Auf der Ägäisinsel Ikaria werden viele Menschen über 100 Jahre alt. Wie sie vor malerischer Kulisse leben und worauf sie bewusst verzichten.
Von Maggie Riepl
Der Seychellen-Strand an der Südküste von Ikaria ist einer der schönsten Strände auf der griechischen Insel.
(Foto: Maggie Riepl)
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„Die Insel, wo die Menschen vergessen zu sterben“, schrieb vor einigen Jahren die New York Times über Ikaria. Fakt ist: Die griechische Ägäisinsel ist eine der fünf „Blue Zones“ der Erde. Das sind Gebiete, in denen die Menschen älter werden als im Rest der Welt. Auf Ikaria wird ein Drittel der Menschen 90 Jahre alt und über 100-Jährige sind keine Seltenheit. Das ist die höchste Konzentration langen Lebens weltweit.
Dimitris ist 101, seine Frau Thula 92. Vor über 60 Jahren gehörten die beiden zu den ersten, die eine kleine Pension auf Ikaria aufgemacht haben. Noch immer betreibt das Ehepaar die elf Fremdenzimmer am Hafen von Armenistis allein. Fast allein: „In diesem Jahr haben sie zum ersten Mal nach einer Putzhilfe gefragt“, berichtet ihr Enkel Dimitris, der mit seiner Mutter ein paar Meter weiter das hübsche Hotel Cavos Bay betreibt. „Meine Großeltern fühlen sich nicht alt, sie leben einfach ihr Leben immer weiter wie sie es von jeher gewöhnt sind“, so der 38-Jährige, der das gar nicht so ungewöhnlich findet.
Arbeit statt Müßiggang. Ist das das Geheimnis eines langen Lebens? Stress ist jedenfalls im privaten wie beruflichen Leben auf Ikaria ein Fremdwort. Hektisches Streben nach Geld und Luxus gibt es genauso wenig. Ruhe, Gelassenheit und Bescheidenheit zeichnen die Ikarier aus. „Wir schätzen das einfache Leben“, sagt Dimitris und darum gibt es auf der Insel weder Fünf-Sterne-Hotels noch teure Boutiquen, laute Clubs oder sonstigen Rummel.
Der Seychellen-Strand an der Südküste von Ikaria ist einer der schönsten Strände auf der griechischen Insel. Foto: Maggie Riepl
Teure Boutiquen, laute Clubs und sonstigen Rummel sucht man vergebens: Blick auf den Hafen von Evdilos. Foto: Maggie Riepl
Blick auf den Hafen von Armenistis. Foto: Maggie Riepl
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Griechenland-Feeling wie vor 30 Jahren
Tourismus-Boom wie auf der Nachbarinsel Mykonos will man nicht. Das erklärt, dass selbst umtriebige Griechenland-Reisende von Ikaria nichts gehört haben außer der bekannten Legende von Dädalus und Ikarus: Vater und Sohn fliehen mit selbst gebauten Flügeln von der Insel Minos. Der junge übermütige Ikarus kommt dabei der Sonne zu nahe. Die aus Wachs gefertigten Flügeln schmelzen und er stürzt ins Meer vor der Insel, deren Namensgeber er wird.
Auf Ikaria – schwärmen Fans – erlebt man noch das typische Griechenland-Feeling wie vor 30 Jahren. Armenistis, der einzig nennenswerte touristische Ort der Insel, besteht bis heute nur aus einer Straße mit fünf, sechs Tavernen, in denen man auf klassischen Holzstühlen sitzt statt auf weißem Plastikmobiliar. Weiterhin gibt es zwei Cafés, einen Supermarkt, der einem Tante-Emma-Laden ähnlich ist und eine Handvoll Souvenirgeschäfte, in denen man unter anderem den besonderen ikarischen Honig kaufen kann. Denn auch der wird als Geheimnis eines langen Lebens gehandelt. Gesundes Essen mit viel Gemüse und Olivenöl – die meisten der Bewohner sind Selbstversorger. Die gute Luft und ausreichend Bewegung tun anscheinend ihr Übriges.
