Die tschechische Stadt liegt an der deutschen Grenze. Zwar ist sie weniger populär als die große Schwester Prag, dennoch ist es ein empfehlenswertes Ziel für einen Wochenendtrip.
Von Manfred Lädtke
Am Fluss Eger liegt die gleichnamige Stadt, die auf Tschechisch Cheb heißt.
(Foto: Lädtke)
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„Morgenstund’ hat Gold im Mund“, ist eine Lebensregel, die im tschechischen Cheb (früher Eger) gerne als Zugeständnis für ein frühes Bier interpretiert wird. Nichttrinker werden mitleidig belächelt und gelten als „komische Käuze“.
Im schummrig-gemütlichen Altstadt-Pub „Deravý Kotel“ (Lochkessel) wischt sich Michael den Schaum vom Mund. Während am Tresen Arbeiter und Studenten nach dem zweiten „Frühstück“ im Halbliterkrug verlangen, schiebt der Kunstmaler aus dem benachbarten Franken den rustikalen Holztisch beiseite und macht sich auf den Weg in seine Atelierstube. In Eger habe schon sein Großvater gearbeitet, erzählt er auf dem lang gestreckten Marktplatz mit den sanierten, bunt gestrichenen Häusern. Cheb als Wohn- und Arbeitsort ziehe er vor, weil Miete, Essen und Trinken fast 40 Prozent billiger seien als in Deutschland. Auf dem von zwei Brunnen geschmückten Marktplatz zeigt er hinüber zum „Stöckl“: „Ein Geschichten erzählendes Juwel der Egerer Architektur“, beschreibt Michael das freistehende Konglomerat kleiner Fachwerkhäuser auf dem buckeligen Pflaster. Das nur 160 Zentimeter breite Krämergässchen teilt den wundersamen Komplex aus elf eng ineinander verschachtelten Gebäuden in zwei Blöcke. Chebs beschauliches Stadtbild, mehr jedoch ein geschichtliches Ereignis, machen die Stadt nach Jahren des Verfalls zum Ziel für Kurzurlauber und Flaneure.
Als Goethe 1821 nach Eger reiste, soll er dem Bürgermeister enttäuscht vorgehalten haben, dass es keine wegweisenden Informationen zu Wallenstein gäbe, der doch in der tragischen Stadtgeschichte eine herausragende Rolle spielte. Unrecht hatte der Herr Geheimrat nicht. Immerhin kamen seit Schillers 1799 vollendeter Trilogie „Wallensteins Tod“ etliche Geistesgrößen an die Eger. Aber erst, als sich der Pulverdampf der Geschichte gelegt hatte, richteten die Stadtväter in jenem Haus, in dem der Generalissimus 1634 auf Befehl von Kaiser Ferdinand II. ermordet wurde, ein Museum ein. Im Pachelbelhaus hinter dem „Stöckl“ widmet sich eine Ausstellung Geschehnissen aus dem Dreißigjährigen Krieg. Das Museum zeigt Habseligkeiten von Wallenstein, dessen rekonstruierten Todesraum sowie die Partisane, mit der ein kaisertreuer Hauptmann den tödlichen Stoß geführt haben soll.
