
Der Darmstädter Anbieter von Bio-Lebensmitteln behauptet sich gegenüber Discountern, während der Händler die Preisstrategie anpassen muss, profitiert Alnatura an anderer Stelle.
Darmstadt. Bio hat derzeit einen schweren Stand. Zumindest im Fachhandel. Die aktuelle Delle spürt nach wachstumsstarken Jahren auch Alnatura, einer der Branchen-Leuchttürme aus Darmstadt. Wenngleich weniger als befürchtet, wie es hieß. Aufgrund der vielen Krisen wird hierzulande seit Monaten der Euro mehrfach umgedreht, ehe er ausgegeben wird. Das ist auch bei Lebensmitteln der Fall. Höhere Preise verhindern momentan deshalb oft einen nachhaltigen Lebensstil selbst bei denen, die das für wichtig halten. Wenn es zu teuer wird, verlieren die besten Vorsätze nämlich schnell an Wert. Nachdem der Öko-Handel während der Pandemie doppelt so stark wie der Lebensmittelhandel insgesamt gewachsen ist, sieht es jetzt ganz anders aus. Wobei Alnatura inzwischen „die Trendwende“ geschafft habe, so Petra Schäfer aus der Geschäftsführung, vorher bei dm und Globus tätig.
Alnatura-Gründer Götz Rehn hatte zuvor vom „schlimmsten Einbruch“ im Biohandel insgesamt seit 35 Jahren gesprochen – sieht aber gleichwohl wie viele Marktexperten trotz vereinzelter Pleiten weiter gute Perspektiven für die Branche. Und blickt für sein vor 35 Jahren gegründetes Unternehmen besonders „optimistisch in die Zukunft.“ Der erste Bio-Supermarkt von Alnatura war übrigens damals in Mannheim eröffnet worden und war seinerzeit der erste deutschlandweit.
Verbraucher setzen auf Eigenmarken
Aktuell decken Verbraucher das Thema Bio jedoch vermehrt beim Discounter ab und greifen verstärkt zu Eigenmarken auch im Supermarkt. Rehn: „Das wird sich weiter so entwickeln.“ Der Trend zu billigem Bio scheint nicht aufzuhalten, wie die Marktverschiebungen zeigen. Naturkostläden und Biosupermärkte gehören damit unweigerlich zu den Verlierern. Wobei sich Alnatura mit seinen unverändert 3700 Beschäftigten wacker geschlagen hat im Geschäftsjahr 2021/22 (30. September), für das jetzt am Stammsitz in Darmstadt die Zahlen vorgelegt wurden. Der Umsatz blieb mit 1,12 Milliarden Euro nur 2,5 Prozent unter Vorjahresniveau. Dabei ist jedoch das um sieben Standorte auf 147 Filialen gewachsene Netz zu berücksichtigen. Ende 2022 werden es 150 sein. Und die Expansion geht weiter. Die meisten Filialen sind in Baden-Württemberg, 21 in Hessen, fünf in Rheinland-Pfalz. Etwa die Hälfte des Geschäftes steuern zudem Handelspartner bei – von Edeka bis Tegut und viele andere im Ausland. Insgesamt 13.400 Filialen in 14 Ländern führen 1300 Bio-Lebensmittel von Alnatura. Der Jahresüberschuss, in der Corona-Zeit auf einem Rekordniveau von knapp 22 Millionen Euro, fiel auf den Stand in der Zeit davor von 14,5 Millionen zurück, so die „Lebensmittelzeitung“ vorab. Offiziell äußert sich Alnatura traditionell nicht zum Gewinn. Allgemein stehe der Ertrag unter Druck, so Rehn.
Das rührt auch daher, dass der durchschnittliche Einkaufswert bei Alnatura gesunken ist. Weil etwas weniger gekauft wurde und weil man bei den Preisen reagieren musste, die im Februar eingeführten „günstigen Dauerpreise“ sich auswirken. Aber auch positiv dergestalt, dass die Warenverfügbarkeit verstetigt werden konnte, und Engpässe durch Nachfragespitzen aufgrund von Sonderangeboten ausbleiben. Bei Bio insgesamt seien die Preise zuletzt um drei bis fünf Prozent gestiegen, bei herkömmlich produzierten Lebensmitteln aber um rund 18 Prozent, so Rehn. Durch kurze Transportwege bei regionalem Bio und weniger Importen von Obst und Gemüse, das etwa vom Bodensee bezogen werde, zahle das außerdem aufs Klima ein. Ebenso wie ein Bündel von Energiesparmaßnahmen in den Märkten und ein wachsender Anteil an Mehrweg-Glas bei Molkereiprodukten beispielsweise oder durch Unverpackt-Ware.
Lieferdienst soll ausgebaut werden
Zugleich wächst freilich die Sorge, dass das von der Bundesregierung angestrebte Ziel von 30 Prozent Bio bis 2030 aufgrund des Preisdrucks nicht erreicht werden kann. Denn der verhindert, dass Landwirte auf Bio umstellen, weil zunächst höhere Kosten anfallen, auskömmliche Renditen aber immer schwieriger zu erzielen sind. Rehn vermisst weiter „eindeutige Signale“ aus der Politik wie etwa eine geringere Mehrwertsteuer auf Frischeprodukte. Denn pro Jahr müsste mit Blick auf 2030 fünf Mal mehr landwirtschaftliche Fläche umgestellt werden als zuletzt.
Der zur Jahresmitte gestartete Alnatura-Lieferdienst mit eigenen Beschäftigten und Tariflohn, in Berlin und Frankfurt am Markt, soll nach ersten guten Erfahrungen ausgebaut werden. Wo und wann, das wurde nicht mitgeteilt. Die Resonanz sei gut, das Vertrauen groß, was ein untypisch hoher Anteil von mehr als 50 Prozent an bestellten Frischeprodukten zeige, so Handelsexpertin Schäfer.
Von Achim Preu