Zum Kuckuck mit Corona

Ob traditionell oder mit Alexa-Steuerung: Kuckucksuhren gibt es heute in vielen Ausführungen. Foto: Fabian von Poser
© Fabian von Poser

Die Kuckucksuhr steht für den Schwarzwald wie kein anderes Souvenir. Doch die Käufer aus den USA, China und dem Rest der Welt bleiben gerade zu Hause.

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. Man könne derzeit nur abwarten, sagt Thomas Weisser. Er sitzt in einem Besprechungsraum über dem „Haus der 1000 Uhren“. Das Frühjahrslicht fällt in Kaskaden in den Raum. Am Gebäude grüßt eine überdimensionale Bärenfamilie aus einer drei Meter hohen Kuckucksuhr. Zu jeder Viertelstunde setzen sich die Bären in Bewegung. Doch der Eingang ist verwaist, die Türen sind geschlossen. Im Fenster steht ein Schild: „Das Zentrum der Kuckucksuhr – größte Auswahl an Schwarzwälder Kuckucksuhren in Deutschland“. Daneben sinngemäß: Wegen Corona geschlossen.

Ob traditionell oder mit Alexa-Steuerung: Kuckucksuhren gibt es heute in vielen Ausführungen. Foto: Fabian von Poser
Im Haus der 1000 Uhren werden Uhrenliebhaber aus aller Welt fündig. Foto: Fabian von Poser
Triberg im Schwarzwald ist für zwei Dinge bekannt: seine Wasserfälle und die Kuckucksuhren. Foto: Fabian von Poser
Thomas Weisser kennt sich aus mit Kuckucksuhren. Er ist Geschäftsführer im „Haus der 1000 Uhren“. Foto: Fabian von Poser

Weisser ist Geschäftsführer des Hauses der 1000 Uhren, eines der angesehensten Uhrengeschäfte im Schwarzwald. Seit fünf Generationen führt die Familie das Unternehmen. Seit 1878, genauer gesagt. Weissers Ururgroßvater begann mit der Herstellung der berühmten Uhrenkästen. Heute gehören neben dem Stammhaus in Triberg drei weitere Geschäfte zum Kuckucksuhren-Imperium. Die 25 Mitarbeiter aus acht Nationen sprechen ein Dutzend Sprachen. In seinen Häusern empfängt Weisser Kunden aus rund 70 Ländern.

Doch der 57-Jährige ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass es jetzt brenzlig werden kann. Er hat den 11. September erlebt und die Lehman-Brothers-Krise. „Aber das, was gerade passiert, ist eine Vollbremsung im Quadrat.“ Da ist es egal, ob es sich um das Modell „Mini-Schwarzwaldhaus“ für 35,90 Euro oder die vergoldete Kuckucksuhr für viele tausend Euro handelt. Bei den Kunden, von denen ein Drittel aus den USA, ein Drittel aus Asien, der Rest aus Deutschland und Europa kommt, ist die Kuckucksuhr derzeit nicht gefragt.

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In guten Zeiten verkauft Weisser an die 10 000 Uhren im Jahr, das sind 270 am Tag. „Wir sind sehr stolz, dass wir Kunden aus aller Welt begeistern“, sagt der 57-Jährige. Jetzt geht quasi nichts mehr. Also führt Weisser durch sein Geschäft. 700 Quadratmeter voller Kuckucksuhren. Jeder Uhrenliebhaber würde vor Freude jauchzen. Einen Normalsterblichen machen die Verkaufsflächen ganz kirre. In jeder Sekunde tickt, bimmelt, singt und kräht es irgendwo.

Es gibt da die klassischen Schwarzwälder Kuckucksuhren wie „Chalet Hänsel und Gretel“ und „Schwarzwaldhaus Holzhacker“. Dann die Kuckucksuhr 2.0, wie Weisser sie nennt, mit digitalem Werk und programmierbaren Sounds. Und die Kuckucksuhr 4.0, die über Bluetooth und Alexa steuerbar ist und sogar Musik abspielen kann. Schließlich ist da noch der Rolls-Royce unter den Kuckucksuhren, besetzt mit 617 Swarovski-Steinen und überzogen mit 24-karätigem Blattgold. Sechs Monate Arbeit des einheimischen Schnitzers Samuel Kammerer stecken darin. Der Preis: 22 900 Euro.

