
Der Darmstädter Professor Frank Hänsel spricht im Interview über die Erfolgsserie des SV Darmstadt 98, die Krise der Eintracht, mentale Stärke im Sport und kontrafaktisches Denken.
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Herr Hänsel, die Idee, Sie anzurufen, hatte ich während der zweiten Halbzeit des Spiels Dortmund – Frankfurt am Samstag. Es gab mehrfach Szenen, wo sich auf der Tribüne jeder sicher war, der Frankfurter kommt im Sprintduell zuerst an den Ball, doch der Dortmunder Gegenspieler war dann doch als Erster mit dem Fuß dran. Kann Misserfolg oder eine Misserfolgsserie die Beine schwer machen?
Grundsätzlich gilt, und ich als Professor für Sportpsychologie untersuche ja genau das: Ein wichtiger Teil der Leistungserbringung in einer Wettkampfsituation hat mit den mentalen Aspekten zu tun. Da geht es vielleicht um drei oder fünf Prozent, aber die machen dann den Unterschied. Bei einer Serie von Misserfolgen kann es sein, dass die Spieler versuchen, eher Fehler zu vermeiden, und dann nicht mehr so aktiv und aggressiv sind wie früher oder wie der Gegner. Wenn man im Hinterkopf hat: „Das muss jetzt endlich mal klappen“, kann es sein, dass man nicht 100 Prozent seines Leistungsvermögens abruft, sondern eher vorsichtiger zu Werke geht. Die Athleten sind in der Regel technisch, koordinativ und von der Fitness her relativ vergleichbar. Es geht aber eben auch darum, Trainingsleistungen in eine Wettkampf- und Drucksituation einzubringen. So ist es wichtig, die mentalen Wettkampfvoraussetzungen dafür zu schaffen – und die Psyche kann dann den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen.
Die Eintracht stand vor der WM-Pause auf Rang vier, spielte teilweise begeisternd. Jetzt ist sie Neunter und hat acht Spiele nicht mehr gewonnen. Wie kann man als Psychologe so einen Absturz, so eine Krise erklären?
Es gibt ein Phänomen im Sport und auch in der Wirtschaft, das wird „Hot Hand“ genannt. Im Fußball wird auch von „Hot Feet“ gesprochen. Da geht es darum, dass die beteiligten Spieler, Trainer und Zuschauer glauben, wenn jemand mehrere erfolgreiche Aktionen hat, zum Beispiel erfolgreiche Torschüsse, also einen Lauf, dass das die Voraussage zulässt, dass er bei der nächsten Aktion auch erfolgreich sein wird. Das wurde auch untersucht und es hat sich gezeigt, dass das so nicht stimmt. Man kann nicht aus den Leistungen zuvor voraussagen, dass es bei der nächsten Aktion wieder gut oder wieder schlecht läuft. Bei der Eintracht dachte man vielleicht nach der erfolgreichen Hinrunde eben auch, es muss so weitergehen.
Wie kommt man aus einer Misserfolgsspirale raus?
Die Situation mit dem Einbruch und den wenigen Punkten in der Rückrunde ist belastend, in der Sportpsychologie ein sogenannten kritisches Ereignis. Da ist die Frage: Wie verarbeite ich das jetzt? Ganz allgemein – unabhängig vom Sport – kann man in der Regel verschiedene Phasen beobachten: Bei einem kritischen Ereignis, also einer gravierenden ernsten Situation, bin ich vielleicht erst mal schockiert, will das nicht wahrhaben und leugne die Ernsthaftigkeit der Situation. Da kommt es erst mal zu Beschwichtigungen und es heißt: „Das ist doch gar nicht so schlimm.“
Bei der Eintracht hieß es anfangs auch noch: „Wir haben ja nur so und so viele Punkte weniger gegen die Gegner in der Hinrunde geholt...“
Ja, das würde passen. Der nächste Schritt ist dann häufig, dass man merkt, es wird ja nicht besser und dann wird überagiert. Es wird sehr emotional – Frustration, Ärger, Wut – und alles in Bewegung gesetzt, um schnell eine Lösung des Problems zu finden, die in der Regel gar nicht so schnell gefunden werden kann. Denn es gibt ja häufig einen systematischen, langfristigen Grund, warum das so ist. Dann gibt es eine Phase, in der man sozusagen „verhandelt”, mit sich ringt, niedergeschlagen und deprimiert ist. Da wird man dann unter Umständen mental müde, weil man wie Frankfurt aus einer guten Situation gestartet ist und jetzt geht es nur abwärts. Die letzte und entscheidende Phase ist, dass man das Szenario akzeptiert, sich eventuelle neue Ziele setzt und dann die Situation neu definiert beziehungsweise sich an die neue Realtität anpasst. Je schneller man diese Phasen abarbeitet und sich dabei hinterfragt, desto schneller kommt man zum Erfolg zurück. Es gibt da den interessanten Begriff der „flexiblen Beharrlichkeit“. Das ist die Kunst, die Ziele einerseits langfristig zu verfolgen, aber wenn es nicht klappt, andererseits flexibel zu bleiben und die Ziele anzupassen. Oder manches Mal sich eben auch „nur” auf die Gegenwart und das nächste Spiel zu fokussieren.
