
Michael Ott ist der schärfste Kritiker des Katar-Deals beim FC Bayern. Bei der letzten Mitgliederversammlung ging ihn Uli Hoeneß an. So blickt er auf das umstrittene WM-Turnier.
Mainz. Michael Ott (29) ist seit Jahren der größte Kritiker des Katar-Sponsoring des FC Bayern München. Der Rechtsanwalt, der bis zum Sommer in Mainz lebte und hier studiert hat, hat auch zur Weltmeisterschaft eine klare Meinung. Ein Interview über die WM, das umstrittene katarische Bayern-Sponsoring und Uli Hoeneß.
Herr Ott, was machen Sie kommenden Sonntag um 17 Uhr?
(lacht und überlegt kurz) Da ist das Eröffnungsspiel der WM. Ich glaube nicht, dass ich mir das anschauen werde. Auch bei den deutschen Spielen habe ich noch nicht endgültig entschieden, ob ich die gucken werde oder nicht.
Wie werden Sie das umstrittene WM-Turnier in Katar verfolgen?
Es ist ein Trauerspiel, dass sich die Fans genötigt sehen, sich überhaupt tiefgründige Gedanken dazu machen. Ich bin da ehrlich gesagt hin- und hergerissen. Es gibt zwei Positionen, die sich gut hören lassen. Zum einen, dass die WM die Krönung dieser völlig verrückt gewordenen Kommerzialisierung im Fußball ist. Hier ist ganz klar eine rote Linie überschritten worden. Daher ist es durchaus angebracht, die Veranstaltung aus Prinzip zu boykottieren. Anderseits kann man auch sagen, dass das Kind in den Brunnen gefallen ist und man in dieser Dilemmasituation das Beste daraus macht, wenn man die WM als Brennglas auf Katar nutzt. Bei der zweiten Sichtweise habe ich inzwischen leichte Zweifel, weil Fifa und Katar alle möglichen Register ziehen, um jede Art von Protest zu unterdrücken. Kürzlich hat die Fifa nochmal mit einem Rundschreiben an alle Fußballverbände darauf hingewiesen, dass man sich auf den Fußball konzentrieren und politische Botschaften unterlassen werden sollen. Es ist schon sehr fraglich, ob die Turnierwochen für Proteste genutzt werden können oder es zu einer Propagandaveranstaltung verkommt.
Die Diskussion hat nochmal an Fahrt aufgenommen, nachdem in einer ZDF-Doku ein offizieller WM-Botschafter Katars erklärte, dass Homosexualität „haram“, also Sünde, sei. Was haben Sie gedacht, als Sie diese Aussagen gehört haben?
Einerseits Respekt an Jochen Breyer, wie er es geschafft hat, diese sehr professionell geplante und weichgewaschene Kommunikationsstrategie der Kataris zu durchbrechen und die Leute so um den Finger zu wickeln, dass sie ohne Blatt vor dem Mund sprechen. So sehr die Offenheit dieser Aussage auch überrascht, inhaltlich finde ich sie nicht überraschend angesichts der Tatsache, dass Homosexualität in Katar unter Strafe steht. Genauso die Aussagen zu Frauen, die mit Süßigkeiten verglichen werden. Das bestätigt die gesellschaftlichen Ansichten. Zugleich muss man auch sagen, dass man solche Ansichten, die tief in der Gesellschaft verwurzelt sind, eben nicht von heute auf morgen ändern kann. Davon zu trennen ist aber die Staatsführung, die nun nicht gerade aus Hinterwäldlern besteht, die nicht über den eigenen Tellerrand schauen können. Der Emir ist etwa in England zur Schule gegangen. Da könnte man schon erwarten, dass von staatlicher Seite aus mehr Offenheit gegenüber grundlegenden Menschenrechten besteht und der Staat seine Macht nutzt, um als Impulsgeber auf die Gesellschaft einzuwirken. Aber offensichtlich ist der Wille dazu nicht vorhanden.
Der FC Bayern nimmt wissentlich Schmerzensgeld, dafür dass man sich selbst den Ruf schädigt zu Gunsten Katars. Da ist die Frage, ob man das in Zukunft noch mit sich machen lassen will. Ich meine Nein.

Zugleich muss sich der Westen und seine Kritiker den Vorwurf der Doppelmoral gefallen lassen. Als Robert Habeck nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine einen Gas-Deal mit Katar abschloss, um die Versorgung für Deutschland zu garantieren, war kein Aufschrei zu hören.
