Saint-Malo in der Bretagne zählt zu den meistbesuchten Orten Frankreichs. Ruhiger ist das ehemalige Freibeuternest im Herbst: perfekt, um kulinarische Genüsse zu entdecken.
Von Claudia Diemar
Blick über den Strand von Saint-Malo.
(Foto: Claudia Diemar)
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Zu Mitternacht hat das Meer noch den gesamten Strand überflutet, ist bis an die Mauer der Promenade gebrandet, hat Gischtfetzen über späte Flaneure geschickt und unruhig wie ein gefährliches Tier geklungen. Jetzt, nach dem Aufwachen, ist draußen alles still, bis auf vereinzelte Möwenschreie. Das Meer ist weit weg. Man muss ihm ein ganzes Stück entgegenlaufen, um sich in die Wellen zu werfen.
Bis zu zwölf, manchmal sogar 14 Meter Tidenhub hat die „Smaragdküste“ an der Nordflanke der Bretagne aufzuweisen. Saint-Malo ist ein Ort, der schon immer mit dem Meer lebte. Fischfang bis nach Neufundland sicherte seinen Bewohnern ein Auskommen. Unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. stieg der Fischerhafen zu ungeahntem Reichtum auf. Ausgestattet mit hoheitlichem Freibrief durften die Seefahrer auf Beutezug gehen, wenn sie dem König einen Teil der gekaperten Fracht überließen. Wenn die Beuteschiffe in den Hafen geschleppt waren, begannen die „Tage des Wohlgeruchs“. Der Duft von Kakao, Vanille und exotischen Gewürzen lag in der Luft.
Er lässt sich noch heute erschnuppern. Bei „Épices Rœllinger“ in der Rue Saint-Vincent etwa. Kardamom und Curry, Kreuzkümmel, Muskat und Safran überwältigen die Nase. Bis unter die Decke reichen die Regale mit den Gewürzgläsern. Berühmt ist Olivier Rœllinger für seine Mischung „Retour des Indes“, bestens geeignet, um Gerichten aus Fisch und Meeresfrüchten eine exotische Note zu geben. Im Nachbarort Cancale unterhält er eine Kochschule, in der man lernen kann, was Korsaren einst gemundet haben soll. Einen erlesenen Geschmack sollen sie gehabt haben – sofern sie ihren nicht ungefährlichen Seeräuberberuf lange genug überlebten. Robert Surcouf gelang das. Auf seinem Denkmal weist er hinaus aufs Meer, als wolle er gleich wieder aufbrechen.
Blick über den Strand von Saint-Malo. Foto: Claudia Diemar
Die Japanerin Kei Saito (links) backt Crêpes im Atelier de La Crêpe in Saint-Malo. Foto: Claudia Diemar
Austern können Feinschmecker auch im Nachbarort Cancale genießen. Foto: Claudia Diemar
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Kochkurse der besonderen Art bietet auch das „Atelier de la Crêpe“. Wer glaubte, Crêpe zu machen, könne eine große Sache nicht sein, wird hier eines Besseren belehrt. Wasser, Meersalz, Weizenmehl für die Crêpe und Buchweizenmehl für die herzhafte Variante, die Galette braucht es. Und natürlich gute Butter, die in der Bretagne den gleichen Kultstatus hat wie im Süden das Olivenöl. „Eine echte bretonische Butter ist immer salzig“ so Stadtführerin Nathalie Foligné. Woran das liegt? Es war Herzogin Anne de Bretagne, die zur Zeit der Renaissance darauf bestand, dass in ihrem Herrschaftsgebiet keine Salzsteuer zu erheben sei. Die kluge Frau verfügte auch ein Verbot von Wegzöllen, weshalb bis heute alle Schnellstraßen der Bretagne gebührenfrei sind.
INFORMATIONEN:
Unterkunft: Hotel Les Charmettes, charmantes Boutiquehotel direkt am Strand, gute Küche, DZ ab 75 Euro, www.hotel-les-charmettes.com. Le Grand Beaufort in historischer Strandvilla, DZ mit Meerblick ab 95 Euro, www.hotel-beaufort.com Grand Hotel des Thermes, Fünf-Sterne-Haus mit Thalasso-Abteilung, DZ ab ca. 155 Euro www.le-grand-hotel-des-thermes.fr
Anders als im restlichen Frankreich, konnte sich in der Bretagne auch das einfache Volk jederzeit das weiße Gold leisten. Salz gehört hier in die Karamellbonbons ebenso wie in Kekse und Kuchen. Es ist, als ob man immerzu den Geschmack des Meeres im Mund haben wollte. Den „Ésprit de beurre“ kann man sich im Laden von Jean-Yves Bordier auf der Zunge zergehen lassen.
