Weihnachtsmärkte in Tschechien

Auf der Aussichtsplattform am Altstädter Ring in Prag ist viel los. Foto: Martina Katz

Honigwein, frittierter Karpfen und Christbaumschmuck aus Perlen: Ein Bummel zur Adventszeit durch Prag, Olmütz und Brünn.

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. Tomáš Starecký steht im Glockenturm des Veitsdoms 100 Meter über der Prager Burg. Der 56-jährige Glöckner schlüpft in seinen gelben Anorak, pustet die grauen Haare aus dem Gesicht und ergreift das Seil der größten Glocke Tschechiens. Dann zieht er mit aller Kraft daran. „Sie wiegt fast 17 Tonnen, heißt Sigismund wie einer unserer böhmischen Könige und stammt aus dem 16. Jahrhundert“, sagt der studierte Physiker. „Normalerweise läuten wir allein diese Glocke mit vier Personen. Für alle sieben Domglocken müssen zehn Glöckner ran, alles Freiwillige, so wie ich, auch Frauen.“ Besonders schön klingt das Geläut zur Mitternachtsmesse an Heilig Abend. Dann ist das 20-minütige Klangkonzert, das Starecký und seine Kollegen erzeugen, nicht nur etwas für die Besucher der Königskathedrale, sondern schallt bis zur Moldau und in die Prager Altstadt hinein.

Auf der Aussichtsplattform am Altstädter Ring in Prag ist viel los. Foto: Martina Katz
Traditionellen Christbaumschmuck gibt es auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Oberen Platz in Olmütz. Foto: Martina Katz
Tomáš Starecký vor der 17 Tonnen schweren Sigismund Glocke im Veitsdom auf der Prager Burg. Foto: Martina Katz

An Heiligabend gibt es Karpfen

Schon zur Adventszeit herrscht in der Hauptstadt der Tschechischen Republik eine ganz besondere Atmosphäre – sie ist eine Hochburg weihnachtlicher Märkte. Auf dem Wenzelsplatz duftet es aus beleuchteten Buden nach Lebkuchen, und Frauen in weißen Hauben fertigen Altprager Trdelnik. Das traditionelle Gebäck, bei dem Hefeteig auf eine Stange gerollt, auf eine offene Feuerstelle gelegt und mit Zucker und Nussraspeln umhüllt wird, gibt es zur Weihnachtszeit im ganzen Land. Auf dem Malteser Platz, nahe der mit bunten Graffiti besprühten John-Lennon-Mauer, servieren Freiwillige Punsch. Man lauscht Livekonzerten und stöbert in den Innenhöfen des Malteser-Hauses nach handgenähten Kleidern und originellem Schmuck – für den guten Zweck. Sobald es in den Abend übergeht, spaziert ein Nachtwächter über die berühmte Karlsbrücke und entzündet die Gaslaternen mit einem Stab – so wie in alten Zeiten. Auch auf der Moldauinsel Kampa, auf der früher Mühlenbetriebe mahlten, zeigt sich Prag besinnlich.

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Wie viele Weihnachtsmärkte es in der Stadt gibt, weiß niemand so genau. Doch dass die Touristen wegen der einzigartigen Adventsstimmung kommen, ist eindeutig. Schließlich verzeichnet der Dezember nach dem Juli die zweithöchsten Besucherzahlen im Jahr. Kirchenkonzerte, Gospels und das Prager Symphonieorchester tragen dazu bei, genauso wie das Treiben am Altstädter Ring. Der Hotspot lockt zur Weihnachtszeit mit einer 24 Meter hohen Tanne, mit buntem Christbaumschmuck und hunderten Lichtern behangen, vor der stimmungsvoll beleuchteten Kulisse von Altstädter Rathaus und Teynkirche. Dazu eine märchenhafte Aussichtsplattform, unter deren Lichterbögen sich die Besucher fotografieren, und kreisförmig aufgestellte Büdchen mit heißen Maronen und Honigwein. Während sich alle paar Minuten nach und nach die Baum-Illumination von unten nach oben schraubt, bis die Tanne komplett erstrahlt, ertönt im Hintergrund Smetanas „Moldau“.