Kann bei der Eintracht nach dem sehr erfolgreichen Jahr 2022 mit Europacupsieg und dem Erreichen des Champions-League-Achtelfinals auch eine mentale Müdigkeit eingetreten sein?
Der Begriff der mentalen Ermüdung wird momentan sehr viel diskutiert in der Wissenschaft, weil im Spitzensport die Anforderungen sehr hoch sind. Die Trainingsumfänge sind enorm, der Wettkampfkalender ist dicht. Das führt nicht nur zur körperlichen Erschöpfung. Vielleicht liegt es bei der Eintracht auch daran, dass Regenerationsprozesse fehlen nach den vielen Spielen im Europacup 2022 und der WM für einige Spieler. Im Spitzensport passiert das Regenerieren oft nicht systematisch und aktiv genug. Es gibt keine Erfolgsmüdigkeit im eigentlichen Sinne, aber mit dem Erfolg sind ja viele Spiele, weite Reisen, Ehrungen et cetera verbunden. Für mentale Erschöpfung gibt es auch bestimmte Anzeichen wie ein Gefühl der inneren Leere, Gleichgültigkeit, Rückzug, hohe Reizbarkeit.
Bei einigen Spielern laufen Verträge aus, andere sind wechselwillig trotz Vertrag: Inwiefern kann das leistungshemmend sein?
Die Spieler haben ja auch ein Privatleben. Und das kann auch eine Rolle spielen, wenn die berufliche Zukunft ungeklärt ist.
Was würden Sie den Verantwortlichen der Eintracht in dieser Situation raten? Sollen sie bei den bewährten Strukturen/Mustern bleiben, sollen sie etwas Neues ausprobieren oder frische, unverbrauchte Spieler einsetzen, um neue Impulse zu setzen?
Ich würde schauen, ob ich mit den bisherigen Akteuren in den nächsten Spielen die Chance auf eine Weiterentwicklung habe. Die Frage ist: Wie komme ich aus der gedanklichen Abwärtsspirale raus? Was ist hilfreich? Und das kann immer auch eine Veränderung sein, wenn sie von der Botschaft begleitet wird, dass es unterstützend und motivierend nach vorne geht.
Also ist das klassische Kurztrainingslager im Westerwald, was es früher oft im Abstiegskampf gab, eine Option?
Das kann auf jeden Fall einen positiven Effekt haben. Man geht aus der negativ besetzten Situation raus. Da kann eine räumliche, personelle Veränderung oder die Einführung von etwas anderem Neuen sinnvoll sein und einen Impuls setzen.
Die Eintracht ist in den letzten Jahren oft in der Rückrunde eingebrochen. Kann sich so etwas auch in den Köpfen festsetzen nach dem Motto „Oh je, jetzt kommt die Rückrunde“ und dann zum Problem werden, wenn die ersten Misserfolge kommen?
Statistisch gibt es ja – wie beschrieben – nicht das „Hot Hand“-Prinzip. Aber auf der Verhaltensebene können sich wiederholende Situationen schon auswirken. Thema Angstgegner. Oder eben auch eine tradierte Erzählung – ein Narrativ – über etwas, ein Vereinsmythos wie „In der Rückrunde brechen wir immer ein.“ Das wird dann zugespitzt und problematisiert. Und wenn das im Team ein Thema ist, dann kann ein Spieler besonders vorsichtig oder überaktiv sein. Er spielt nicht das, was er eigentlich kann, weil er von der tradierten Erzählung in seiner Wahrnehmung der Situation beeinflusst ist. Das führt ihn weg von dem eigentlichen Spiel, nämlich den Ball mit guten Aktionen über das Spielfeld ins Tor zu bringen. Da läuft dann im Hintergrund ein Film ab und der muss ja gar nicht der Realität entsprechen oder noch einen Einfluss haben. Und dann wird eine Spielaktion eben nicht so ausgeführt, wie sie im Training 100 Mal geübt und automatisiert wurde.