Am Fluss Eger liegt die gleichnamige Stadt, die auf Tschechisch Cheb heißt. Foto: Lädtke
„Franzel“, der Knabe mit Fisch ist das Wahrzeichen des Kurortes und Symbol für Fruchtbarkeit. Foto: Lädtke
Marsch in die Vergangenheit. Alle zwei Jahre im Sommer ist Cheb Schauplatz der Wallenstein-Festspiele. Foto: KVPOINT
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Begehrtes Schauobjekt ist das in der Schlacht bei Lützen getötete Pferd des böhmischen Herzogs. Wallenstein ließ „Amore mio“ 1632 nach Prag schaffen und präparieren. 350 Jahre später wirbt Chebs Museum damit, das vermutlich älteste ausgestopfte Pferd Mitteleuropas erworben zu haben. Seit 2005 taugt die Historie des legendären Heerführers zum Spektakel regelmäßiger Wallenstein-Festspiele. Ein Schauplatz ist vom 30. bis 31. August wieder die über dem Flusslauf der Eger gelegene Burg. Wer es schafft, dem duftenden kulinarischen Erbe aus der k.u.k Monarchie wie bayerisch-österreichischem Schweinebraten oder böhmischen Apfelstrudel in den Straßenrestaurants (vorerst) zu widerstehen – Vegetarier haben hier ohnehin keine große Auswahl – erreicht in 15 Minuten den schwarzen kantigen Gefängnisturm der Festung. Gut möglich, dass plötzlich zwei mittelalterlich gewandete Söldner mit gekreuzten Lanzen den Weg versperren: Der Auftritt ist Blickfang für gelegentliche Heerlager und Turnierspiele, welche dem finsteren Mittelalter ein folkloristisch-harmloses Gesicht verleihen.
INFORMATIONEN
Unterkunft: Die 3-Sterne-Pension „Hannibal“ in Cheb liegt 300 Meter von der Altstadt entfernt, ab 27 Euro / Nacht, www.pension-hannibal.webnode.cz. In Franzensbad bieten verschiedene Hotels Therapieanwendungen. Zum Beispiel in einem 4-Sterne-Hotel ab 385 Euro / DZ pro Person, www.franzensbad.cz.
Veranstaltungen: Wallenstein-Spiele 30. bis 31. August 2019. Rechtzeitige Hotelreservierungen empfohlen.
Auskunft: www.czechtourism.com
Bei der Suche nach schattigen Plätzchen und einem kühlen Umtrunk leitet auf dem Altstadt-Boulevard eine „Zeitachse“ Schritt für Schritt durch gute und schlechte Zeiten in Cheb / Eger. Wie ein Geschichtsbuch ist die Fußgängerzone „gepflastert“ mit Geschehnissen aus 950 Jahren.
Am Schlusspunkt der Chronik fahren Busse ins fünf Kilometer entfernte Franzensbad. Dieser Archetyp eines biedermeierlichen Heilbades gehörte anfänglich zum Stadtgebiet von Eger und ist das bei Weitem anmutigste der drei westböhmischen Weltbäder. Gesäumt von Parkanlagen sind Ruhe und Erholung jenseits vom Schaulaufen neureicher Wendeprofiteure das Maß aller Dinge. Wenn die Schriftstellerin Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach Mitte des 19. Jahrhunderts giftete, dass hier die Damenwelt ungeniert Mode vorführe „gleichgültig, was drinnen steckt, ob wattiertes Gerippe oder formloser Koloss“, trifft diese Beobachtung auf das heutige Mittelklassepublikum reiferen Alters kaum mehr zu. Damals bummelten vor den gelben Kolonnaden Herrschaften des Hochadels, Bürger, Bauern und Heilungssuchende aus Armenspitälern. In Nachthemd und Morgenrock begegnete man sich morgens an den Brunnen zur kollektiven Trinkkur. Das Lindern von Wehwehchen hob Standesschranken auf, wie es im Alltagsleben unvorstellbar war.
Moor und Heilgase ergänzen heute die 24 Quellwasser des nach Kaiser Franz I. benannten Kurortes. Bei dessen Pavillon mit der Hauptquelle steht die „vielversprechende“ Statue des „Franzel“. Der Knabe mit Fisch ist das Wahrzeichen des Kurortes und Symbol für Fruchtbarkeit. Frauen, die das „beste Stück“ des Nackedeis anfassen, verspricht Franzel, bald in guter Hoffnung zu sein. Also Finger weg! Oder auch nicht. Der „Zugriff“ ist immerhin die preiswerteste, wenn auch nicht die erfolgversprechendste Kuranwendung in „Kaiser-Franzdorf“.