Ich denke schon, dass man da unterschiedliche Maßstäbe ansetzen kann. Wenn man Gas für den Winter braucht, ist das wohl alternativlos. Die Fifa hat aber Alternativen für einen anderen Austragungsort. Die waren sogar, wie die Fifa selbst festgestellt hat, objektiv besser geeignet. Der FC Bayern hat auch Alternativen für andere Trikotsponsoren. Deshalb kann man da höhere Maßstäbe anlegen, als wenn man keine Handlungsalternativen hat. Im Übrigen ist ein Gaslieferungsvertrag auch etwas anderes als eine Propagandaveranstaltung wie die WM oder ein Werbevertrag mit dem FC Bayern. Die Kritik richtet sich im Kern gegen die Imagewäsche. Darauf ist ein Gaslieferungsvertrag aber nicht ausgelegt.
ZDF-Journalist Jochen Breyer hat am Rande seiner Doku auch offenbart, dass der FC Bayern 25 Millionen Euro von Trikotsponsor QatarAirways erhalte. „Ein politischer Preis“, rein wirtschaftlich eigentlich zu hoch. Wirft das nochmal ein anderes Licht auf diesen ohnehin umstrittenen Katar-Sponsorendeal des FC Bayern?
Ich habe früher andere Aussagen des FC Bayern gekannt, wo es hieß, dass sei ein marktüblicher Preis. Jetzt gesteht man offensichtlich hinter den Kulissen ein, dass es doch ein politischer Preis ist. Also Katar sich einen Maulkorb erkauft vom FC Bayern. Oder anders ausgedrückt: Der FC Bayern nimmt wissentlich Schmerzensgeld, dafür dass man sich selbst den Ruf schädigt zu Gunsten Katars. Da ist die Frage, ob man das in Zukunft noch mit sich machen lassen will. Ich meine Nein.
Leon Goretzka hat sich auch kürzlich deutlich gegen eine Fortsetzung des Sponsorings ausgesprochen.
Ich finde es sehr erfreulich, weil es zeigt, dass die gleiche Debatte auch in der Spielerkabine geführt wird. Man sagt immer, die Spieler seien nur auf Geld aus. Offensichtlich ist das dennoch ein Thema. Man hat das auch von Philipp Lahm und Manuel Neuer gehört, dass sie das intern angesprochen haben. Wenn sich ein Spieler nun sogar öffentlich äußert, ist das schon sehr respektabel, weil man sich vorstellen kann, dass der FC Bayern und Qatar Airways nicht gerade erfreut sind, wenn sich Spieler kritisch dem gegenüber äußern. Das erfordert sicherlich einiges an Überwindung. Umso größeren Respekt habe ich davor. Vom Verein hat sich Hasan Salihamidzic ebenfalls kritisch geäußert, was ich gut fand. Er hat es aber dann schnell wieder relativiert, in dem er meinte, das sei eine Einzelmeinung. Natürlich würde man sich wünschen, dass eine klare Reaktion kommt. Der FC Bayern hat mit dem katarischen Staatsunternehmen QatarAirways ein Sponsorenvertrag. Hier hat sich ein katarischer Vertreter als WM-Botschafter geäußert. Da kann man den Eigentümer von Qatar Airways ja schon mal drauf ansprechen und eine öffentliche Distanzierung einfordern. Wenn man in einer Partnerschaft ist, sollte man die gleichen Werte teilen und diese auch einfordern.
Statt die gleichen Werte zu teilen, soll Katar seine Partner sogar ausspionieren.
Das hat fast schon etwas von einem Stockholm-Syndrom, wenn ich ernsthaft befürchten muss, von meinem Vertragspartner ausspioniert zu werden – und dennoch den Vertrag verlängern möchte. Da sollten eigentlich alle Warnlichter aufblinken.
Sie sind mittlerweile der bekannteste Kritiker des Sponsoren-Deal mit QatarAirways. Wie kam es eigentlich dazu?
Ich habe das jahrelang nur passiv verfolgt und habe mitbekommen, wie Bayern-Fans regelmäßig dagegen protestieren und es ohne jedes Gehör beim Verein verhallt ist. Die kritischen Fans haben einen großen Aufwand betrieben. Sie haben 2020 eine Podiumsdiskussion gemacht, wo sogar katarische Gastarbeiter und Menschenrechtler eingeflogen wurden. Der FC Bayern ist als einziger nicht erschienen. Da ist für mich das Fass übergelaufen. Ich habe mir gedacht, das ist ein solch grundfalsches Verhalten meines Vereins. Als Mitglied habe ich die moralische Pflicht, alles dagegen zu unternehmen, was in meiner Macht steht, sonst kann ich das vor mir selbst nicht rechtfertigen, weiter Mitglied zu bleiben. Daraufhin habe ich mir überlegt, ob man das nicht auf der Mitgliederversammlung angehen kann, weil das nicht so leicht ignoriert werden kann wie ein Protestplakat im Stadion. Und wenn man solchen Antrag stellt, muss der auch seriös vorbereitet sein. Einfach nur pauschal etwas raushauen ohne sachliche Kritik, das war nicht mein Anspruch. Das hat zwangsläufig dazu geführt, dass man sich einarbeiten muss. Und wenn man einmal drin ist, kommt man auch nicht mehr so schnell raus. Auch, weil ich natürlich seither regelmäßig darauf angesprochen werde.
