Neue Immobilienprojekte werden angesichts steigender Kosten und höherer Zinsen kritischer auf ihre Realisierbarkeit überprüft. Was fordern freie Immobilienunternehmen?
WIESBADEN/MAINZ. Rapide steigende Baukosten, gestörte Lieferketten und jetzt noch höhere Zinsen – dem Wohnungsbau droht ein massiver Einbruch. „Viele private Bauherren werden ihren Traum vom Eigenheim begraben oder Neubauprojekte vertagen“, berichtet Gerald Lipka, Geschäftsführer des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) Hessen und Rheinland-Pfalz.
Bildergalerie
Traum vom Eigenheim zerplatzt
Jedes Bauprojekt werde kritisch auf die Realisierbarkeit untersucht. Kunden sagten bereits Notartermine ab, da Banken den Haus- oder Wohnungskauf nicht mehr finanzierten. „Der Trend wird sich im zweiten Halbjahr noch verstärken.“
Nach einer Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen des BFW wollen 70 Prozent der Befragten etwa die Hälfte ihrer geplanten Bauprojekte nicht mehr realisieren. Hochgerechnet würde das einen Rückgang zwischen 50.000 und 70.000 Neubauwohnungen bedeuten. „Die Ziele der Bundesregierung von 400.000 Neubauwohnungen werden nicht ansatzweise zu erreichen sein“, sagt Lipka im Gespräch mit dieser Zeitung. Im Ein- und Zweifamilienhausbau gehen nach Beobachtung des Verbands die Baugenehmigungen bereits deutlich zurück.
Passend zum Thema: Umbauen ist besser als Abreißen
Im Mehrfamilienhausbau seien die noch hohen Genehmigungszahlen trügerisch. „Viele Projekte werden wohl nicht fertiggestellt.“ Der Anteil der privaten Bauherren an den Wohnungsbauinvestitionen lag im vergangenen Jahr bei 62 Prozent. In Hessen sind es 59 Prozent, in Rheinland-Pfalz sogar 75 Prozent.
Die Politik muss nach Überzeugung des Verbands gegensteuern, um eine Vollbremsung des Wohnungsbaus zu verhindern. „Dazu braucht es verfügbare und bezahlbare Grundstücke, entschlackte Bebauungspläne, schnelle Genehmigungsprozesse und mehr wirtschaftlichen Realismus“, betont Lipka.
Kommunen könnten Bauträgern nicht mehr problemlos die Kosten für Wege, Plätze, Gas- und Wasserleitungen sowie Kitas und Schulen aufbürden, ohne einen Einbruch beim Wohnungsbau zu riskieren. Auch die Förderbedingungen und Auflagen müssten verbessert werden. Die Alarmzeichen zeigen sich laut Lipka bereits in den Zahlen. Im ersten Halbjahr 2022 wurden in Hessen laut dem BFW fast zehn Prozent Wohnungen weniger genehmigt.
Im vergangenen Jahr waren zwar noch mehr Neubauten genehmigt, aber bereits weniger Bauten fertiggestellt worden. In Hessen wurden im Jahr 2021 noch 27.713 und damit 1,7 Prozent mehr Baugenehmigungen für Wohnungen erteilt. Da landesweit 22.952 Wohnungen fertiggestellt wurden, stieg der sogenannte Bauüberhang – also genehmigte, aber nicht gebaute Wohnungen – weiter um 5,3 Prozent auf 67.934 Wohnungen. In Rheinland-Pfalz wurden 18.904 und damit 12,9 Prozent mehr Baugenehmigungen für Wohnungen erteilt und 13.817 Wohnungen fertiggestellt. Der Bauüberhang erhöhte sich damit deutlich um neun Prozent auf 40.311 Wohnungen. „Genehmigte Projekte, deren Bau noch nicht begonnen hat, werden in der jetzigen Krise wohl nicht mehr alle gebaut“, prognostiziert Lipka.
Lesen Sie auch: Sind Bausparverträge nun wieder der Renner?
Die Preise für den Neubau konventionell gefertigter Wohngebäude in Deutschland sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Mai 2022 gegenüber dem Vorjahr um 17,6 Prozent gestiegen, aktuellere Zahlen liegen nicht vor. „Das ist der höchste Anstieg der Baupreise gegenüber einem Vorjahr seit Mai 1970“, als die Preise um 18,9 Prozent zulegten. Betonarbeiten sind gegenüber Mai 2021 um 23,0 Prozent teurer geworden, Maurerarbeiten um 12,8 Prozent.
Aufgrund der stetig steigenden Baukosten werden Neubauten immer schwerer zu kalkulieren. Bauträger wollen das Risiko reduzieren und warten deshalb, bis der Rohbau fertig ist, bevor sie ihre Projekte vermarkten. Bundesweit sind nach einer Analyse von Immowelt die Anfragen für Kaufimmobilien innerhalb eines Jahres um 17 Prozent zurückgegangen.
Käufer zahlen nicht mehr jeden Preis
Auch wenn die Zahl der Kaufinteressenten schrumpft, sieht Lipka aufgrund der hohen Nachfrage in der Rhein-Main-Region aber keine Probleme beim Verkauf der Immobilien. „Allerdings lässt sich nicht mehr jeder gewünschte Preis realisieren.“
Der preisbereinigte Auftragseingang im Bauhauptgewerbe ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) im Juni 2022 im Vorjahresvergleich um 11,2 Prozent zurückgegangen. Nicht preisbereinigt lag der Auftragseingang jedoch aufgrund der gestiegenen Baupreise mit einem Volumen von 8,6 Milliarden Euro noch um 4,1 Prozent über dem Vorjahresniveau. „Die ehrgeizigen Neubauziele der Bundesregierung rücken in weite Ferne,“ so Lipka.