INFORMATIONEN
Beste Reisezeit: Mai / Juni und September
Angebot: 1 Woche Ü / FR im DZ des 3-Sterne-Hotels Cavos Bay in Armenistis inkl. Flug und Transfers p. P. ab 720 Euro, Attika Reisen, www.attika.de.
Mietwagen pro Tag ab 25 Euro, Glaros Cars, www.glaroscars.gr.
Als Urlauber wird man keine zusätzlichen Lebensjahre gewinnen, aber zumindest von der Insel-Glückseligkeit profitieren. Binnen 24 Stunden kommen selbst mega-gestresste hektische Großstädter zur Ruhe und genießen – so viel aus eigener Erfahrung – den Schlendrian. Zum Beispiel in dem kleinen Küstenort Evdilos: Rund um die Hafenbucht, in der vereinzelte Fischerboote dümpeln, reihen sich vier Cafés aneinander, in denen man bei einem Frappé, dem eisgekühlten geschäumten Kaffee, einfach dem Dorfleben zuschaut. Auch im Bergdorf Christos Raches geht es nostalgisch zu: eine kleine Fußgängerzone, eine Handvoll Tavernen und ein Frauenkollektiv, das hier einen Laden mit Selbstproduziertem wie Marmelade, Salben und Seifen betreibt.
Ikaria war und ist eine rote Insel im blauen Meer: Systemkritiker wie der Komponist Mikis Theodorakis wurden während des Bürgerkriegs hierhin verbannt, die kommunistische Partei war bislang stets die stärkste Partei, und selbst die „Panagiris“, die regelmäßigen Dorffeste, für die die Insel in ganz Griechenland berühmt ist, dienen nicht der persönlichen Bereicherung. Das Geld, das für die köstlich-zarten, im Ofen des örtlichen Bäckers geschmorten Ziegen, für Wein, Zaziki und Salat eingenommen wird, geht an das Dorf und dessen soziale Einrichtungen.
Wer sich von den kurvigen Straßen durch das bis zu 1000 Meter hohe Gebirge nicht abschrecken lässt, erlebt eine vielseitige Landschaft, die an Korsika erinnert. Die üppig grüne Bergwelt mit Pinien und jahrhundertealten Steineichenwäldern wechselt mit schroffen bizarren Felsformationen. Dazwischen liegen winzige Orte mit roten Ziegeldachhäusern. Wanderer finden schöne, wenn auch nicht besonders gut ausgeschilderte Wege zum Beispiel zu lauschigen Wasserfällen.
Badelustige tummeln sich an den langen weißen Sandstränden zwischen Armenistis und Gialiskari. Spektakulär, vor allem beim Sonnenuntergang, ist die Bucht von Nas, die zu den Bergen hin in einen Canyon mündet. Der schönste, allerdings kiesige Strand ist Seychelles. Sein Name ist Programm: glasklares türkisfarbenes Wasser umrahmt von hellgrauen Felsen. Den Weg dorthin muss man sich allerdings über einen steilen steinigen Trampelpfad erarbeiten.
Auch wer die heißen Heilquellen entdecken will, die in der Nähe von Agios Kirykos aus dem Meer sprudeln, muss erst über einen Strand voller Felsen klettern. Die Inselhauptstadt entpuppt sich als Örtchen mit Hafen und ein paar Straßen. Hervorragende, hausgemachte Spezialitäten wie Tintenfisch in würziger Soße, gefüllte Teigtaschen und geschmortes Lamm werden bei Heraklia in der Taverne Masala serviert. Popi, die Tochter, betreibt mit Glaroscars eine der wenigen Autovermietungen der Insel. Unbürokratisch bekommt man an dem Mini-Flughafen den Autoschlüssel in die Hand gedrückt. Schnell kommt man ins Gespräch, die Atmosphäre auf der 8000 Einwohner zählenden Insel ist freundlich, die Autofahrer sind zuvorkommend. Die Menschen begegnen einem mit großer Herzlichkeit, vor allem, wenn man sie nett grüßt. Ein „Yassas“ (Hallo) ist daher immer angebracht, auch wenn man nicht miteinander bekannt ist. Wie heißt es doch? Aus Fremden können schnell Freunde werden.