Eine neue Studie des Umweltbundesamts legt das nahe: Deutlich weniger CO2-Emissionen wären der Lohn. Warum das Tempolimit auf Autobahnen wohl trotzdem nicht kommen wird.
Berlin. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es auf Seite 52: „Ein generelles Tempolimit wird es nicht geben.” Für die FDP war das ein Erfolg, sie lehnt ein Tempolimit strikt ab, Grüne und SPD befürworten es. Trotz der klaren Aussage im Koalitionsvertrag bleibt das Tempolimit ein Dauerthema. Jetzt hat eine im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) erstellte Studie neue Argumente geliefert. Sie zeigt, dass es wesentlich höhere CO2-Einsparungen bringen würde als bisher gedacht. Gleichzeitig kann Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bisher nicht recht erklären, wie er die gesetzlich vorgeschriebenen Klimaziele in seinem Bereich einhalten will. Ein paar Millionen Tonnen weniger CO2 kämen da gerade recht.
Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie des Umweltbundesamts?
Bezogen auf das Jahr 2021 läge die Wirkung einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf Autobahnen bei insgesamt 6,0 Millionen Tonnen CO2, das wäre eine Einsparung um gut vier Prozent. Käme ein Limit von 80 auf Landstraßen hinzu, würden sogar 7,3 Millionen Tonnen eingespart. Zum Vergleich: In früheren Berechnungen war das Bundesamt von 2,6 Millionen Tonnen (nur 120 auf Autobahnen) ausgegangen.
Ein Tempolimit wirkt über viele Wege
Wie kommt es zu den neuen Zahlen?
Die Studie „Flüssiger Verkehr für Klimaschutz und Luftreinhaltung” kommt vom Institut für Straßen- und Verkehrswesen der Universitäten Stuttgart und Graz. Zum einen wurden mithilfe von Bewegungsdaten die Kraftstoffverbräuche neu berechnet. Bei geringerem Tempo sinkt der Spritverbrauch ohnehin, allerdings wird dieser Effekt verstärkt, wenn Verkehr durch die Angleichung der Geschwindigkeiten besser fließt. Außerdem wurden zusätzliche Potenziale einbezogen, die entstehen, wenn aufgrund von Tempolimits die Route angepasst wird. Zum Beispiel werden zusätzliche Autobahnkilometer weniger in Kauf genommen, wenn dort nicht mehr ohne Limit gefahren werden kann. Auch die Tatsache, dass aufgrund der höheren Reisezeiten häufiger auf andere Verkehrsmittel umgestiegen wird, spielt eine Rolle. Schließlich gehen die Zahlen von einer besseren Überwachung eines Tempolimits mit der „Section Control”-Methode aus, bei der die Geschwindigkeit nicht an einem Punkt (Blitzer), sondern für einen ganzen Streckenabschnitt gemessen wird. Im Ausland ist diese Methode bereits üblich.
Studie: 47 Millionen Tonnen weniger CO2 bis 2030 durch ein Tempolimit
Ist das Einsparpotenzial überhaupt fürs Klima relevant?
Ja. Das zeigt ein Blick auf die Emissionen des Verkehrssektors. 2022 lag der CO2-Ausstoß dort bei 150 Millionen Tonnen, das waren elf Millionen zu viel. Bis 2030 müssen die Emissionen auf 85 Millionen Tonnen sinken, so schreibt es der Reduktionspfad im Klimaschutzgesetz vor. Die Planverfehlung 2022 hätte sich mit einem Tempolimit laut Studie also zur Hälfte schließen lassen. Von 2024 bis 2030 könnte Tempo 120 auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen 47 Millionen Tonnen CO2 einsparen, rechnet das UBA vor. Die Deutsche Umwelthilfe geht noch weiter. Sie fordert Tempo 100 auf Autobahnen und kommt damit nach eigenen Berechnungen auf ein Einsparpotenzial von mehr als neun Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. „Die Einsparungen lösen nicht die Klimaherausforderungen im Verkehr, aber sie sind eben auch keine Kleinigkeit”, sagt UBA-Präsident Dirk Messner zu den neuen Berechnungen seines Hauses.
Das Verkehrsministerium bleibt bei seinem Nein zu einem Tempolimit
Wie stehen die Chancen für eine Umsetzung?
Schlecht. Bei der Koalitionsrunde vergangene Woche bewegte sich beim Thema nichts. Während die Grünen einmal mehr ein Tempolimit forderten, bestand die FDP auf einem Planungsturbo für neue Autobahnen. Im Verkehrsministerium hat man ohnehin einen kritischen Blick auf die UBA-Studie. Die Untersuchung mache „unter anderem deutlich, dass ein allgemeines Tempolimit zu einer Verlagerung des Verkehrs von den Autobahnen auf Nebenstrecken führen würde”, erklärte ein Sprecher auf Anfrage. Das würde mehr Staus und mehr Unfälle in Städten und auf Landstraßen bedeuten. Verkehrsfluss und Verkehrssicherheit seien „nachweislich auf Autobahnen am größten”. Außerdem wird auf den Koalitionsvertrag verwiesen.
Geht es beim Tempolimit nur um CO2?
Nein. Befürworter argumentieren auch mit besser fließendem Verkehr, entspannterem Reisen und weniger Unfällen. In den Niederlanden wurde 2020 das Tempolimit auf Autobahnen verschärft, um die Emissionen von Stickoxiden (NOX) zu reduzieren, mit denen das Land wegen seiner intensiven Landwirtschaft ein großes Problem hat. Dort gilt jetzt zwischen 6 und 19 Uhr 100 auf Autobahnen, sonst sind 130 erlaubt. Die UBA-Studie berechnet für ein Limit von 120 auf Autobahnen eine Senkung der NOX-Emissionen um mehr als neun Prozent.