Die Norweger Katrine Solhaug und Simen Julner betreiben in Kambodscha das Gästehaus Babel. Das nachhaltige Konzept und die Nähe zu den Einheimischen machen den Ort so besonders.
. Wir sitzen im Freien vor einem Stelzenhaus im Schwemmland um Siem Reap. Schnell vertreibt die tropische Nacht das Schummerlicht, Kinder toben herum, Hunde bellen. Heng serviert seiner Familie und uns gebratenen Fisch mit Wasserspinat und rotes Khmer-Curry mit Huhn.
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Dieses Festmahl, zu dem sich später noch einige Nachbarn gesellen, ist der magische Höhepunkt unserer Exkursion abseits ausgetretener Reisepfade. Jährlich kommen Millionen Menschen nach Angkor Wat, die als meist besuchteste Touristenattraktion der Welt gilt.
Heng lebt ganz in der Nähe dieser Anlage. Er ist Tuc-Tuc-Fahrer und arbeitet für das Gästehaus Babel. Stolz zeigt er uns seine Heimat bei einer sogenannten Village-Tour. Auf der Fahrt schauen wir Arbeiterinnen beim Spinnen von Lotusfasern zu, erkunden einen buddhistischen Friedhof, besuchen den lokalen Markt, wo es uns unbekanntes Gemüse gibt, und treffen Henks Schwager. In dessen neuer Wellblechbaracke auf Pfählen im Schwemmland sitzen wir auf dem Fußboden, essen kalte Fischsuppe und trinken warme Cola. Unbefangen stillt die Schwägerin den jüngsten Sohn, die übrigen Kinder plappern munter mit uns in ihrer Sprache.
Ein Beitrag zur Entwicklung des Landes
Wir werden mit bitterer Armut konfrontiert und dem dennoch fröhlichen Alltagsleben des Khmer-Volkes, das Touristen selten so erleben. Diese Village Tour haben die Betreiber des Babels entwickelt: die Norweger Katrine Solhaug und Simen Julner, gemeinsam mit drei ihrer Fahrer. Sie ist eine Alternative oder Ergänzung zum Besuch der Tempelanlage, um das Alltagsleben der Menschen kennenzulernen. Und mit ihrem Projekt wollen sie einen Beitrag zur Entwicklung des Landes leisten. Die charismatische Solhaug studierte Sozialarbeit und Tourismus, bereiste mehr als 50 Länder und entwickelte soziale Projekte. In Mexiko traf sie ihren eher zurückhaltenden Mann, einen studierten Ökonomen. Gemeinsam gingen sie nach Kambodscha, weil sie die freundlichen Khmer als sehr offen und neugierig erlebten.
Tage vorher haben wir bereits einen Ausflug in das Cultural Village unternommen, eine riesige parkähnlichen Anlage. Lebensgroße Wachsfiguren zeigen Szenen zur Geschichte und Lebensweise der Kambodschaner. In zahlreichen nachgebauten asiatischen Gebäuden, in denen ständig getanzt, Theater gespielt oder Zeremonien präsentiert werden, erfahren wir viel über die diversen Einflüsse auf die Kultur des Khmer-Volkes.
Das Selbstbewusstsein der Fahrer und der übrigen kambodschanischen Mitarbeiter im Gästehaus fällt sofort auf. Alle sprechen gut Englisch und man spürt ihren Stolz, dem Babel-Team anzugehören. Sie erhalten faire Löhne und besuchen während der Arbeitszeit Englischkurse und andere Fortbildungen. Dadurch können sie innerhalb des Hauses aufsteigen oder sich selbständig machen, erklärt Solhaug. Erfolgsgeschichten gibt es einige: So betreibt der ehemalige Fahrer Sophea heute ein eigenes Restaurant, und seine Frau Chan Hov, die einst als Küchenhilfe arbeitete, studiert bereits seit drei Jahren.
Wenn man aus dem üppigen tropischen Garten des Gästehauses mit seiner Palmenbar in die Hotelhalle kommt, ist man irritiert über das Angebot an Naturkosmetik und Körperpflegemitteln zum Nachfüllen. „Der Wunsch danach kam von den Gästen“, sagt Solhaug, „die wollten die von uns in der Bar genutzten Trinkhalme aus Bambus kaufen.“ Der Bezug von plastikfreien oder ökologisch vertretbaren Waren für das Hotel sowie das Angebot für Gäste wird ständig ausgeweitet. Dennoch hat man nicht das Gefühl, vom Babel moralisch belehrt zu werden: „Wir verlangen von unseren Besuchern nicht viel, sondern nehmen eher Einfluss auf die Händler und Lieferanten. Aber wir hoffen, dass die Gäste durch unser Beispiel und die Nutzung unserer Touren als Urlauber ‚kleinere Fußtritte‘ hinterlassen.“ Damit meint sie nachhaltigen und respektvollen Tourismus, der von allen hier Arbeitenden gefördert wird. Das Babel ist gut mit ähnlichen Projekten vernetzt und fördert soziale Institutionen – etwa den Solhaug-Fond zur höheren Schulbildung junger Erwachsener.
Von Hanswerner Kruse