„Törggelen“ heißt der Brauch, bei dem Einheimische und Besucher der nördlichsten Provinz Italiens den Herbst feiern. Junger Wein und Esskastanien sind dabei die Stars der Feste.
. „Törggelen“ – dieses Dialektwort gehört zu den schwer aussprechbaren, kommt aber aus dem Lateinischen: „Torquere“ heißt so viel wie „Wein pressen“. Der alte Südtiroler Brauch, um den sich Feste und Veranstaltungen drehen, wird überall dort praktiziert, wo Wein und Esskastanien wachsen – vom Eisacktal über Bozen und das Meraner Land bis in den Vinschgau sowie entlang der Weinstraße. Sein Ursprung geht darauf zurück, dass die Bauern Anfang Oktober ihren Helfern für den Einsatz bei der Ernte und im Keller danken wollten mit einem Festmahl und dem jungen Wein.
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Noch heute wird die Tradition gelebt und geliebt. Für viele Einheimische ist es selbstverständlich, mit der Familie oder Freunden zum Törggelen zu gehen. Wohin? In sogenannte Buschenschänke, in alte Kellergewölbe oder gemütliche Bauernstuben. Viele Hof- und Buschenschänke öffnen nur während der Törggele-Saison und servieren das typische Menü: Gerstensuppe, Schlachtplatte mit „Rippelen“, Surfleisch und Kraut. Zum Nachtisch gibt es mit Marmelade, Kastanien oder Mohn gefüllte Krapfen und natürlich die in Butter gebratenen „Keschtn“, wie die süßlich schmeckenden Edelkastanien genannt werden. Oft stehen auch andere deftige Speisen wie selbst gemachte Knödel, Schlutzkrapfen („Schlutzer“), Speck, Kaminwurzen, Käse und Schüttelbrot auf der Karte. Getrunken wird zu jedem Gang „Suser“, was so viel heißt wie Süßer. Der junge, rote Wein ist noch nicht vergoren, mit nur einem Prozent Alkohol sehr leicht und schmeckt wie Traubenmost. Später im Jahr, wenn der Most schon etwas vergoren ist, heißt er „Nuier“ – neuer Wein, der sieben Prozent Alkohol und mehr hat. „Nuier“ gibt es in rot und weiß, er ist vergleichbar mit dem in Deutschland und Österreich bekannten Federweißen.
Das Eisacktal mit seinen weitläufigen Kastanienhainen gilt als Hochburg des Törggelens. Vom Brenner bis zum Etschtal finden von Anfang Oktober bis zum dritten Novembersonntag etliche Veranstaltungen zu Ehren von Kastanien und Wein statt. In 15 Gastbetrieben von Vahrn über Feldthurns und Villanders bis nach Barbian steigen jedes Jahr ab Mitte Oktober die „Eisacktaler Kastanienwochen“. In Klausen feiert man das „Gassltörggelen“ mit langen Samstagen, Törggele-Spezialitäten, einem Umzug und der Krönung der Törggelekönigin. In Völlan und Tisens huldigt man im Rahmen des Keschtnriggl mit Kunst aus Kastanienholz, Kochkursen und Vorträgen den Kastanien.
Ein Highlight liegt nördlich von Brixen, zwischen Vahrn und Neustift, am Fuße eines steilen Rebhügels: Der denkmalgeschützte Griesserhof sticht mit seinem Buschenschank unter den vielen Törggele-Betrieben im Eisacktal heraus, da er von „Roter Hahn“, einer Vereinigung des Südtiroler Bauernbundes mit 1600 authentisch geführten Höfen, zum Schankbetrieb des Jahres 2017 gekürt worden ist.
Mit 22 Bauernhöfen startet der Rote Hahn am ersten Samstag im Oktober, mit lodernden „Keschtnfeuern“ seine Initiative „Törggelen am Ursprung“. Damit soll das Kulturgut verstärkt mit charakteristischen Lokalen in Verbindung gebracht werden, weg von den oft nur für Touristen inszenierten Events. Die teilnehmenden Buschenschänke garantieren, dass sie nur Weine vom eigenen Bauernhof ausschenken, nur Kastanien aus Südtirol anbieten, nur authentisch bäuerliche Gerichte auftischen und mindestens 30 Prozent ihrer verwendeten Produkte vom eigenen Hof und Feld stammen.