Was im Gegenteil dazu möglich ist, wenn man einen positiven Lauf hat, zeigt ja gerade der SV Darmstadt 98, der sehr gut mit Rückschlägen umgehen kann. Was macht die Psyche eines Spielers, wenn der Verein eine Erfolgsserie hat?
Früher hat man das Wettkampfstabilität genannt, heute spricht man häufig von mentaler Stärke oder Mental Toughness. Bestimmte Faktoren sorgen dafür, dass ein Sportler in einer Drucksituation stabil erfolgreich agiert. Bei einem Modell wird das mit vier C beschrieben, das kommt aus dem Englischen. Control heißt: Ich habe das Gefühl, dass ich Kontrolle über die Situation habe. Challenge: Ich sehe unerwartete Vorkommnisse oder Ereignisse, wie einen Rückstand im eigenen Stadion gegen ein vermeintlich deutlich schwächeres Team, nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung. Commitment: Ich bringe mich aktiv ein und fühle mich nicht entfremdet. Confidence: Ich habe das Selbstvertrauen, gute Leistungen zu bringen, und gerade das steigt natürlich bei einer Erfolgsserie wie der der Lilien.
Die Darmstädter haben 2022 die Relegation knapp verpasst. Kann dieses Negativerlebnis das Team mental auch gepusht haben?
Die Frage ist immer: Was mache ich aus einem Negativerlebnis? Wie ist die Story – das Narrativ – dazu? Sehe ich das Scheitern als Impuls, es allen jetzt erst recht zu zeigen und noch eine Schippe draufzulegen? Oder denke ich: Oh Gott, hoffentlich passiert uns das nicht wieder!
Der HSV muss eigentlich aufsteigen nach fünf Jahren Zweite Liga, die Heidenheimer hatte vor der Saison niemand auf dem Zettel, die müssen gar nichts; die Lilien waren im erweiterten Kreis der Aufstiegskandidaten. Inwiefern kann diese Erwartungshaltung jetzt im Saisonendspurt eine Rolle spielen?
Wettkampf gegenüber Training ist ja unter anderem dadurch definiert, dass ich eine klare Erwartungshaltung habe. Aber die kann es erschweren oder erleichtern, gut zu agieren. Also Erwartungsdruck muss nicht unbedingt belastend sein; wenn ich – wie im 4-C-Modell angenommen – robust und zäh bin, eine hohe mentale Widerstandsfähigkeit habe, kann er sich sogar in einen „Booster” verwandeln.
Der Vorsprung auf Rang drei ist nicht groß. Falls die Lilien nach vielen Spieltagen auf Rang eins noch in die Relegation müssten, wäre das ein psychologischer Nachteil?
In der Sportpsycholgie gibt es die Idee des kontrafaktischen Denkens. Das heißt, ich denke darüber nach, was wäre wenn. Es gibt Studien, die zeigen, dass ein Bronzemedaillengewinner glücklicher ist als ein Silbermedaillengewinner. Denn: Kontrafaktisch denkt der Silbermedaillengewinner: Ich habe Gold knapp verpasst, ich hätte eigentlich ganz oben stehen können. Der Bronzemedaillengewinner sagt: Toll, ich bin auf dem Treppchen. Der denkt also sozusagen nach unten und der andere denkt nach oben. Die Lilien können kontrafaktisch nach oben denken: Mist, ich könnte eigentlich schon in der Bundesliga sein, jetzt muss ich doch in die Relegation. Sie könnten aber auch sagen: Toll, dass ich überhaupt noch die Chance habe. Das würde ihnen natürlich leichter fallen, wenn sie von unten kämen. Deshalb wäre die Relegation mental eine Herausforderung für die Lilien, denn sie müssten erst mal mit der Frustration umgehen. Ich würde Ihnen dann einen Gedächtnisverlust wünschen (lacht). Dann könnten sie unbelastet spielen.
Aus der Sicht eines fußballinteressierten Sportpsychologen: Schaffen die Lilien den Aufstieg? Und fangen sich die Frankfurter noch mal oder müssen sie alles auf die Karte DFB-Pokal setzen?
Ich bin ja kein Hellseher. Aber ich mag beide Mannschaften und würde ihnen wünschen, dass sie ihre Ziele erreichen. Ich glaube, dass Darmstadt aktuell etwas stabiler ist als Frankfurt. Aber für beide gibt es genug Anlass, mit dem richtigen Narrativ ihr Potenzial jetzt noch mal aufs Feld zu bringen.