Eine Woche vor Weihnachten gehen die Prager zum Karpfenkauf. Karpfen mit Kartoffelsalat gilt als das traditionelle Gericht an Heilig Abend. In den Straßen wird der Fisch in Wannen angeboten. Mancher nimmt das Tier lebend mit nach Hause und setzt es in die Badewanne. Die Kinder spielen damit und am 24. Dezember setzt man den Karpfen dann doch lieber wieder aus. „Jedes Jahr warnen die Fachleute davor, denn zwei Monate vor Weihnachten werden die Karpfen aus Teichen gefischt und in sauberes Wasser gesetzt, damit sie nicht stinken. An Teich- oder Flusswasser sind sie danach nicht mehr gewöhnt und sterben“, sagt Alena Navrátilová. Die Prager Stadtführerin kennt sich aus mit tschechischen Gepflogenheiten. „In der kommunistischen Zeit waren Weihnachtsmärkte hier nicht verbreitet. Nach der Grenzöffnung 1989 machten die Prager scharenweise Busausflüge zu den Weihnachtsmärkten in die Grenzstädte Passau, Nürnberg und Dresden. Zehn Jahre später hatten wir unsere eigenen Adventsmärkte, und heute kommen die Besucher zu uns“, sagt die Tschechin und lacht.

Olmütz, gute zwei Zugstunden von Prag entfernt, gilt noch als weihnachtlicher Geheimtipp. Zwar sind die Märkte in der mährischen Studentenstadt, die die zweitälteste Universität des Landes beheimatet und Bischofssitz ist, bescheidener als in der Hauptstadt. Dafür kann man am Niederring unter dem glitzernden Lichterteppich einer Eislaufbahn kostenlos Schlittschuh laufen. Auf dem Oberring im Schatten des Rathauses thront die Dreifaltigkeitssäule, die größte Barocksäule Mitteleuropas und ein Unesco-Weltkulturerbe. Wer hier steht, einen Bramborak, den traditionellen Kartoffelpuffer mit Knoblauch und Majoran in der Hand, ist mittendrin im tschechischen Weihnachtsleben. So lässt sich das Dreiergespann aus Nikolaus, Engel und Teufel beobachten, das den artigen Kindern Gedichte entlockt und den Unartigen droht, sie mit in die Hölle zu nehmen. In einem Holzhäuschen schreiben Kinder Briefe mit ihren Wünschen an das Christkind und legen sie abholbereit auf ein Fensterbrett – eine hilfreiche Geschenkliste für die Eltern. Die genießen derweil Kuchen aus Olmützer Quargel, dem lokalen Käse, der an Harzer erinnert und von der EU geschützt ist. Dabei fällt der Blick auf die astronomische Uhr mit ihren feinen Mosaiken typisch kommunistischer Motive wie Arbeiter mit Spaten und Milchkanne. Jeden Tag wird das mechanische Werk aus dem 19. Jahrhundert aufgezogen.

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„So wie in Prag und Olmütz hat auch in Brünn weihnachtliches Kunsthandwerk eine lange Tradition“, sagt Pavla Kucerová. Die 29-jährige Marketingfachfrau schlendert über den mit Kopfstein gepflasterten Krautmarkt, der seit mehr als 500 Jahren von Kellern und Gängen untergraben ist – ein Kühlraum-Labyrinth damaliger Bewohner und Händler. Auf dem Krautmarkt gibt es handgemachte Kerzen, Seifen aus Schaf-Fett und mundgeblasenen Christbaumschmuck. „Der wurde schon im 19. Jahrhundert von Familien-Glasbläser-Manufakturen hergestellt. Vater und Opa bliesen Stäbe aus Hohlglasperlen und versilberten sie, Oma trennte sie in einzelne Stücke, Mutter und Kinder fädelten sie zu Sternen, Glöckchen und Christbäumen oder sie bemalten die größeren Kugeln“, sagt Pavla. Ihr Blick schweift über den Adventsmarkt: zu den Weihnachtsständen, an denen der Schmuck wie ein Vorhang baumelt, und den sich dahinter erhebenden Türmen der gotischen St.-Peter-und-Paul-Kathedrale. Ein paar Schritte weiter, am Dominikaner Platz, genießen die jungen Brünner in Bierteig frittierten Karpfen vor einer riesigen Holzkrippe. Anschließend genehmigen sie sich einen Turbomost auf dem Freiheitsplatz. Der Apfelschnaps ist der neueste Gastro-Trend der Brünner. Er wird aus alten Apfelsorten gepresst, die es nur noch in den Weißen Karpaten an der Grenze zur Slowakei gibt. Schön, dass sie nach dem Umtrunk die Straßenbahn nach Hause fährt. Zur Weihnachtszeit ist sie mit tausenden Glühbirnen beleuchtet.

Von Martina Katz