Eine der bekanntesten und traditionellsten Törggele-Lokale ist der „Pfefferlechner“ in Lana bei Meran. Die Mauern des ehemaligen Lehenshofes stammen aus dem 14. Jahrhundert, seine urigen Stuben tragen Namen wie Schnapsstübele, Musikantenstübele oder alte Küche. Über den Innenhof mit altem Steinpflaster ranken sich Weinreben – das perfekte Ambiente fürs Törggelen. Wer noch mehr Bauernhofflair will, setzt sich an einen der beiden Tische, die nur durch große Glasscheiben vom Stall getrennt sind, in dem Hasen, Ziegen und Minipferde im Heu spielen. Die Hoteliersfamilie Mair aus Schenna betreibt den „Pfefferlechner“ seit 26 Jahren und verwöhnt ihre Gäste nicht nur mit selbst gemachtem „Suser“, sondern auch mit selbst gebrautem Bier und selbst gebranntem Schnaps.
Törggelen ohne Wandern? Geht gar nicht! Schließlich ist die Herbstsaison die beste Wanderzeit und nach den nahrhaften Mahlzeiten braucht der Körper Bewegung. Eine der schönsten Routen Südtirols ist der Meraner Höhenweg, der in vier bis acht Tagesetappen den Naturpark Texelgruppe umrundet. Die hochalpine Rundtour ist für jeden Wanderer machbar, da verschiedene Varianten den Ein- und Ausstieg auf der gut 100 Kilometer langen Strecke ermöglich. Zudem gibt es in den Orten Naturns, Partschins, Algund und Dorf Tirol Lifte oder Seilbahnen, die so manchen Auf- oder Abstieg ersparen. Der Weg schlängelt sich meist auf gleichbleibender Höhe von rund 1400 Metern an den Bergen der Texelgruppe entlang, wobei es trotzdem immer wieder Höhenunterschiede von einigen Hundert Metern zu überwinden gibt. Wer den ganzen Meraner Höhenweg geht, bringt es auf stolze 5000 Höhenmeter. In regelmäßigen Abständen liegen Einkehr- und Unterkunftsmöglichkeiten. In mehr als 40 Hütten, Schutzhäusern oder Almen können Wanderer übernachten –, wodurch sich die Tour ganz individuell gestalten lässt. Der Höhenweg hat einen Süd- und einen Nordteil. Der südliche Meraner Höhenweg zieht sich bis auf 1839 Meter, entlang der südseitigen Hänge mit Blick auf die Kulturlandschaften im Unteren Vinschgau, auf den Meraner Talkessel und das Passeiertal sowie auf die Gipfel der Sarntaler Alpen und den Jaufenpass. Bis November ist dieser Teil begehbar. Der nördliche Teil des Weges führt durchs Pfossen- und Pfelderertal bis in hochalpine Regionen, stets mit spektakulären Ausblicken auf Gletscher wie Hochwilde und Hohe Weiße. Höchster Punkt der Tour ist das 2895 Meter hohe Eisjöchl. Dieser Teil des Höhenweges ist nur in den Sommermonaten von Juni bis September zu begehen. Die klassischen Zugänge zum Meraner Höhenweg, egal ob man im oder gegen den Uhrzeigersinn gehen will, sind Katharinaberg im Schnalstal, Ulfas im Passeiertal oder Pfelders im Pfelderertal.
Wer nicht ganz so hoch hinaus will, findet gemütliche Wanderoptionen auf Südtirols berühmten Waalwegen, beispielsweise in Schenna, die entlang mittelalterlicher Bewässerungskanäle führen. Ein Highlight im Herbst ist auch der „Keschtnweg“, der vom Eisacktal, über den Ritten, die Seiser Alm und das Grödnertal bis an den Kalterer See führt. Die achttägige Wanderung auf dem Südtiroler Kastanienweg erstreckt sich über 63 Kilometer.
Von Michaela Strassmair