Borchers zur Eintracht: „Jeder Spieler kann ein Held werden“
Der Uefa-Cup-Sieger von 1980 glaubt an den Europa-League-Finaleinzug der Frankfurter beim FC Chelsea und sagt: „Die Jungs haben einen Top-Charakter.“
Von Heiko Weissinger
Sportredakteur
Mit 22 Jahren Uefa-Cup-Sieger im Trikot der Frankfurter Eintracht: Ronny Borchers (im rechten Bild ganz rechts).
(Fotos: Imago/Eintracht Frankfurt Museum)
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FRANKFURT - Eintracht Frankfurt spielt am Donnerstag (21 Uhr) im Halbfinal-Rückspiel beim FC Chelsea um den Einzug in das Europa-League-Endspiel in Baku. Offensivspieler Ronny Borchers (61) stand 1980 mit dem Fußball-Bundesligisten im Finale gegen Borussia Mönchengladbach und hielt am Ende den Uefa-Cup in die Höhe – der größte Erfolg der Vereinsgeschichte. Und der Heusenstammer traut der Eintracht nach dem 1:1 im Hinspiel in London einen Coup zu.
Herr Borchers, die Eintracht musste mit Ihnen 1980 im Uefa-Cup-Halbfinale eine 0:2-Hinspielniederlage bei Bayern München aufholen, was dann ja in der Verlängerung mit 5:1 gelang. Am Donnerstag müssen die Frankfurter beim FC Chelsea gewinnen oder ein Remis mit mindestens zwei Toren erreichen. Welche Aufgabe schätzen Sie schwerer ein?
Das kann ich nicht sagen. Das 1:6 in Leverkusen war natürlich äußerst unglücklich. Andererseits wird die Situation am Donnerstag eine ganz andere sein. Die Jungs haben einen Top-Charakter und in der Europa-League bisher außergewöhnliche Leistungen gezeigt. Ich kann mir vorstellen, dass wir eine sehr, sehr gute Rolle spielen und das Finale schaffen.
Mit 22 Jahren Uefa-Cup-Sieger im Trikot der Frankfurter Eintracht: Ronny Borchers (im rechten Bild ganz rechts). Fotos: Imago/Eintracht Frankfurt Museum
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Wie konnte Ihr Team die Aufgabe vor 39 Jahren lösen?
Wir hatten damals außergewöhnliche Führungsspieler: Neben dem verletzten Grabowski noch Hölzenbein, Nickel und Neuberger. Und auch wenn es für die Meisterschaft nie gereicht hat, waren wir damals immer in der Lage, kurzfristig über unseren Zenit hinauszugehen. Die aktuelle Eintracht hat das in den letzten Monaten auch geschafft, gerade in der Europa-League. 1980 hatten die Bayern sicher nicht die hundertprozentige Konzentration, weil sie uns im Hinspiel geschlagen hatten. Und wenn die Spieler des FC Chelsea lesen, dass wir in Leverkusen 1:6 verloren haben, geht bei denen zwangsläufig auch das Kopfkino an.
ZUR PERSON
Ronald „Ronny“ Borchers (61) bestritt für Eintracht Frankfurt von 1975 bis 1984 in der Fußball-Bundesliga 169 Spiele und erzielte 24 Tore. Mit der Eintracht wurde der sechsfache Nationalspieler 1980 Uefa-Pokal-Sieger und gewann 1981 den DFB-Pokal. Später war der Stürmer und Mittelfeldspieler noch für Arminia Bielefeld, Grashopper Zürich, Waldhof Mannheim, FSV Frankfurt und Kickers Offenbach aktiv. Als Trainer wirkte Borchers, der eine Werbeagentur in seinem Wohnort Heusenstamm betreibt und passionierter Golfspieler ist, unter anderem bei Kickers Offenbach, FSV Frankfurt, Germania Ober-Roden, Viktoria Aschaffenburg, Wormatia Worms und dem FC Bensheim.
Wie kann es die Eintracht am Donnerstag schaffen?
Ich war im Hinspiel gegen Chelsea überglücklich, den Engländern zuzuschauen. Weil sie sensationelle Einzelspieler haben. Aber sie sind kein Team. Die Eintracht dagegen ist das Team schlechthin in dieser Europa-League-Saison und wächst regelmäßig über sich hinaus.
