Wüsten und Wadis im Oman

Nur die Silhouetten der Dünenkämme sind beim Sonnenaufgang in der Wüste zu sehen. Foto: Frank Schmidt-Wyk

Stille und Weite beim Sonnenaufgang in der Wüste: Die Naturwunder des Oman machen sprachlos. Nicht nur deshalb ist das Sultanat am Golf das ideale Reiseziel für Arabien-Einsteiger.

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. Ein fliegender Teppich ist gerade nicht zur Hand, doch ein Handtuch tut’s auch. Ausgebreitet im noch nachtkalten Sand wird es zum Logenplatz, um ein grandioses Spektakel zu genießen, eine Sinfonie des Lichts und der Farben. Schon zerreißt ein Gleißen hinter der Dünenwand im Osten den malvefarbenen Himmel. Es geht los: Sonnenaufgang in der Wüste.

Nur die Silhouetten der Dünenkämme sind beim Sonnenaufgang in der Wüste zu sehen. Foto: Frank Schmidt-Wyk
Ein Teil der königlichen Jachtflotte im Hafen von Mutrah. Das Portrait des beliebten Sultans ist im Oman allgegenwärtig. Foto: Frank Schmidt-Wyk
Im Bimmah Sinkhole, einer schüsselförmigen Senke an der Golfküste zwischen Maskat und Sur, kann man in bis zu 20 Meter  tiefem, kristallklarem Wasser baden. Foto: Frank Schmidt-Wyk

Nur die Silhouetten der Dünenkämme, die sich in Richtung der aufgehenden Sonne hinzogen, waren wie ein phantastisches Gebirge zu sehen. Der Himmel leuchtete in mildem Opalglanz. Es herrschte völlige Stille, die ganze Welt schien in einer zerbrechlichen Schale aus Schweigen zu ruhen.

Treffender als es der englische Expeditionsreisende Wilfried Thesiger in seinem Klassiker „Die Brunnen der Wüste“ (1959) formuliert hat, lässt sich der Sonnenaufgang in der arabischen Wüste nicht beschreiben. Er war der erste Europäer, der die Wahiba Sands im Nordosten durchquerte. Und vermutlich der Letzte, der am ursprünglichen Leben der Beduinen teilhaben durfte, bevor die sprudelnden Ölquellen ihre jahrtausendealte Kultur davon schwemmten. Mit den Bedu zog der Engländer in den 1940er-Jahren mehrfach durch das Leere Viertel (arabisch: Rub al-Khali). Die größte Sandwüste der Welt zieht sich über das südliche Drittel der arabischen Halbinsel. Die Wahiba Sands (arabisch: Rimal al-Sharqiyah) sind bloß ein Vorposten, eine Miniwüste von gerade mal 250 Kilometern Länge und 80 Kilometern Breite. Ihre überschaubare Größe und die Nähe zur Küste sowie zur Metropole Maskat machen die Wahiba Sands zum idealen Mikrokosmos für Touristen und Wissenschaftler.

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Nirgendwo sonst ist die Seele des Oman so intensiv zu spüren, wie in der Wüste. Man muss nur ein ruhiges Fleckchen finden. Das ist gar nicht so einfach – vor allem abends, wenn Schwärme von Allrad-Geländewagen das Arabian Oryx Camp und die anderen Urlauberanlagen am Nordrand der Wahiba Sands umschwirren. Sie bringen die Touristen zu den Stellen, wo sich die besten Ausblicke auf den Sonnenuntergang bieten. Über viele Quadratkilometer ziehen sich bündelweise Reifenspuren durch den Sand. Den omanischen Fahrern macht es einen Heidenspaß, durch die Dünenlandschaft zu brettern und die steilen Flanken hinunter zu jagen, sodass sich die Insassen vorkommen, wie in einer Achterbahn. Doch nach dem Abendessen und etwas arabischer Folklore kehrt irgendwann Ruhe ein im Camp. Dann sind es nur ein paar Schritte hinaus aus der Komforthülle des Zeltbungalows – und man ist allein mit seinen Gedanken und der unbegreiflichen Stille und Weite der Wüste.

Wohlstand ohne Protzbauten

Es ist vor allem das Erlebnis einer großartigen, vielfältigen Natur, die eine Reise in den Oman ausmacht. Wer in Tausendundeinernacht-Exotik schwelgen, sich an Zeugnissen arabischer Hochkultur oder himmelstürmender Protzarchitektur ergötzen möchte, ist in dem Sultanat im äußersten Südosten der Arabischen Halbinsel eher falsch. Vor allem sollte man das Land nicht verwechseln mit den kleineren Golfstaaten weiter nördlich: Der Oman ist ein Flächenstaat, etwa so groß wie Großbritannien, hat aber nur halb so viele Einwohner wie London. Wie den reichen Nachbarn im Norden verhalf das Erdöl auch dem Oman zu Wohlstand. Trotzdem stehen hier keine Wolkenkratzer. Der Sultan steckte die Ölgewinne lieber in Straßen und Schulen. Als Quaboos bin Said 1970 den Thron bestieg, war das Sultanat rückständig und isoliert. Mit weisen Investitionen und kluger Politik führte er es in die Moderne, ohne die Traditionen der jahrtausendealten Kultur zu opfern. Er verhalf dem Land zu internationalem Ansehen und leitete eine dezente Demokratisierung ein. In jeder Amts- und Imbissstube hängt sein Porträt. Unter dem Strich ist der Oman zwar nach wie vor eine absolute Monarchie und ein – wenn auch vergleichsweise toleranter – islamischer Staat. Aber auch ein sehr sicheres Reiseland für jeden Touristen, der das respektiert. Das ideale Einstiegsportal in die arabische Welt für Neugierige, die der eigenen Trittsicherheit in der fremden Kultur noch nicht so recht trauen. Als Rundum-sorglos-Paket zur Erkundung des Landes bietet sich eine Gruppenreise an.

