Früherer SGE-Arzt zu Eriksen: „Da hat jede Sekunde gezählt“

aus Eintracht Frankfurt

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Christian Eriksen von Dänemark wird während des Spiels gegen Finnland auf einer Trage weggetragen.  Foto: dpa

Der Däne Christian Eriksen ist während des EM-Spiels gegen Finnland kollabiert. So schätzt der frühere Mannschaftsarzt der Frankfurter Eintracht den Vorfall und die Reaktionen ein.

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FRANKFURT. „Hochprofessionell“ und „vorbildlich“ sei die Rettungsaktion für den dänischen Nationalspieler Christian Eriksen abgelaufen, der am Samstag beim EM-Spiel gegen Finnland kollabiert war und dem die Ärzte auf dem Platz das Leben gerettet hatten. Über die ärztliche Versorgung in den Bundesligastadien, seine persönlichen Erfahrungen und die Einschätzung der Situation in Kopenhagen hat unser Mitarbeiter Peppi Schmitt mit dem langjährigen Mannschaftsarzt der Frankfurter Eintracht, Dr. Christoph Seeger (58), gesprochen.

Wie haben sie die Ereignisse um den dänischen Nationalspieler Christian Eriksen gesehen? „Ich habe nicht live im TV zugeschaut, habe aber ziemlich schnell von Freunden und Bekannten viele Nachrichten bekommen und es mir dann im Nachhinein angeschaut. Ganz offenbar waren seine Vitalfunktionen noch in Ordnung, als die Ärzte auf den Platz kamen. Der Puls war wohl tastbar, wie der dänische Arzt inzwischen auch gesagt hat. Dann aber ist es zu einem Herzstillstand gekommen. Von da an ist ein Programm abgelaufen, was zu tun ist, unter anderem mit Herzdruckmassagen und dem Einsatz eines Defibrillators.“

Sie sprechen von einem „Programm“. Wie war das bei der Eintracht geregelt? „Bei uns war bei jedem Spiel neben den Mannschaftsärzten ein Notärzteteam im Stadion. Das ist in der Bundesliga vorgeschrieben. Nicht nur für die Spieler auf dem Platz, sondern auch für eventuelle Notfälle im Publikum. Der Notarzt und seine Mannschaft war uns im Innenraum immer ganz nahe. Vor dem Spiel haben wir uns mit ihnen abgesprochen. Man hat einen Ablaufplan, eine Checkliste, die sind wir immer durchgegangen, in der Zeit, wenn die Spieler raus zum Warmmachen sind. Denn eines ist klar: Meistens sind die Mannschaftsärzte ja Orthopäden, und in einem Fall wie jetzt bei Christian Eriksen ist es noch besser, wenn Spezialisten schnell da sind. Da sind Leute die geschult sind, die wissen genau, was zu tun ist. In einem solchen Fall zählt jede Minute, jede Sekunde.“

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Dr. Christoph Seeger. Archivfoto: SC Hessen Dreieich
Dr. Christoph Seeger. (© Archivfoto: SC Hessen Dreieich)

So wird es wohl auch in Kopenhagen abgelaufen sein? „Ja, ich denke schon. Was ich sehen konnte und inzwischen gehört habe, ist alles vorbildlich abgelaufen. Auch die Spieler haben sich ideal verhalten, haben einen Sichtschutz gebildet. Das war alles hochprofessionell.“

Hatte Christian Eriksen also sogar Glück im Unglück, dass es beim Spiel passiert ist? „Na, ja Glück will ich nicht sagen. Aber wenn so etwas Furchtbares passiert, steigen die Chancen zu überleben, wenn schnell ein Ärzteteam vor Ort ist, und hier war das ja in dreißig, vierzig Sekunden bei ihm.“

Christian Eriksen (verdeckt) der dänischen Mannschaft wird während des Spiels auf einer Trage weggetragen. Er war zuvor auf dem Rasen zusammengebrochen, sofort herbeigerufene Helfer führten lebensrettende Maßnahmen aus. Foto: Wolfgang Rattay/POOL REUTERS/AP/dpa
Christian Eriksen (verdeckt) der dänischen Mannschaft wird während des Spiels auf einer Trage weggetragen. Er war zuvor auf dem Rasen zusammengebrochen, sofort herbeigerufene Helfer führten lebensrettende Maßnahmen aus. (© Wolfgang Rattay/POOL REUTERS/AP/dpa)
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Haben sie in ihrer Zeit als Mannschaftsarzt der Eintracht schon einmal einen ähnlich schweren Vorfall erlebt? Und wie reagiert man, wenn so etwas passiert? „Nein, eine solchen Fall hatten wir Gott sei Dank noch nicht. In Kopenhagen hat man ja an den Reaktionen der Spieler und des Schiedsrichters gesehen, dass das keine Verletzung war, sondern etwas anderes, schlimmeres. Dann läuft man auf den Platz und hat einen Ablaufplan im Kopf.“

Ist das auch für einen Arzt ein Schock? Wie geht man damit um? „Man wird darauf geschult, das ist Teil der Ausbildung, damit dann richtig reagiert wird. Die Emotionen kommen erst später, nachdem man seine Arbeit getan hat.“

Wie kann das bei einem Hochleistungssportler passieren? „Es kommt zum Glück selten vor, aber es lässt sich nie ausschließen. In der Bundesliga ist es so, dass jeder Spieler vor der Saison unter anderem kardiologisch untersucht wird. Das Blut wird getestet, es gibt ein Belastungs-EKG und noch einige weiter Untersuchungen. Auch bei Vereinswechseln gibt es diese Untersuchungen. Und wenn ein Spieler erkrankt war, werden die Untersuchungen ebenfalls wiederholt. Ich gehe davon aus, dass die Spieler auch vor einem großen Turnier wie die EM noch einmal auch kardiologisch durchgecheckt worden sind. Christian Eriksen scheint es ja wieder besser zu gehen. Schon das Foto, als er sich die Hand über die Stirn hält und nach vorne schaut, hat darauf hingedeutet. Jetzt wird es viele Untersuchungen geben, um herauszufinden, was genau passiert ist.“

Was sagen sie dazu, dass das Spiel fortgesetzt wurde? „Da ist aus der Entfernung schwer zu beurteilen. Aber wenn die Spieler mit ihm gesprochen haben und er so weit hergestellt war, dass er mit ihnen sprechen konnte und sie gebeten hat, weiterzuspielen, halte ich es für vertretbar. Und ob eine Nacht darüber zu schlafen wirklich besser gewesen wäre, ist auch Ansichtssache. Eine Traumatisierung kann man in so kurzer Zeit auch nicht unbedingt verarbeiten. Also, das war eine schwierige Entscheidung.“

Von Peppi Schmitt