Auf Mallorca gibt es nicht nur Party-Schiffe. An Bord des ältesten aktiven Segelschiffs Spaniens können Gäste sogar mit anpacken.
. Die alten Holzplanken an Deck knarzen, die Wellen klatschen gegen den Bug, als die „Rafael Verdera“ an diesem heißen Juliabend Palmas Hafenanlegeplatz am Paseo Maritimo in Mallorca verlässt und in See sticht.
Mit an Bord auf dem ältesten aktiven Segelschiff Spaniens sind rund 35 Gäste einer runden Geburtstagsfeier. Drei Stunden Segeltörn sind geplant, dem Sonnenuntergang vor Palmas Küste entgegen. Drei Stunden verbringen die Gäste in einer anderen, scheinbar längst vergangenen Welt, in der sie auch mit anpacken und helfen können, die riesigen Segel zu setzen.
Rafael Verdera ist ein Holzsegelschiff, 1841 aus Pinienholz in Ibiza gebaut. 150 Jahre lang transportierte das 30 Meter lange und fast sechs Meter breite Schiff unter spanischer Flagge Waren zwischen den Balearen hin und her und zu verschiedenen Städten am westlichen Mittelmeer. Ab und zu waren auch Passagiere an Bord.
Heute werden ausschließlich Gäste transportiert: Und die rauen Zeiten auf See sind auch vorbei, spätestens seit 1985. Seitdem steht Kapitän Mikel Arizmendi (67) am Steuer und segelt mit den Gästen aufs Mittelmeer hinaus, seine Frau Nuria (50) unterstützt ihn, vor allem in der Schiffsküche. Zur Crew gehören außerdem die beiden Kinder Iñaki (21) und Sara (20), sowie der senegalesische Matrose Joussouph, die rechte Hand von Kapitän Mikel. Die Familie hat den Schoner zu ihrem festen Zuhause gemacht.
Ein bisschen wie früher die richtigen Seefahrer arbeitet die Crew der Rafael Verdera auch heute noch. Es ist bewusst kein Partyboot, wie es viele auf Mallorca gibt. „Wir möchten, dass auch Besucher spüren, wie erholsam sich ein paar Stunden auf einem alten Segler anfühlen“, sagt Nuria.
Die Stimmung an diesem Abend ist entspannt. Die Gäste stehen an Deck, nippen an ihren Getränken, die sie sich aus der Kühlbox holen und plaudern miteinander. Schon knappe zwei Stunden ist die Gesellschaft auf dem Meer in der Bucht von Palma unterwegs. Es schaukelt leicht. „Achtung, Segel werden gehisst, ihr könnt mithelfen“, sagt Joussouph und ein paar tatkräftige Männer packen mit an. Bei Sonnenuntergang lässt einer der Jugendlichen seine Drohne vom Boot aus überm Wasser fliegen, um die Geburtstagsgesellschaft samt Schiff aus der Luft zu fotografieren. Im Hintergrund ist von weitem Palma mit seiner imposanten gotischen Kathedrale zu erkennen, gen Westen verschwindet die Sonne hinter einem glutroten Himmel am Horizont. Ein paar mutige Jungs klettern über den Bug auf das Bugspriet, auf beiden Seiten sichern dicke Schiffsnetze vor einem möglichen Sturz ins Wasser. „Alles okay bei euch?“ Die Mannschaft schaut stets nach dem Rechten. In der Hochsaison unterstützen zwei weitere Helfer die Familie. Während Nuria unter Deck typisch mallorquinische Tapas und frische Früchte zubereitet, bringt Joussouph diese Köstlichkeiten oben unter die Leute.
Während des Segeltörns kommt man ins Gespräch mit den Schiffseignern. Geboren in einem Dorf in der Nähe von Barcelona, hätte sich Kapitän Mikel früher nie vorstellen können, einmal fest auf einem Schiff zu leben und langfristig Seemann zu sein. „Aber das Leben ist immer auch Zufall, ich habe die Frau meines Lebens getroffen, die mich auf meinem Weg begleitet. Ich habe gelernt, sehr zu schätzen, was wichtig ist und wofür es sich zu kämpfen lohnt“, sagt er. Mikel, auch leidenschaftlicher Taucher und Schwimmer, hat das Meer schon immer geliebt. „Aber jetzt bin ich im Paradies“, betont er.
Mikel und seine Frau Nuria geraten ins Schwärmen, wenn sie von ihrem Leben auf See erzählen. „Für uns alle ist das Schiff ein Teil von uns, es hat eine Seele“, sagt Nuria.
Iñaki und Sara wurden an Bord geboren. Die Geschwister können sich kein schöneres Leben als auf dem Boot vorstellen. In eine normale Schule sind sie nie gegangen. „Wir haben sie bis zu ihrem 16. Lebensjahr hier zu Hause auf dem Boot unterrichtet und haben alle davon profitiert. Wir haben gewissermaßen alle zusammen gelernt – auch zusammen zu leben und zusammen zu wachsen“, sagt sie.
Jedes Jahr im Winter gehen die Geschwister auf eine Zirkusschule in Palma, derzeit besucht Sara eine internationale Zirkusschule im Ausland, um die Technik der Akrobatik zu verbessern. Auf Ausflügen begeistern Sara und Iñaki die Gäste oft mit Akrobatik-Darbietungen an den Schiffsmasten sowie am Trapez. „Das alles hier bedeutet Freiheit für uns“, sagt Mikel. Das Leben auf dem Schiff ist für ihn die direkte Verbindung zur Natur. Früher übernachtete die Familie zusammen im ehemaligen Lagerraum im Holzrumpf, in dem die Ladung transportiert wurde. „Um etwas mehr Freiräume zu haben, haben wir den aber vor ein paar Jahren in vier Kabinen umgebaut“, erzählt Nuria.
Die Hausarbeit auf dem schwimmenden Zuhause wird geteilt, die Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten am Boot ebenfalls. „Ein Schiff hält man am Leben, indem man es aktiv hält“, sagt Mikel. So sind alle Restaurierungen und Umbauten seit dem Erwerb der Rafael Verdera in Eigenregie durchgeführt worden. Subventionen vom Staat – wie es etwa bei denkmalgeschützten Häusern der Fall ist – habe es für den alten Schoner nie gegeben. „Das ist traurig, vor allem auf einer Insel wie Mallorca, die ja vom Meer und seinem Tourismus lebt“, findet Mikel.
Palma hat die Seefahrer-Familie für die Rafael Verdera bewusst als Heimathafen gewählt: „Mallorca ist eine wunderschöne Insel mit einer positiven Energie und vielen besonderen Orten“, erzählt der Kapitän. Auf der Baleareninsel könne man prima segeln, schwimmen, das traumhafte Meer und Wasser genießen.
Es ist längst dunkel, als der alte Zweimaster wieder am Hafen von Palma anlegt und die Gäste von Bord gehen. An Land posieren sie noch ein letztes Mal fürs Foto vor dem Zweimaster. Die Crew bereitet währenddessen das Schiff für den nächsten Morgen vor, wenn es wieder heißt: Leinen los für die alte Rafael Verdera.