Hinterland/BüdingenBen schnappt sich das Leder, spielt einen Doppelpass mit Nils und schießt ein Tor. Kurzer Jubel. Dann schnell zurück - Verteidigungsarbeit ist angesagt....
. Hinterland/BüdingenBen schnappt sich das Leder, spielt einen Doppelpass mit Nils und schießt ein Tor. Kurzer Jubel. Dann schnell zurück - Verteidigungsarbeit ist angesagt. Ball abluchsen, wieder passen, nach vorne rennen, freilaufen und erneut zum Torabschluss kommen. Den Jungs bleibt keine Zeit, sich auszuruhen. Jeder ist aktiv - und praktiziert in kurzer Zeit all das, was einen Fußballer ausmacht. Ben und seine Kumpels spielen Funino ("Fun", englisch, "Spaß" und "Nino", spanisch, "Kind").
Diese Spiel- und Trainingsform für den Kinderfußball (die aber auch von Erwachsenen gespielt wird) ist bereits vor 30 Jahren von Horst Wein ent- wickelt worden. Sie findet etwa beim spanischen Spitzenclub FC Barcelona seit Jahren Anwendung und wird seit geraumer Zeit in mehreren deutschen Fußballkreisen getestet. In Hessen gibt es insgesamt 20 Pilotkreise. Zu ihnen gehören Gießen und Büdingen.
Der Fußballkreis Biedenkopf hatte sich seinerzeit nicht als Pilotkreis beworben. Diether Achenbach, Koordinator für Qualifizierung des Hinterländer Kreisdußballausschusses, hält von Funino trotzdem viel: "Wir haben das schon vor zwei Jahren als Fortbildungsveranstaltung angeboten und Funino den ganzen Tag der Qualifizierung gewidmet. Die Resonanz war sehr gut". Der Wiesenbacher hält die Spielform für "eine tolle Sache, weil dadurch auch die schwächeren Spieler ins Geschehen eingebunden werden und mit dem Ball unterwegs sind. Sie sollen ja nicht im luftleeren Raum rumstehen". Den großen Vorteil von Funino sieht Achenbach in seiner Einfachheit. "Das Feld ist schnell aufgebaut, das macht es auch so einfach, Funino ins Training einzubauen. Funino ist wie Straßenfußball, den wir als Kinder alle gespielt haben, Drei gegen Drei auf der Wiese und die Bohnenstange oder der Pullover ist der Torpfosten. Neu sind eigentlich nur die vier Tore".
Wozu Funino spielen? Die Sechs- bis Neunjährigen (G- und F-Jugend) sollen mehr Spaß am Kicken haben. Funino soll verhindern, dass die Kinder früh ihre Fußballschuhe an den Nagel hängen, weil sie in ihrer Mannschaft nicht eingesetzt werden oder auf bestimmten Positionen kaum Ballkontakte bekommen. Gekickt wird - bei verkürzter Spielzeit - auf einem maximal 32 x 25 Meter großen Feld. Es gibt nicht zwei große Tore, sondern vier kleine. Jedes Team greift zwei davon an und verteidigt zwei, die circa zwölf Meter voneinander entfernt an den kurzen Seiten stehen. Torhüter gibt es nicht. Ein Team besteht aus drei Feldspielern.
Frank Illing, Vorsitzender des Verbandsausschusses für Qualifizierung und Vereinsentwicklung beim Hessischen Fußball-Verband (HFV), befürwortet diese Spielform aus mehreren Gründen. "Kinder haben ein eingeschränktes Sichtfeld und eine andere Wahrnehmung der räumlichen Distanz. Deshalb sind die üblichen Spielfelder der G- und F-Junioren zu groß. Durch die kleinere Fläche und die reduzierte Anzahl der Spieler haben die Kinder dank der vielen Ballkontakte eine technisch bessere Ausbildung, mehr Richtungswechsel und legen mehr Sprints zurück."
Die Kinder bewegen sich beim Funino schlichtweg mehr als im herkömmlichen Fußball. Das belegt eine Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. In der klassischen Spielform mit sieben Kickern pro Team weist ein Nachwuchskicker binnen zehn Minuten eine Schrittzahl von circa 1150 auf. Bei Funino sind es knapp 1400.
Ein weiterer entscheidender Punkt laut Illing: "Funino bildet die Spielintelligenz wahnsinnig aus. Das Schlimmste ist nämlich ein schematisierter Spieler." Das habe die Deutsche Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland erfahren müssen. "Unsere Spieler konnten hervorragend passen. Wir hatten eine weitaus bessere Quote als der spätere Weltmeister. Das Problem war, dass die Spieler in ihrem Schema gefangen waren - und somit die Lösungen fehlten." Zu guter Letzt komme Funino Vereinen mit kleinen Kadern entgegen. "Fünf Kinder einer Altersklasse genügen für ein Team", betont Illing, der keinen negativen Ansatzpunkt findet. "Negativ sind nur die Leute, die nichts verändern wollen." Schließlich solle im Zentrum der Überlegung der Spieler stehen. Und nicht der Rahmenterminplan oder die Organisation.
Obwohl der Hessische Fußball-Verband von Funino überzeugt ist, will HFV-Jugendreferent Michael Schäfer "das Konzept niemandem überstülpen". Er möchte Trainer und Eltern gleichermaßen "von dieser Spielform überzeugen". Aktuell gebe es in Hessen 20 Pilotkreise, darunter Gießen, die Funino gegen die klassische Spielform eintauschen. "Diesen Kreisen hat der HFV auch die Mini-Tore zur Verfügung gestellt", sagt Schäfer und fährt fort: "Wir wollen natürlich, dass überall umgestellt wird. Dieser Prozess wird aber zwei, drei Jahre dauern. Deshalb kann ich nicht sagen, wann diese Spielform verpflichtend praktiziert werden soll. Für G-Junioren vielleicht in der Saison 2022/23."
Von Torben Frieborgund Jens Kauer