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Natürlicher Start- und Endpunkt jeder Omanreise ist die Hauptstadt Maskat. Genau genommen steht der Name nicht mehr nur für eine einzelne Stadt, sondern für eine urbane Landschaft. Mehr als ein Drittel der Einwohner lebt in diesem Gebilde, das sich 70 Kilometer die Nordküste entlang zieht. Der neue Flughafen am nordwestlichen Rand ging vor etwas mehr als einem Jahr in Betrieb und wird in den nächsten Jahren weiter ausgebaut. Mittelfristig soll er Dubai, dem zentralen Drehkreuz der Golfregion, den Rang ablaufen. Die Terminal-Architektur setzt nicht etwa auf orientalische Schnörkel, sondern mit kühn geschwungenem Glas und Stahl auf fast schon nordisch anmutende Klarheit: ein erster Überraschungseffekt gleich bei der Ankunft. Während der abendlichen Busfahrt ins Hotel gleitet im Halbdunkel eine wenig spektakuläre, fast schon gedrungene Silhouette am Fenster vorüber. Hochhäuser? Fehlanzeige. Laut einem Gesetz aus den 70er-Jahren darf im Oman kein Gebäude höher sein als acht Stockwerke. So wurde der orientalische Charakter bewahrt und verhindert, dass die Hauptstadt mutiert zu einer gesichtslosen Mega-City vom Zuschnitt Abu Dhabis oder Dubais, die jeden Maßstab verloren hat.

Selbst die zwei prächtigsten Bauten ragen auf den ersten Blick kaum heraus aus dem langen Band weißer Häuserblocks, das sich auf dem schmalen Streifen zwischen dem steil zum Meer hin abstürzenden Hadschar-Gebirge und dem Golf von Oman entlang schlängelt: die 2001 fertiggestellte Große Moschee und das 2011 eröffnete Royal Opera House, das erste originär arabische Opernhaus. Beide Gebäude möchte der Sultan als Geschenke an die Bevölkerung verstanden wissen. Anders als die großen Kathedralen und Kulturtempel der westlichen Welt will die Imposanz der Architektur den Besucher nicht überwältigen, sondern sanft hineinziehen. Eine Einladung, die man auf keinen Fall ablehnen sollte: Moschee und Oper gehören zum obligatorischen Besichtigungsprogramm in Maskat. Ebenso der Souq der Hafenstadt Mutrah: Im Labyrinth der verwinkelten Gassen pocht das orientalische Herz des Oman voller Leidenschaft. Der ideale Ort, um sich mit Weihrauch einzudecken, dem zweitwichtigsten Exportartikel des Landes – nach dem Öl.

Doch irgendwann wird es Zeit, aus der Millionenmetropole zu verduften, Richtung Berge, Richtung Wüste. Nur ein paar Kilometer nach Südwesten, schon schlüpft der Bus durch eine Lücke der Hochgebirgskette. Die Rundreise schlägt einen weiten Bogen um Maskat; die Route führt über Nizwa, das Zentrum des Landesinneren, die Wahiba Sands, wieder hinauf zur Hafenstadt Sur, schließlich entlang der Küste zurück in die Hauptstadtregion. Ständige Begleiter am Wegesrand: die schroffen Riesen des Hadschar-Gebirges.

Wie die Alpen im Klimawandel

Von Nizwa aus ist der Dschebel Schems in Reichweite, mit 3009 Metern der höchste Gipfel des Landes, 50 Meter höher als die Zugspitze. Vor dem kahlen Bergriesen klafft der gähnende Schlund eines über 1000 Meter tiefen Canyons. Der Weg dorthin führt durch eine Landschaft wie aus einem Roman von Karl May. Spontane Assoziation: die Alpen im fortgeschrittenen Klimawandel. Als Schlussetappe zieht eine staubige Schotterpiste steil hinauf zum Rand der Schlucht. Die Strecke ist nur zu Fuß oder mit dem Jeep zu bewältigen. Oder mit dem Mountainbike, wer sich das zutraut. Unterwegs öffnen sich atemberaubende Perspektiven in die Ebene – mittendrin, wie eine Haifischflosse im Meer, der ungeheuerliche Felszacken des Dschebel Al Al Sarah. Dann ist er plötzlich da, der Abgrund. Der Blick stürzt hinab in die Tiefe, findet nirgendwo Halt, tastet sich die nicht enden wollende Wand auf der gegenüberliegenden Seite wieder empor, um sich im Dunst der Ferne erneut zu verlieren.

Nochmal Wilfried Thesiger:

Ich bestieg einen etwas abseits gelegenen Felsrücken und genoss das Alleinsein. Formlose Schatten zogen über die umbrafarbene Ebene, auf der sich sonst nichts regte. Kein Windhauch ging. Es herrschte jene Stille, die wir aus unserer Welt vertrieben haben.

Wer sie sucht, wird sie finden im Oman.