Auch Uli Hoeneß hat Sie bei der letzten Mitgliederversammlung „angesprochen“. Besser gesagt, er hat ihnen vorgeworfen, sie seien „peinlich“ und das sei nicht die Generalversammlung von Amnesty International. Wie kam es dazu?
Ich saß ganz am Rand. Er ist an mir vorbeigelaufen, hat meinen Namen gerufen. Da bin ich aufgestanden und zu ihm gegangen. Dann hat er die bekannten Worte gerufen. Ich habe dann versucht mit ihm ins Gespräch zu kommen. Daran war er offensichtlich nicht interessiert und ist wieder weitergelaufen.
Gab es davon abgesehen konstruktiven Austausch mit dem Verein?
Nach der Mitgliederversammlung 2021 hat sich Herbert Hainer bei mir gemeldet. Er hat mich zu einem Gespräch eingeladen. Danach gab es noch mehrere Gespräche in größerer Runde mit kritischen Fanvertretern des FC Bayern. Daraus ist der runde Tisch entstanden, der auch 2023 fortgeführt werden soll. Zudem soll es auch einen Austausch über eine Satzungsreform geben. Da gibt es viele Punkte, die man verbessern kann. Seit 2021 hat der FC Bayern sich schon bemüht, auf die Fans zuzugehen. Das finde ich gut, aber es kommt am Ende auch drauf an, dass es sich in den Entscheidungen niederschlägt. Da müssen wir noch abwarten.
Sie hatten gemeinsam mit anderen kritischen Fans einen Fragenkatalog an den Verein gerichtet, den dieser auch beantwortete. Viele Antworten seien „heiße Luft“, bemängelten Sie anschließend. Haben Sie noch Hoffnung, weitere Antworten zu bekommen?
Der Round Table hat ja nur im geschlossenen Kreis stattgefunden. Daher würden wir uns eine Veranstaltung zur Diskussion für alle Mitglieder wünschen – und zwar vor einer möglichen Vertragsverlängerung. Da sind wir noch in Gesprächen mit der Vereinsführung.
Rund um die letzte JHV gab es auch immer wieder Stimmen, die Ihnen vorwarfen, Sie sollten das Thema jetzt endlich mal gut sein lassen. Wie nehmen Sie die Reaktionen auf Ihr Engagement wahr?
Ja, es ist sehr gemischt. Kommentare wie ‚Ich kann es nicht mehr hören‘ zeigen aber ja, dass das Thema den Leuten unangenehm ist, weil sie selbst unterbewusst wissen, dass es moralisch falsch ist, das Geld aus Katar zu nehmen. Sie wollen aber am liebsten gar nicht mehr darüber reden. Das kann aus meiner Sicht nicht die Lösung sein. Es kommt schon manches an Kritik, aber überwiegend kommt positives Feedback. Und ohne die große öffentliche Unterstützung wäre auch niemals so viel Schwung in die Sache gekommen.
Der Club hat angekündigt, dass man nach der WM eine Entscheidung treffen werde, wie es mit dem Sponsoring von Qatar Airways ab kommendem Sommer weitergehen soll. Verlängert der Club oder sucht er sich einen neuen Trikotsponsor – was sagt Ihnen Ihr Gefühl?
Ich war nach dem Round Table und der JHV lange der Ansicht, dass der FC Bayern sich sehr wohl fühlt mit der sich zurechtgelegten Argumentation und dass man verlängern will. Jetzt sind im Vorfeld der WM nochmal zahlreiche neue Vorwürfe gegen Katar aufgekommen. Spionagevorwürfe, Äußerungen des katarischen WM-Botschafters – von dem her gibt es vielleicht doch noch einen Anstoß für den FC Bayern, umzusteuern. Ich halte es daher doch für einigermaßen offen. Für den FCB wird es in der internen Bewertung auch darauf ankommen, wie groß das PR-Desaster während der WM sein wird. Wenn es nicht zur reinen Propagandashow kommt, die sich Katar erhofft, dann stehen die Chancen vielleicht besser, dass der Vertrag nicht verlängert wird.
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