Und welche Rolle spielt dabei die 1:6-Pleite am Sonntag in Leverkusen?
Die Jungs werden sich einmal schütteln und dann wieder auf Sendung sein. Die Eintracht war in dieser Saison schon öfter platter als platt und dann hat der eine den anderen mitgenommen. Sie können sich unheimlich gut gegenseitig motivieren. Wir müssen wie im Hinspiel sofort aggressiv nach vorne spielen, das hat uns stark gemacht. Wir hatten in Frankfurt keine Angst vor dem großen Gegner und unsere Torchancen.
1980 haben Sie am Ende den Uefa-Cup-Sieg mit der Eintracht gefeiert. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Europapokalsaison?
Wir waren damals wie die Eintracht heute jeder Zeit in der Lage, uns aus schwierigen Situationen zu befreien. 1980 habe ich die Bedeutung nicht so realisiert. Aber heute ist für mich das Größte, dass wir uns mit dem Triumph in den Fußball-Geschichtsbüchern verankert haben.
Zum Viertelfinale gegen Brünn kamen damals nur 30.000 Zuschauer ins Waldstadion, in dieser Saison war das Stadion selbst im Gruppenspiel gegen Limassol mit 48.000 Zuschauern ausverkauft. Wie erklären Sie sich die Begeisterung?
Seit dem Umbau des Stadions zur WM 2006 ist die Stimmung schon eine andere als vorher, weil man näher dran ist. Das hat sich dann nach oben multipliziert. Die Choreografien sind Gemälde – europaweit einmalig. Und die Unterstützung der Fans ist kaum zu toppen. Die haben ja beim Stand von 1:6 in Leverkusen noch gesungen bis zum Gehtnichtmehr. Das nimmt jeder Eintracht-Spieler in seine persönliche Motivationskiste und holt es am Donnerstag wieder raus.
Die Eintracht hat viele junge Spieler im Kader, die im Saisonendspurt auch mit einer erhöhten nervlichen Anspannung zurechtkommen müssen. Sie waren im Halbfinale gegen den FC Bayern und im Finale gegen Mönchengladbach erst 22 Jahre alt. Wie sind Sie mit der Nervosität umgegangen?
Es kommt immer darauf an, was für ein Typ man ist. Ich war nie nervös, das Wort kannte ich nicht. Wenn wir gegen Bochum bei strömendem Regen gespielt haben, hatte ich auch mal nicht so richtig Bock. Aber wenn es um etwas ging, war ich heiß.
Ebenfalls noch jung, nämlich 21, und Stürmer, wie Sie es anfangs waren, ist Luka Jovic, der im Hinspiel gegen Chelsea das 1:0 erzielt hat. Sein Marktwert soll schon über 50 Millionen Euro betragen, Top-Klubs wie Real Madrid wollen ihn angeblich verpflichten. Wie sehen Sie den Serben?
Man darf nicht vergessen: Im Pokalfinale 2018 gegen München saß er 90 Minuten auf der Bank. Jetzt hat er einen extremen Schuss nach oben gemacht. Er galt schon lange als Klassefußballer, aber auch als etwas faul. Momentan läuft er für meinen Geschmack eher zu viel. Ein Stürmer muss Kraft haben für die letzten paar Meter. Aber er ist ein außergewöhnliches Talent, eine Granate.
Im Hinspiel war Jovic der einzige Stürmer in der Startelf. Wie wichtig ist die Rückkehr des gesperrten Ante Rebic und vielleicht ein Comeback des verletzten Sebastien Haller?
Mit Haller fehlt ein wichtiger Anspielpunkt vorne. Er kann den Ball in den eigenen Reihen halten, was momentan nicht so gut gelingt. Rebic hat schon Großartiges geleistet. Aber brutal wichtig wäre auch die Rückkehr von Sebastian Rode, ein „Killer“ im netten Sinne und absoluter Führungsspieler.
Wie lautet Ihr Tipp für den Donnerstag und was ist in der Bundesliga noch drin für die Eintracht?
Ein Ergebnis tippe ich nicht. Es ist noch alles drin in der Bundesliga, es ist noch gar nichts passiert, und wir sind immer noch Vierter. Das Wichtigste ist das Spiel am Donnerstag. Wenn wir da weiterkommen, werden wir auch in der Bundesliga erfolgreich sein. Klar ist: In London kann jeder Spieler ein Held werden.