Wegen der drohenden Versorgungsnotlage wollen Wohnungskonzerne die Temperaturen senken. Das Justizministerium lehnt eine Änderung des Mietrechts ab, aber es gäbe eine Alternative.
REGION. Dass mit Blick auf die dramatische Versorgungslage Gas gespart werden muss, ist unstrittig. Nur wo und von wem? Freiwillig oder per Gesetz? In der Bundesregierung rücken zunehmend die privaten Verbraucher in den Fokus der Überlegungen, wie man eine akute Versorgungskrise im Winter vermeiden kann. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat schon eine Absenkung der Mindesttemperatur in privaten Wohnungen ins Gespräch gebracht – und dafür viel Kritik geerntet. „Gesetzlich verordnetes Frieren der Mieterinnen und Mieter ist weder gerecht noch sozial“, schimpft der Mieterbund.
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Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellt inzwischen die Vorzugsbehandlung der privaten Haushalte bei einer akuten Mangellage infrage, und die EU-Kommission hat einen Vorstoß zur Absenkung der Raumtemperaturen in öffentlichen Gebäuden und Büros angekündigt.
Gesetzlich verordnetes Frieren – wäre das überhaupt möglich? Die Antwort darauf ist nicht einfach, schon wegen der Durchsetzung möglicher Regeln – eine Heizungspolizei im Winter will niemand. Im Mietrecht gibt es keine Festlegung, welche Temperatur der Vermieter bereitstellen muss. Allerdings hat sich durch höchstrichterliche Urteile ein allgemein akzeptierter Korridor herausgebildet: Tagsüber liegt die Untergrenze bei 20, nachts bei 18 Grad. Zwar gibt es einzelne Urteile, die nachts eine Absenkung auf 17 oder 16 Grad für zumutbar halten, jedoch riskiert ein Vermieter, der sich darauf beruft, Klagen.
Einsparungen von bis zu 18 Prozent möglich
Die Wohnungswirtschaft fordert dringend eine gesetzliche Regelung, die zumindest für die Krisenzeit eine spürbare Absenkung der Raumtemperatur erlaubt. „Mit einer Verordnung von 16 bis 18 Grad könnte sich die durchschnittliche Raumtemperatur um etwa drei Grad reduzieren“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Damit wären beim Heizen Einsparungen von bis zu 18 Prozent möglich.
Eine Anpassung des Mietrechts ist indes unwahrscheinlich. „Im Bundesministerium der Justiz gibt es derzeit keine Pläne für eine die geltende Rechtslage ändernde gesetzliche Regelung“, teilte der Sprecher von Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf Anfrage mit.
Vom Tisch sind solche Vorgaben damit aber nicht. Das gerade überarbeitete Energiesicherungsgesetz ermöglicht dem Bund in Paragraf 3 sehr weitreichende Eingriffe über Rechtsverordnungen. Und zwar auch schon vor der Ausrufung der höchsten Krisenstufe (Gasmangellage), also jetzt. Es wäre denkbar, dass über diesen Weg geltende Regelungen ausgehebelt werden, und zwar ohne aufwendiges parlamentarisches Verfahren. Das könnte die privaten vier Wände betreffen, aber auch das Büro in der Firma, für das die Arbeitsstättenverordnung derzeit 20 Grad vorschreibt. Ob daran im Wirtschaftsministerium bereits gearbeitet wird, bleibt unklar. Es spricht jedoch einiges dafür.
Vonovia und Bauverein denken über Nachtabsenkung nach
Einige Wohnungskonzerne sind ohne gesetzliche Regelung vorgeprescht, etwa der Branchenriese Vonovia, der eine Nachtabsenkung auf 17 Grad angekündigt hat. Auch beim Darmstädter Bauverein gibt es solche Überlegungen. Am Freitag hat die Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Coburg ihren Mietern sogar das Gas für die Heizung komplett abgestellt. So wolle man verhindern, dass wegen offener Ventile während längerer Abwesenheiten Gas verschwendet werde; warmes Wasser gibt es aber auch in Coburg noch.
Dass die Wohnungsgesellschaften bei dem Thema drängen, liegt auf der Hand. In der Branche befürchtet man, dass viele Mieter bei den nächsten Nebenkostenabrechnungen die hohen Nachzahlungen nicht leisten können. Stundungen, längere Auseinandersetzungen und schlimmstenfalls eine Kündigungswelle könnten die Folge sein. Deshalb gibt es auch schon Forderungen nach einem Kündigungsmoratorium für die Zeit der Krise.