Neuer Wind weht in Kirgistan, Usbekistan und Kasachstan

Das Gur-Emir-Mausoleum in Samarkand ist rund 600 Jahre alt. Foto: Leander Arendt

Die ehemaligen Sowjetrepubliken sind der neue Orient: Sie sind touristisch noch nicht sehr erschlossen, dabei zeigen sie sich überraschend aufregend und modern.

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. Nur was? Nur-Sultan. Wer den Namen der kasachischen Hauptstadt nicht kennt, der muss sich nicht grämen. Sie hieß bis März noch Astana und liegt wie viele andere mittelasiatische Städte im touristischen Dornröschenschlaf. Zumindest was die Reiselust der Europäer angeht, die zwar immer bessere Flugverbindungen in die Region zwischen Kaspischem Meer im Westen und den Höhenzügen von Tian Shan und Pamir im Osten haben, aber längst nicht die Entdeckerfreude Marco Polos. Dabei musste sich der Venezianer im 13. Jahrhundert noch auf äußerst beschwerlichen und oft unsicheren Karawanenrouten abmühen.

Das Gur-Emir-Mausoleum in Samarkand ist rund 600 Jahre alt. Foto: Leander Arendt
Auch Folkloregruppen halten die Tradition wach. Foto: Leander Arendt
Nur-Sultan überrascht mit eigenwilliger, moderner Architektur. Foto: Leander Arendt
Nur-Sultan überrascht mit eigenwilliger, moderner Architektur. Foto: Leander Arendt
Basare sind immer noch wichtige und äußerst lebendige Einkaufsstätten. Foto: Leander Arendt

Der moderne Marco Polo kann in Mittelasien dem Seidenstraßenmythos heute auf sehr bequeme Art nachspüren. Zur Verfügung stehen engmaschige Flugpläne, moderne Schnellzüge, komfortable Reisebusse und große Taxiflotten. In Ländern wie Kirgistan, Usbekistan oder Kasachstan trifft er dazu so gut wie immer auf offene und freundliche Menschen, denen die Auswüchse des Massentourismus, wie ihn die Europäer aus Barcelona, Venedig oder Mallorca kennen, noch fremd sind. Deshalb wird in der Regel auch ein breites Lächeln aufgesetzt bei der Bitte um Fotografiererlaubnis.

Die ehemals tristen Sowjetrepubliken sind bislang alles andere als überlaufen, obwohl sie sich mittlerweile ordentlich herausgeputzt haben. Auch für Individualreisende ist es deutlich leichter geworden, sich zwischen touristischen Zielen in diversen Ländern zu bewegen, zumal Kasachstan und Usbekistan seit Kurzem die Visumspflicht für Bundesbürger gekippt haben. Verlockend: Restaurants sind viel preiswerter als vergleichbare Gaststätten in Europa, ohne dass die Qualität eine schlechtere wäre: Schaschlik, Nudelsuppen, Salat, gegrilltes Gemüse oder der allgegenwärtige Plow, ein sehr deftiges Schmorgericht aus Reis, Gemüse und Fleisch. Speisekarten gibt es mittlerweile in den touristischen Zentren auch in lateinischer Schrift und in englischer Sprache. Ausschilderungen und Reklametafeln folgen dem Trend, zumal Usbekistan und seit einiger Zeit auch Kasachstan auf die lateinische Schrift umgestellt haben.

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Die großen Städte Mittelasiens, darunter so klangvolle Namen wie Almaty, Buchara, Samarkand oder Taschkent, haben fast 30 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion deren Farblosigkeit und spröden Charme fast vollständig abgelegt und glänzen mit bequemen Hotels, lebendigen Basaren und netten Geschäften. Usbekistans aufgeräumte und propere Hauptstadt Taschkent überrascht im Frühjahr die Besucher in der Innenstadt mit einem Meer aus Tulpen, was angeblich der persönlichen Vorliebe der First Lady des Landes zu verdanken ist. Der Frühling und der Frühherbst sind wegen des kontinentalen Klimas Mittelasiens als Reisezeit dem in der Regel sehr heißen Sommer vorzuziehen.