Es gibt hier Butter mit Algen und mit baskischem Pfeffer ebenso wie mit Schokolade oder Madagaskar-Vanille. Und natürlich Dutzende von hochwertigen Käsen, die wie die Butter aus der Milch bretonischer Glückskühe gemacht werden. Der Laden findet sich in der Rue de L’Orme, der kulinarischen Hauptstraße von Saint-Malo. Hier gibt es Fischhändler, Gemüseboutiquen, Feinkostläden und ganz am Ende eine historische Markthalle, die Dienstag und Freitag vormittags präsentiert, was die Bretagne an essbaren Wundern hervorbringt – kindskopfgroße Artischocken etwa. Schließlich ist man Europas größter Produzent der gesunden Distelpflanzen.
Gegenüber von der Markthalle hat Yannick Heude sein Geschäft. Hier geht es vor allem um Cidre, die bretonische Variante des Apfelweins, natürlich in zig verschiedenen Sorten zu haben. Verkostung gewünscht? Aber gern doch! Übrigens gibt es in der Bretagne nicht nur Cidre, sondern auch 800 verschiedene lokale Biere, erfährt man nebenher. Zusammen mit Butter-Bordier, einem Bäcker und Patissier sowie zwei Küchenchefs hat Yannick die „École du goût de Saint-Malo“ gegründet, eine Schule des guten Geschmacks, auf dass das hohe Niveau der Genüsse hier niemals unterzugehen drohe.
Aber zurück zu Crêpe & Co. Andächtig wie eine Zen-Meisterin zelebriert Kei Saito die Herstellung einer perfekten Galette aus Buchweizenmehl. „Schwierig, weil keinerlei Eier im Teig sind“, so die Japanerin. Dass sie hier in Saint-Malo an der Heizplatte steht, ist kein Wunder, denn ihr Chef, der bretonische Crêpe-Meister Bertrand Larcher, unterhält auch eine Filiale in Tokio und demnächst eine weitere in New York. Bis zu sechs Monate brauche es schon, eine perfekte Crêpe hinzukriegen. Wer die Übung probieren will, kann den Vier-Stunden-Kurs für Laien zu 75 Euro buchen. Oder einfach im Restaurant des Ateliers ein Mittagsmenü bestellen: Crêpe, Galette sowie Dessert und ein Cidre dazu, für rund zwölf Euro ein faires Angebot.
So gestärkt kann man noch einmal durch das massive Stadttor schlüpfen, „intra-muros“, in ein Viertel, das ganz und gar mittelalterlich wirkt. Aber das ist nur schöner Schein. Saint-Malo wurde im August 1944 durch alliierte Bomben zu 85 Prozent zerstört, weil der deutsche Kommandant die Stadt nicht zu übergeben gedachte. Praktisch alles, was heute zu sehen ist, wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut. “Im alten Stil, aber mit Erweiterung einiger Plätze, damit Licht und Sonne hineinkommen“, so Stadtführerin Nathalie.
Die malerische Inszenierung ist so perfekt, dass Saint-Malo heute zu den am meisten besuchten Orten Frankreichs zählt. Am schönsten ist es hier darum in der Nachsaison. Wie eine nach Beute greifende Hand schiebt sich die wieder erstandene Altstadt hinaus ins Meer, schützt sich zur Seeseite mit hohen Mauern. Als „granitene Zitadelle“ beschrieb der französische Literat Châteaubriand sein Saint-Malo. Auf dem bei Ebbe zu Fuß erreichbaren Eiland Grand Bé ist er begraben. Den Namen „Smaragdküste“ versteht man beim Blick von den Stadtmauern sofort. In Türkis und Flaschengrün prunken die Buchten. Solche Farbspiele hätte man dem Wasser des Ärmelkanals niemals zugetraut.
Vor dem Diner zieht sich das Meer allmählich wieder zurück, gibt Meter um Meter den langen goldgelben Strand frei. Es ist Zeit für ein „Plateau de fruits de mer“: Austern, Strandschnecken, Krabben, Kaisergranat und anderes maritimes Getier. Brot und bretonische Butter dazu. Mit neidischem Gekreische segeln die Möwen über die Genießer hinweg, die sich der Abendsonne über die Schätze des Meeres hermachen.