Sonntags ist Markt auf La Palma

Buntes Treiben: Sonntagsmarkt in Argual. Foto: Eric Scherer

Beim Markttreiben in Argual sind Deutsche in der Überzahl. Ob Schmuckdesigner, Olivenbauer oder Glasbläser: Für viele Aussteiger ist die Kanareninsel ein beliebtes Domizil.

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. Nein, es geht nicht nur darum, mit angemessenem Druck in so eine Glasmacherpfeife hineinzupusten, dieses 1,60 Meter lange Eisenrohr mit Mundstück und Holzgriff, an dessen Ende der zähflüssige Glastropfen hängt. Wladyslaw Gozdz hat ihn soeben aus dem glühenden Ofen gezogen. Er will auch fachmännisch gedreht und geschwungen werden, bis er zu Vase oder Vögelchen wird. Die Form entsteht im Rhythmus der Bewegungen, die den Glasbläser vollends zur Jahrmarktsattraktion machen.

Buntes Treiben: Sonntagsmarkt in Argual. Foto: Eric Scherer
Fotos: Eric Scherer
Der Glasbläser Wladyslaw Gozdz ist mit seinem Handwerk eine Jahrmarktsattraktion. Foto: Eric Scherer

17 Jahre ist Wladyslaw Gozdz bereits Teil von „Artefuego“, des einzigen Glasstudios auf der Kanareninsel La Palma. Ebenso lange schon gewährt der 56-Jährige in öffentlichen Vorführungen einen Einblick in seine Kunst: Jeden Sonntagmorgen, wenn der große Flohmarkt auf der Plaza Sotomayor seine Pforten in Argual öffnet. Der älteste Stadtteil von Los Llanos ist das Zentrum des westlichen, sonnigeren Teils der Insel.

Das „Artefuego“ ist eine ehemalige Garage am Rand der Plaza. Sie beherbergte einst das erste Auto, das die Insel befuhr, und gehört, wie die gesamte Plaza und die meisten umliegenden Häuser, Don Henrique Sotomayor, einem der reichsten Männer La Palmas. Ein Großgrundbesitzer also, aber kein unnahbarer. In Argual ist fast nur Gutes über den greisen Señor zu hören, und das nicht nur, weil er keine Standgebühren erhebt.

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Die Sonne hat sich heute Morgen ein wenig Zeit gelassen, bis sie den Blick von der Plaza ins Landesinnere freigab – auf die „Caldera de Taburiente“, den mächtigen Vulkankrater, der sich nach Westen hin öffnet. Seine Rückwand ist Teil des Bergkamms, der die Insel der Länge nach durchtrennt und ihr ihre unverwechselbaren Gesichter verleiht. Durch ihn nämlich bleiben die von Afrika heranziehenden Wolken auf der Ostseite hängen, sodass es dort zu mehr Niederschlägen kommt als auf jeder anderen kanarischen Insel. Das lässt eine abwechslungsreiche Vegetation entstehen, an der sich Wanderer das ganze Jahr über erfreuen. Der Westen dagegen präsentiert sich offen und weitläufig wie eine Küstenlandschaft Südamerikas – und fördert eine dementsprechende Lebensart.

Mittlerweile füllt sich der Markt mit Besuchern. Fragen seines Publikums beantwortet Performance-Künstler Gozdz stets in der Sprache, in der er angesprochen wird, also manchmal in Spanisch, meist aber in Deutsch. Denn im Markttreiben von Argual sind Deutsche allsonntäglich in der Überzahl – unter den Besuchern wie unter Beschickern.

Anscheinend hat es sie schon immer auf das Eiland gezogen, das in der Landessprache mal „La Isla verde“ und mal „La Isla bonita“ genannt wird. Schon zu Zeiten Kaiser Wilhelms gab es einen Versuch, La Palma zur deutschen Kolonie zu machen. In den späten 1960er-Jahren verliebte sich die Flower-Power-Generation in die paradiesartige Insel, auf der es sich das ganze Jahr hindurch von Früchten leben und in Höhlen hausen ließ, so, wie es einst die „Benahoaritas“ oder „Guanchen“ taten, die Ureinwohner La Palmas.