Triberg ist bekannt für zwei Dinge: Deutschlands höchste Wasserfälle und seine Uhren. Es ist ein Ort voller Fachwerk und Schwarzwälder Ferienidylle. Unmittelbar vor Weissers Tür plätschert die Gutach. Der Eingang zu Deutschlands höchstem Wasserfall ist nur einen Steinwurf entfernt. Dazu gibt es Trachtenshops und die „Schinkenstraße“ mit Schwarzwälder Spezialitäten. Die Gasthäuser der Umgebung heißen „Schöne Aussicht“ und „Bergseestüble“. Mehr Schwarzwald geht nicht. Etwa 500 000 Tagestouristen empfängt die 4800-Seelen-Gemeinde im Jahr. „Doch was heuer noch kommt, keine Ahnung“, sagt Weisser.

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Wie die Kuckucksuhr leidet der gesamte Tourismus im Schwarzwald unter dem Coronavirus. 2019 buchten 8,9 Millionen Urlauber fast 23 Millionen Übernachtungen allein in den etwa 3000 gewerblichen Betrieben mit mindestens zehn Betten. Die Schwarzwald Tourismus GmbH verweist gerne auf den mit 30 Prozent hohen Anteil ausländischer Gäste. Doch Gastgeber und Geschäfte mit Fokus auf die ausgabefreudigen ausländischen Gäste haben es in Zeiten von Corona besonders schwer. „In diesem Jahr fehlen rund 36 500 asiatische und 20 000 amerikanische Gäste“, sagt Wolfgang Weiler, Sprecher des Verbands. So viele Gäste kommen aus diesen beiden Herkunftsregionen üblicherweise in den Monaten März bis Mai eines Jahres.

Nach einem Rekordauftakt im Januar und Februar sind die Übernachtungszahlen in den Schwarzwälder Betrieben seit März um bis zu 80 Prozent eingebrochen. Zwar rechnen die Verantwortlichen nach dem Ende der Reisebeschränkungen mit einer schnellen Erholung. „Wer in Neuseeland Urlaub machen wollte, der wird sehen, dass es einiges davon auch bei uns gibt“, sagt Weiler. Aber auch dann sei mit einem Minus von wenigstens 20 Prozent auf das Jahr zu rechnen.

Wann Thomas Weisser mit seinem Unternehmen die Luft ausgeht, kann er nicht sagen. Zwei Dinge, die ihn auch dieses Mal durch die Krise bringen könnten, hat der Triberger immer im Kopf. „Bei uns gilt seit jeher das Prinzip des vorsichtigen Kaufmanns. Man muss stets etwas Öl im Keller haben.“ Das hat er aus den Anschlägen von New York und der Finanzkrise 2008 gelernt, als das Geschäft ebenfalls darnieder lag und er die Zahl seiner Mitarbeiter von 40 auf 13 reduzieren musste. „Und man muss innovativ sein.“

2019 hat der 57-Jährige bei einem seiner Geschäfte deshalb einen 30 000 Quadratmeter großen Kuckucksuhren-Themenpark eröffnet. Jüngst ging er mit einer Virtual-Reality-Brille an den Start, mithilfe der die Kunden in seinem Laden ihre eigene digitale Kuckucksuhr zusammenbauen können. Neu ist das „Haus der 1000 Uhren-TV“ auf Youtube, bei dem Mitarbeiter vor der Kamera Uhren präsentieren. „Wenn der Markt nicht zu uns kommt, dann gehen wir zum Markt“, sagt Weisser. Immerhin: Über seinen Webshop, der normalerweise fast zehn Prozent des Umsatzes bringt, verkauft er auch jetzt noch ein paar Uhren. „Nur, das macht das Geschäft nicht fett.“

Weisser ist ein Tausendsassa. Neben seinem Job als Unternehmer ist er Vorsitzender im Handelsausschuss der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und Kommandant bei der Freiwilligen Feuerwehr Gremmelsbach. Jedes Jahr nach Weihnachten organisiert er den Triberger Weihnachtszauber, bei dem mehr als eine Million Lichter die Wasserfälle erhellen. 2019 kamen an den sechs Tagen 44 000 Besucher. An Unterbeschäftigung leidet Weisser nicht. Gerne macht er aber auch mal „Urlaub“ im Silicon Valley oder in China, um zu sehen, was er für sein Unternehmen adaptieren kann.

Obwohl er sein Geschäft nun wieder öffnen darf, ist die Zukunft ungewiss. „Weil vielen der ausländischen Kunden noch Wochen, vielleicht Monate die Einreise verwehrt bleibt“, sagt Weisser. „Und danach weiß man auch nicht, wie kauffreudig die Leute sind.“ Die Uhr tickt. Aber wenn es nach Weisser geht, soll sie auch weiter ticken.

Von Fabian von Poser