in der Regel keine mit. In Samnaun wurden die Ischgler Schmuggler aber stets gut verköstigt – die Geschäfte sollten ja auch künftig laufen.
Und wenn man erwischt wurde? Dann wurde die Ware beschlagnahmt, ansonsten ist nicht viel passiert. Emil Zangerl hatte keine Angst davor: „Die Zöllner waren meist Auswärtige, die wir Einheimischen ‚Grasrutscher’ nannten, weil sie nicht so gut Ski fahren konnten.“ Oft sei das Verhältnis zwischen Schmugglern und Zöllnern sogar freundschaftlich gewesen und man habe häufig im Gasthaus zusammen gesessen.
Mit dem Tourismus kam Ende der 1950er-Jahre auch etwas mehr Wohlstand, vor allem aber Arbeit in die Gegend. Immer weniger Einheimische nahmen die langen Wege auf sich, um Waren aus Samnaun nach Ischgl zu schmuggeln. Der Legende nach soll sogar der erste Skilift in Ischgl, der 1952 im Ortsteil Brand errichtet worden war, mit Hilfe von Gewinnen aus dem Schmuggelgeschäft mitfinanziert worden sein.
So genau will das aber keiner bestätigen. Fakt ist, dass die alten, grenzüberschreitenden Schmugglerwege auch heute noch ihren Reiz haben. Und deshalb hat Ischgl die drei Touren erarbeitet, die mit unterschiedlichen Anforderungen durch das Gebiet Ischgl / Samnaun führen.
„Die Schmugglerrunde Gold ist mit 35,7 Pistenkilometern und 6463 Höhenmetern eine der längsten Skirunden der Welt“, weiß Patrik Aloys, der seine Gruppe an diesem Tag durch das gesamte Skigebiet der Silvretta Arena von Ischgl über den Palinkopf zum Piz Val Gronda führt. Von dort geht’s hinab nach Samnaun und zurück über die Alp Trida und die Greitspitze nach Ischgl. Kurz einen Abstecher in die Duty-Free-Läden, eine neue Sonnenbrille oder ein Parfum gekauft, geht’s kurz darauf zurück über die Grenze nach Österreich.
Schmuggeln geht heute nicht mehr ganz so einfach wie früher. „Zollkontrolle, bitte öffnen Sie Ihren Rucksack“, heißt es nicht selten. Wie viele Beamte wann im Grenzgebiet patrouillieren, will der österreichische Zoll nicht verraten. Mit meist fünf Kollegen fahren die Streifen in Zivil auf den Pisten. „Vor allem, wenn ein Gast einen dicken Rucksack auf dem Rücken hat, muss er schon das eine oder andere Mal einem Zöllner den Inhalt zeigen“, sagt Patrik. Waren im Wert bis zu 300 Euro darf man kaufen und muss sie auch nicht versteuern. Alles, was darüber liegt, muss verzollt werden. Nicht selten fährt er mit Urlaubern rüber, die sich eine Rolex- oder Cartier-Uhr kaufen wollen. „Die sind in Samnaun schon um einiges günstiger. Gelegentlich erwischen die schon den einen oder anderen, die Uhr wird dann konfisziert und ein Bußgeld verhängt“, so der Guide.
Start und Ziel aller drei Schmugglerrunden ist an der Talstation Fimbabahn in Ischgl. Wer seine Runde erfolgreich beendet hat, kann am Schluss auch Beute machen. Denn unter allen Skifahrern, die ihre Schmugglerrunde per GPS mit der „iSki Ischgl App“ tracken, werden täglich, wöchentlich und am Ende der Saison tolle Preise wie Rucksäcke oder Kopfbänder verlost – und als Hauptpreis sogar einige Tage Urlaub in Ischgl.