Später kamen Aussteiger aus Deutschland, deren Köpfe meist schon ergraut waren. Die brachten im Gegensatz zu den Hippies Kapital mit. Sie erwarben Immobilien, um sich 400 Kilometer westlich von der Küste Marokkos einen sonnigen Lebensabend zu bereiten. Unter ihnen Klassiker wie der ausgebrannte Topmanager, der den späten Spagat wagt, aber auch Kreativberufler oder emeritierte Professoren auf der Suche nach einem neuen Lebensgefühl, Gastronomen oder Immobilieninvestoren, die sich mit dem Vermieten von Ferienappartments ein „buena Vida“, ein „gutes Leben“, finanzieren wollten.

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Und die Macher unter den Deutschland-Flüchtlingen wollen eben auch im Entschleunigungsmodus nicht so ganz untätig sein. Die Erzeugnisse der angejahrten Selbstverwirklicher, die sich in Ackerbau und Viehzucht versuchen, finden sich auf den verschiedenen Bauernmärkten der Insel, etwa im Mercadillo de Mazo auf der Ostseite, wo sich auch Fleischkäse, Leber- und Blutwurst und den notorischen Saumagen in den Auslagen entdecken lassen. Argual aber gehört an den Sonntagen den Antiquitäten- und Buchhändlern – und den Kunsthandwerkern.

Gundolf und Christel Elfert etwa haben ihrer Heimatstadt Berlin schon vor über 30 Jahren den Rücken gekehrt. Gundolf hat schon während seines Jura-Studiums eigene Schmuck-Kreationen verkauft, als fliegender Händler auf dem Berliner Ku’damm. Irgendwann hat er es nicht mehr ausgehalten in diesem Land aus Fernsehen, Fußball, Bier. „Zu kalt und zu dunkel“ sei es ihm gewesen, da ist er mit Ehefrau Christel eben nach Italien ausgewandert.

Vergangenes Jahr aber wurde es dem nunmehr 75-Jährigen zu beschwerlich, die 750 Olivenbäume auf dem Landsitz in Umbrien zu pflegen. Daher wollte das Ehepaar zunächst zurück nach Hause, machte zuvor aber nochmal Urlaub auf La Palma – und verliebte sich direkt in die Insel, in dem sich an einem einzigen Tag erst in Pinienwäldern wandern, dann am Strand liegen lässt. Jetzt wohnen die beiden in einem Häuschen in Tacante bei El Paso. „Es ist ein bisschen abgeschieden, aber auch deswegen kommen wir sonntags nach Argual“, erzählt Christel – „nicht nur, um zu verkaufen, sondern auch, um Freunde zu treffen.“

So begegnen sich allsonntäglich auf der Plaza Sotomayor Dauergäste und Kurzzeitouristen. Die Letztgenannten sind nach wie vor in überschaubarem Mengen unterwegs. 2017 meldete der Flughafen in Santa Cruz einen historischen Rekord, nachdem er übers Jahr rund 1,3 Millionen Passagiere abgefertigt hatte. Zum Vergleich: Auf der populären Nachbarinsel Gran Canaria ist im gleichen Jahr fast exakt das Zehnfache an Fluggästen gelandet.

Wie viele Deutsche La Palma zum Dauerdomizil erhoben haben, lässt sich nur schätzen, da viele, die nur in den Wintermonaten das milde Klima genießen, lieber in der Heimat gemeldet bleiben. Die Behörden gehen von etwa 3000 aus. Im Norden soll es welche geben, die sogar noch in Höhlen leben.

Und es sind natürlich nicht nur Deutsche. Die Schmuckdesignerin Danais etwa, die aussieht, als stamme sie noch aus der Hippie-Ära, stammt aus Marseille. Sie hat erst im vergangenen Jahr mit Freunden ein Häuschen in Tigalate bezogen. In Frankreich habe sie sich nicht mehr wohlgefühlt, „zu viele Probleme, zu viel Gewalt“, erzählt die 50-Jährige. „La Palma ist einer der letzten Flecken auf Erden, auf dem du in Frieden leben kannst.“