Taschkent zum Beispiel hat mehr zu bieten als einen internationalen Flughafen und gute Eisenbahnverbindungen, die eine schnelle Weiterreise zu den Perlen islamischer Architektur in Samarkand, Buchara oder Chiwa ermöglichen. Der Basar lädt zum entspannten Schlendern ein: Gewürze, Käse, Süßigkeiten und unglaublich gutes Brot gibt es für sehr kleines Geld, dazu ein bisschen Kunstgewerbe. Unbedingt dazu gehört auch ein Besuch im Plowzentrum von Taschkent, wo das Nationalgericht in großen Kesseln zum Mitnehmen zubereitet wird. Für Pausen und Picknick bieten sich diverse Parkanlagen rund um den Unabhängigkeits- und den Amir-Timur-Platz an. Nach dem großen Beben vom April 1966 wurde die Innenstadt begrünt und mit Wasserspielen ausgestattet. Nur ein paar Schritte sind es von dort zum Erdbebendenkmal, sehenswert trotz der im schaurig-schönen sozialistischen Realismus gehaltenen Monumentalfiguren.

Das islamische Erbe Taschkents ist überschaubar und aufgrund des unruhigen Bodens immer wieder aufgebaut worden. Ein Besuch lohnt sich dennoch, auch im eher bescheiden wirkenden Mausoleum des Anfang des zehnten Jahrhunderts verstorbenen Predigers Abu Bakr Kaffal Schaschir. Die Medresse Barak Chan und die Kukeldash Medresse runden den Ausflug in die Taschkenter Geschichte ab. Die frühere islamische Lehrstätte Kukeldash ist heute ein friedlicher Ort mit grünem Innenhof, der zum Verweilen einlädt. Umso gruseliger wirken dort die Geschichten über den überall als grausam beschriebenen Erbauer, Wesir Kukeldash, und die ehebrecherischen Frauen, die angeblich in einen Sack gesteckt und aus tödlicher Höhe hinabgestürzt wurden. In Taschkents kleiner Altstadt finden sich heute nur noch wenige der traditionellen, sehr pflegeaufwendigen Lehmhäuser.

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Lehm war der Baustoff der Region. Gelbe Lehmziegel prägen das Bild der sakralen Baudenkmäler Usbekistans. Zusammen mit leuchtend blauen Kuppelbauten, reich verzierten Riesenportalen, der filigranen Ornamentik Tausender Kacheln in allen Blau- und Grüntönen und prächtiger, mit Gold verzierter Innenräume haben sie das Bild des märchenhaft schönen Orients geprägt, das schon im Kopf Goethes herumspukte. Die Perlen der usbekischen Seidenstraßenstädte liegen westlich von Taschkent. Es sind die mehr als 2500 Jahre alte Oasen- und spätere Festungsstadt Chiwa, deren einst von Dschingis Khan und später von Timur Lenk eroberte Altstadt Unesco-Welterbe ist. Und auch die Samanidenmetropole Buchara mit ihren mehr als 100 Baudenkmälern einschließlich des aus dem zehnten Jahrhundert stammenden Samaniden-Mausoleums und schließlich Samarkand, das 329 von Alexander dem Großen erobert wurde und in seinem Herzen heute den von drei Medressen eingerahmten Registan-Platz beherbergt. Das grandiose Ensemble aus steilen Portalen und hoch aufragenden Minaretten ist in seiner räumlichen Dichte atemberaubend und schon allein die Reise nach Usbekistan wert.

Kasachstan bietet das Gegenprogramm: Nur-Sultan ist eine moderne, fast futuristisch wirkende Stadt mit verglasten Hochhausfassaden – und ohne historische Bauten. Nur-Sultan ist jung, war einst ein kleines Städtchen in der nordkasachischen Steppe, das mit vielen Milliarden zur Hauptstadt aufgemotzt wurde. 2018 knackte die Einwohnerzahl die Millionengrenze. Seit Ende der 90er-Jahre Regierungssitz, fasziniert Nur-Sultan mit einer Mischung moderner, kühner Gebäude namhafter Architekten wie Norman Foster und Repräsentationsbauten im Sowjetstil. Eine Pyramide, ein Freizeitzentrum im Form einer gigantischen Jurte, Wolkenkratzer, der Präsidentenpalast aus weißem Marmor, ein Aussichtsturm in Form eines Lebensbaums, vergoldete, an überdimensionierte Getränkedosen erinnernde, gedrungene Zwillingstürme – all das findet sich nebeneinander wie in einem Freilichtmuseum für Architektur. Auch hier kommt der Besucher wie in den alten Kulturstädten entlang der Seidenstraße aus dem Staunen kaum heraus.

Von Leander Arendt